bauhaus imaginista: Die vier Kapitel und ihre Künstler_innen
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Meldung:
Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin |
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Nandalal Bose, Anleitung zur Wandmalerei, n.D., (1929/30) Fresko
auf Zementwand, ca. 80 x 100 cm, Kala Bhavana, Santiniketan,
Indien |
Kapitel
1
Corresponding With
nimmt das Bauhaus-Manifest, das Walter Gropius 1919
veröffentlichte, zum Anlass, um die Bauhaus-Lehre in den Kontext
von Kunsthochschulen in Indien und Japan zu stellen, die
ebenfalls in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als
Reaktion auf eine notwendige Modernisierung der
Lebensverhältnisse und als Kritik an der bestehenden nationalen
Kunst- und Gestaltungslehre gegründet wurden.
Ausgehend von Gropius’
Bauhaus-Manifest wird die Kunst- und Gestaltungslehre des Bauhauses
in Beziehung zu zwei weiteren Gestaltungsschulen gesetzt, die ebenfalls
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründet wurden: die
indische Kunstschule Kala Bhavan von Rabindranath Tagore,
ebenfalls 1919 gegründet, und das 1931 in Japan von Renshichirō
Kawakita gegründete Seikatsu Kōsei Kenkyūsho (Institut für
Lebensgestaltung), aus dem die Shin Kenchiku Kōgei Gakuin
(Schule für neue Architektur und Gestaltung) hervorging. Die
drei AvantgardeSchulen waren Teil eines kosmopolitischen
Netzwerks; Spannungen zwischen Internationalismus,
Nationalismus, Kolonialherrschaft oder aufkommendem Faschismus
versuchten sie auf ihre je eigene Weise zu bewältigen.
Corresponding With befasst sich mit dem Potenzial der
Radikalisierung von Kunst, Gestaltung und Lehre für eine neue
Wissensproduktion, die in der materiellen Kultur eingeschrieben
ist. Das Kapitel fragt nach den Optionen von Kunst- oder
Gestaltungsschulen, alternative, kosmopolitische und egalitäre
Lebensentwürfe hervorzubringen, aber auch nach der Möglichkeit,
dem Druck patriarchaler, fremdenfeindlicher und
nationalistischer Gewalt zu widersprechen.
Mit Werken von Prabhat Mohan Bandopadhyay, Otti Berger, Lena
Bergner, Lisbeth BirmanOestreicher, Nandalal Bose, Nivedita Bose,
Center for Post- Colonial Knowledge and Culture (CPKC), Erich
Consemüller, Theo van Doesburg, Magdalena Droste, Lyonel
Feininger, Kitty Fischer, Luca Frei, Ordhendra Coomar Gangoly,
Albert Gleizes, Walter Gropius, Asit Halder, Gertrud Hantschk,
Sutemi Horiguchi, I SEE ALL, Wassily Kandinsky, Renchinchirō
Kawakita, Surendranath Kar, Kenchiku Kigen, Paul Klee, Stella
Kramrisch, Kasimir Malewitsch, Adolf Meyer, Sandhya Mitra, Mizue,
Takehiko Mizutani, László Moholy-Nagy, Piet Mondrian, Benode
Behari Mukherjee, Sadanosuke Nakada, Eugen Netzel, The New Art
in Europe, The Otolith Group, Jacobus Johannes Pieter Oud,
Margaretha Reichardt, Oskar Schlemmer, Arieh Sharon, Kiyoshi
Seike, K. G. Subramanyan, Rabindranath Tagore, Rathindranath
Tagore, Katsuo Takei, Iwao Yamawaki, Michiko Yamawaki
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Paul Klee, Teppich, 1927, 48, Stift auf
Papier auf Karton, 23 x 30 cm, Hans Snoeck,
Privatsammlung, New York, Foto (c) Edward Watkins
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2
Learning From
Ausgehend von Paul Klees Zeichnung Teppich aus dem Jahr 1927
stellt das Ausstellungskapitel Learning From künstlerische
Forschung zu außereuropäischen Handwerkstechniken und
Alltagskulturen ins Zentrum. Das Studium vormoderner
Handwerkskunst war Teil des Bauhaus- Programms, das dem manuell
hergestellten Objekt und dem damit verbundenen Wissen große
Bedeutung zuwies.
Insbesondere Paul Klees
Zeichnung Teppich stellt das Studium vormoderner Artefakte
nicht-europäischer Herkunft durch moderne Künstler_innen und
Architekt_innen in den Vordergrund. Hierzu gehören die
Wiederbelebung lokalen Handwerkswissens an der École des
Beaux-Arts in Casablanca, Marokko, nachdem das Land seine
Unabhängigkeit erlangt hatte, aber auch der Einfluss, den
mesoamerikanische Textilien auf Bauhaus-Emigrant_innen in den
Vereinigten Staaten sowie Persönlichkeiten wie die Architektin
Lina Bo Bardi hatten, die sowohl das Bauhaus als auch die
populären Künste untersuchte, um die brasilianische Moderne neu
zu definieren. Learning From thematisiert damit auch das
Machtungleichgewicht kultureller Aneignung und die blinden
Flecken einer Geschichte des Sammelns und Erforschens
nicht-europäischer Kunst. Für und Wider von Wiedergutmachungen
und Rückgabe von Sammlungsobjekten stehen hier zur Debatte wie
auch die Erschütterung aller Bedeutungen, wenn Gegenstände ihrem
sozialen und kulturellen Kontext entrissen werden, während
zugleich die Zerstörung von Kultur und Umwelt der lokalen
Bevölkerung bis heute anhält.
Mit Werken von Anni Albers, Josef Albers, Arthur Amora, Ruth
Asawa, Mohamed Ataallah, Kader Attia, Lina Bo Bardi, Pietro
Maria Bardi, Farid Belkahia, Susie Benally, Lena Bergner,
Mohamed Chabâa, Ahmed Cherkaoui, Lygia Clark, Center for
Post-Colonial Knowledge and Culture (CPKC), Berlin, Popovi Da,
Johannes Driesch, Rogério Duarte, Heinrich Ehl, Carl Einstein,
Bert Flint, Ernst Fuhrmann, Gilberto Gil, Trude Guermonprez,
Mustapha Hafid, Mohamed Hamidi, Raoul d’Harcourt, Abdellah
Hariri, Sheila Hicks, Maud Houssais & Jawad Elajnad, Integral,
Alexandra Jacopetti, Paul Klee, Max Krehan, Walter Lehmann, Otto
Lindig, Maghreb Art, Toni Maraini, Maria Martinez, Mohamed
Melehi, Ben Van Meter, Hannes Meyer, Hossein Miloudi, Sibyl
Moholy-Nagy, Hélio Oiticica, Lygia Pape, Max Peiffer Watenphul,
Geraldo Sarno, Ivan Serpa, Elisa Martins da Silveira, Souffles,
El Taller de Gráfica Popular (TGP), Mexiko, Paulo Tavares,
Lenore Tawney, Otto Weber, Marguerite Wildenhain, Margarete
Willers, Anne Wilson, Karl With, Cristobal Zañartu
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Marcel
Breuer, ein bauhaus-film. fünf jahre lang, 1926, Aus: Bauhaus,
vol. 1, 1926, Offsetdruck, 42 x 29.7 cm, Bauhaus-Archiv Berlin |
3
Moving Away
Ausgangspunkt dieses Kapitels ist Marcel Breuers Collage ein
bauhaus-film. fünf jahre lang, die in der ersten Nummer der
Zeitschrift bauhaus 1926 erschien. Breuers konzeptueller
„Filmstreifen“ zeigt die gestalterische Entwicklung des
Stuhldesigns – vom handwerklichen Objekt zum industriellen
Prototyp bis in eine Zukunft hinein, in der das Objektdesign
verschwindet.
Marcel
Breuers Collage ein bauhaus-film. fünf jahre lang beschreibt die
Verwandlung von Gestaltungsideen infolge gesellschaftlicher und
geopolitischer Veränderungen. Walter Gropius und Hannes Meyer
waren als Bauhaus-Direktoren gezwungen, die eigenen Konzepte
laufend zu aktualisieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt dies
auch an der Hochschule für Gestaltung, Ulm und am National
Institute of Design im indischen Ahmedabad, die Bauhaus-Ansätze
in verwandelter Form weiterführten. Moving Away stellt die
Arbeit von BauhausMigrant_innen an unterschiedlichen Orten vor
und beschreibt die geopolitischen Verhältnisse, in die
Gestaltung, Kunst und Architektur dieser Zeit verstrickt waren.
Von der Modernisierung der UdSSR bis zum Indien nach der
Unabhängigkeit unterlagen Designideen einem ständigen
Anpassungsdruck. Die Ausstellung zeigt, dass moderne
Generalplanungen, zwischen Architekt_innen und staatlichen
Behörden erarbeitet, gleichzeitig fortschrittliche und
repressive Aspekte aufwiesen. In Reaktion darauf verbreitete
sich bis heute eine Skepsis gegenüber staatlichen Planungen, die
– verbunden mit der Privatisierung und Deregulierung von
öffentlichen Gütern – unsere politischen Handlungsmöglichkeiten
im Umgang mit sozialer und ökonomischer Ungleichheit und den
Auswirkungen des Anthropozäns erheblich einschränkt. Heute gilt
es, wieder größere Spielräume für kollektives Gestalten im
Interesse des Gemeinwohls zu gewinnen. Ein Beispiel für eine
positive staatliche Einflussnahme war im Moment der
Unabhängigkeitsbestrebungen die Planung einer postkolonialen,
demokratischen Universität durch die westnigerianische
Regierung, die vom BauhausArchitekten Arieh Sharon umgesetzt
wurde.
Mit Werken von ABC. Beiträge Zum Bauen, David Abraham, Otl
Aicher, Abhikalpa, L’Archi- tecture d’Aujourd’hui, Arquitectura
y Decoración, S. Balaram, bauhaus. Zeitschrift für Gestaltung,
Devashis Bhattacharya, Marcel Breuer, Chang Chao-Kang, Chen
Chi-kwan, Jochen Claussen-Finks & Phani Tetali, Alice Creischer,
Design: Review of Architecture, Applied and Free Arts, Charles
and Ray Eames, Wils Ebert, Zvi Efrat, Moissej Ginzburg, Walter
Gropius, Hans Gugelot, Ernst Hahn, Wilhelm Jacob Hess, Hubert
Hoffmann, Alfred Kantorowicz, Cornelis van der Linden, Marg: A
Magazine of Architecture and Craft, Doreen Mende, René Mensch,
Hannes Meyer, Nikolay Milyutin, László MoholyNagy, Sudhakar
Nadkarni, Wendelien van Oldenborgh, Output, Mahendra C. Patel,
I. M. Pei, Jawaja Project, Konrad Püschel, M. P. Ranjan, RED,
Alexander Rodchenko, Benoy Sarkar, Arieh Sharon, Sovremennaja
Arhitektura, Varvara Stepanova, TASK, Philipp Tolziner, Ulm,
Antonin Urban, H. Kumar Vyas, Tibor Weiner, Klaus Wille
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Kurt Schwerdtfeger, Reflektorische
Farblichtspiele, 1922, Lichtperformance, Detailfoto des
rekonstruierten Apparats von 2016, Foto (c) Courtesy of
Microscope Gallery and Kurt Schwerdtfeger Estate 2016
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4
Still Undead
Ausgangspunkt für das Ausstellungskapitel Still Undead sind Kurt
Schwerdtfegers Reflektorische Farblichtspiele aus dem Jahr 1922.
Still Undead verfolgt die Spuren künstlerischer Experimente mit
Licht, Sound und neuen Technologien an Kunstschulen und
Universitäten wie dem New Bauhaus in Chicago, dem Centre for
Advanced Visual Studies (CVAS), dem Media Lab am Massachusetts
Institute of Technology (MIT) in Cambridge, Massachusetts, und
an der Leeds School of Art.
Das vierte Ausstellungskapitel, wurde
gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt realisiert. Still Undead erzählt die Geschichte von Licht- und Klangexperimenten,
die mit Kurt Schwerdtfegers Reflektorischen Farblichtspielen auf
einem Bauhaus-Fest 1922 ihren Anfang nahm. In den 1940er Jahren
entwickelten László Moholy-Nagy am New Bauhaus (später Institute
of Design am Illinois Institute of Technology, IIT) in Chicago
und György Kepes am Massachusetts Institute of Technology (MIT)
diese Experimente weiter, bis sie die Grenzen der Wissenschaft
überschritten und nicht nur am Leeds College of Art in
Großbritannien mit elektronischer Musik in die Welt der
Populärkultur eingingen. Still Undead zeigt mit Arbeiten aus den
USA, Großbritannien und dem Westdeutschland der Nachkriegszeit
bis in die Gegenwart, wie eine gegenkulturelle Produktion
institutionelle Strukturen einerseits überschreiten konnte, um
andererseits in sie integriert zu werden. Die Ausstellung
diskutiert damit auch die Verschränkung von künstlerischem
Überschuss, Hedonismus, Mikropolitik, Selbstinszenierung und
Vermarktung, und stellt die Frage, wie sich unter den
Bedingungen einer neoliberalen Wirtschaftsordnung eine
Re-Politisierung von Kunst, Technik und Populärkultur denken
lässt. Ließe sich der für Kunstschulen charakteristische
Mehrwert jenseits des Lehrbetriebs auch für politische Ziele wie
Antifaschismus, Antirassismus und Queer Politics nutzen, statt
von Konsumkultur und Unterhaltungsindustrie vereinnahmt zu
werden?
Mit Werken von Josef Albers, Gertrud Arndt, Bauhaus (Band),
Robyn Beeche, New Sounds New Styles, Muriel Cooper, Brian Eno,
T. Lux Feininger, Mort & Millie Goldsholl, Kasper de Graaf &
Malcolm Garrett, Brion Gysin & Ian Sommerville, George
Hinchliffe & Ian Wood, Kenneth Josephson, György Kepes, Kurt
Kranz, Al MacDonald, László MoholyNagy, Nam June Paik, Oskar
Schlemmer, Kurt Schwerdtfeger, Soft Cell, Frank Tovey, Edith
Tudor-Hart, Stan VanDerBeek, Andy Warhol
Siehe
auch:
Buchrezension zu bauhaus imaginista - Teil 1
Siehe auch:
bauhaus
imaginista: Einführung der Kurator_innen Marion von Osten &
Grant Watson - Teil 2
Siehe auch: bauhaus
imaginista: Die vier Kapitel und ihre Künstler_innen - Teil 3
Siehe auch:
Zur Gesamtschau
bauhaus imaginista - Teil 4
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