Seit der Finanzkrise
wurde „Finanzstabilität“ als ein
neues Politikfeld etabliert – und in
diesem Bereich wiederum stehen die
Immobilienmärkte im Zentrum.
„Stabil“ ist ein Finanzsystem, wenn
es auch in Krisenzeiten und nach
einem Schock seine zentralen
Funktionen erfüllt. Ein solcher
„Schock“ kann ein abrupter
Preiseinbruch am Immobilienmarkt
sein oder unerwartet schlechte
Nachrichten über die wirtschaftliche
Entwicklung.
Was sind politische
Handlungsoptionen?
Es geht nicht darum, Krisen zu
verhindern. Sondern es geht darum,
eine schlechte wirtschaftliche
Entwicklung durch das Finanzsystem
nicht noch weiter zu verstärken.
Eine solche Hebelwirkung kann
insbesondere dann entstehen, wenn es
am Immobilienmarkt zu einer
explosiven Dynamik von
Preissteigerungen und der Vergabe
von Krediten kommt.
Die „makroprudenzielle“ Überwachung
ist auf Interdependenzen im
Finanzsystem und auf systemweite
Effekte ausgerichtet. Sie hat damit
einen anderen Blickwinkel als die
Bankenaufsicht, bei der die Solvenz
und Liquidität von Einzelinstituten
im Vordergrund steht. Dabei sind die
Indikatoren, die ein einzelnes
Institut bei der Kreditvergabe und
der Kreditwürdigkeitsprüfung erfasst
und auf denen die mikroprudenzielle
Aufsicht aufbaut, denen ganz
ähnlich, die auch für die Stabilität
des Finanzsystems eine Rolle
spielen. Das Ziel der Überwachung
und möglicher aufsichtlicher
Maßnahmen ist aber ein anderes.
Besteht also mit Blick auf den
Immobilienmarkt in Deutschland
Handlungsbedarf?
In der Summe liefern Analysen
des deutschen Immobilienmarkts
Hinweise darauf, dass das deutsche
Finanzsystem verwundbarer gegenüber
makroökonomischen Risiken geworden
ist. Bereits im letzten
Finanzstabilitätsbericht 2018 hat
die Bundesbank auf drei
Verwundbarkeiten hingewiesen:
Die Unterschätzung von Kreditrisiken
Die Überschätzung der Werthaltigkeit
von Sicherheiten – gerade im
Immobilienbereich – sowie
Zinsrisiken: Denn der Anteil neu
vergebener Kredite für
Wohnimmobilien mit einer
Zinsbindungsdauer von mehr als zehn
Jahren stieg seit 2010 von 26
Prozent auf zuletzt 50 Prozent. Ein
(unerwarteter) Zinsanstieg würde
also die Kosten der Banken erhöhen
während die Zinseinnahmen nur
verzögert zunehmen würden.
Risiken im Immobilienbereich sind
also ein Teilaspekt, aber nicht die
einzige Sorge, die uns beschäftigt.
Daher hat der deutsche Ausschuss für
Finanzstabilität im Mai 2019 eine
Empfehlung an die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
gegeben, den antizyklischen
Kapitalpuffer zu aktivieren. Der
antizyklische Kapitalpuffer schützt
die Banken vor zyklischen Risiken,
nicht nur vor Risiken im
Immobilienbereich. Er setzt auf
Seiten der Kreditgeber an und stärkt
so die Widerstandskraft der Banken.
Ohne einen solchen Aufbau von
Widerstandskraft in guten Zeiten,
könnten negative Schocks durch den
Bankensektor verstärkt werden. In
schlechten Zeiten kann der
antizyklische Kapitalpuffer von der
Aufsicht reduziert werden. Dadurch
würde die Kreditvergabe
stabilisiert.
Alternativ könnte man beim
Kreditnehmern ansetzen. Die Logik
wäre ganz ähnlich wie bei der
Kreditwürdigkeitsprüfung durch eine
Bank: Banken verlangen einen
bestimmten Mindestanteil an eigenen
finanziellen Mitteln bei der
Finanzierung einer Immobilie. Zudem
verlangen Banken üblicherweise die
Tilgung eines Darlehens innerhalb
eines bestimmten Zeitraums. Beides
begrenzt potenzielle Verluste.
Bessere Möglichkeiten, Verluste
durch Eigenmittel abzufedern, haben
nicht nur auf einzelwirtschaftlicher
Ebene eine stabilisierende Wirkung.
Auch für die gesamte Volkswirtschaft
können Schocks auf dem
Immobilienmarkt besser abgefedert
werden, wenn Verluste aufgefangen
werden.
Aus diesem Grund hat der Ausschuss
für Finanzstabilität dem Gesetzgeber
empfohlen, entsprechende
makroprudenzielle Instrumente zu
schaffen (Ausschuss für
Finanzstabilität 2015). Gleichzeitig
hatte der Ausschuss empfohlen, für
eine ausreichende Datengrundlage zu
sorgen, damit die Risikolage und der
mögliche Einsatz dieser Instrumente
evaluiert werden kann.
Mit dem
Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz
aus dem Jahr 2017 wurden jedoch nur
zwei der ursprünglich vier vom
Ausschuss für Finanzstabilität
empfohlenen Instrumente für den
Wohnimmobilienmarkt geschaffen.
Keines dieser beiden Instrumente ist
aktuell aktiviert. Der Ausschuss
hatte zusätzlich einkommensbezogene
Obergrenzen angeraten, die den
maximalen Schuldendienst und die
Gesamtverschuldung begrenzen. Beide
nehmen die Schuldentragfähigkeit von
Kreditnehmern in den Blick. So
könnte das Risiko gesenkt werden,
dass ein Schuldner seinen
finanziellen Verpflichtungen nicht
mehr nachkommen kann.
Ausblick
Im Moment hilft in Deutschland die
gute binnenwirtschaftliche Lage, die
Folgen einer schwächeren
weltwirtschaftlichen Entwicklung auf
den Exportsektor und auf die
Industrie abzufangen. Der Abschwung
in der Industrie setzt sich fort;
eine Belebung der Auslandsnachfrage
zeichnet sich bislang noch nicht ab.
Die Nachfrage im Inland ist hingegen
weiterhin robust: Insbesondere die
Nachfrage der privaten Haushalte
profitiert von robusten
Arbeitsmärkten und steigenden
Löhnen. Entsprechend sind auch die
Aussichten für die Baukonjunktur
weiterhin gut – Stimmungsindikatoren
und hohe Auftragseingänge senden
positive Signale. Wie lange die
binnenwirtschaftlichen
Wachstumskräfte Stand halten, ist
unsicher. Umso wichtiger ist es,
Verwundbarkeiten im Finanzsystem in
Bezug auf den Immobilienmarkt
frühzeitig zu identifizieren.
Was sind die Prioritäten für die
nächste Zeit?
Zwei Aspekte sollen in den
Vordergrund gestellt werden: Zum
einen arbeitet die Bundesbank sehr
intensiv daran, ihre
gesamtwirtschaftlichen Analysen und
Stresstests noch weiter zu
verbessern. Hierfür ist diese auf
engen Austausch mit Wissenschaft und
Praxis angewiesen – um mit den
richtigen Modellen zu arbeiten und
reichhaltiges Wissen über die
Funktionsweise von Immobilienmärkten
einfließen zu lassen.
Zum anderen werden dringend bessere
Daten über den Immobilienmarkt
gebraucht – nicht nur für die
Analyse von Stabilitätsrisiken
sondern auch für viele andere
Politikbereiche. Denn nur auf
Grundlage guter Informationen können
Auswirkungen regulatorischer
Maßnahmen im vornherein abgeschätzt
und im Nachhinein überprüft werden.
Eine solche systematische
Evaluierung von Politikmaßnahmen
hält die Vizepräsidentin der
Deutschen Bundesbank, Claudia Buch für ganz
essentiell.
Egal welche Perspektive Sie im
Einzelnen auf den Immobilienmarkt
haben – alle profitieren von
besseren Daten, wissen mehr und
verstehen den Markt besser. Das gilt
nicht zuletzt für die
Finanzindustrie selbst. Es besteht
die Hoffnung, dass die Kosten, die
von kreditfinanzierten
Immobilienblasen ausgehen können,
zukünftig ausbleiben. Angesichts der
Unsicherheiten über die zukünftige
wirtschaftliche Entwicklung kann
aber keine abschließende Sicherheit
gegeben werden. Daher zählt
weiterhin Vorbeugung. Jeder
einzelne, in dem er oder sie die
Tragfähigkeit von
Finanzierungsmodellen gründlich
prüft. Die Politik ist betroffen,
indem sie die Aufsicht
handlungsfähig hält und die noch
offenen Empfehlungen des Ausschusses
für Finanzstabilität aus dem Jahr
2015 umsetzt.
Auch wenn derzeit keine
Notwendigkeit besteht, spezielle
makroprudenzielle Instrumente für
den Wohnimmobilienmarkt zu
aktivieren, beobachtet die
Bundesbank diesen Markt weiterhin
sehr genau. Denn die stark
gestiegenen Preise bergen das
Risiko, dass die Werthaltigkeit von
Kreditsicherheiten überschätzt wird.
Im Falle einer Krise könnten die
Kreditportfolios deutscher Banken
teilweise empfindlich getroffen
werden.
Verwendete Literatur
Ando, Albert und
Franco Modigliani
(1963). The ‘Life
Cycle’ Hypothesis of Saving:
Aggregate Implications and Tests.
American Economic Review 53(1):
55-84.
Ausschuss für Finanzstabilität
(2015). Empfehlung zu neuen
Instrumenten für die Regulierung der
Darlehensvergabe zum Bau oder Erwerb
von Wohnimmobilien (AFS/2015/1).
Berlin.
Ausschuss für Finanzstabilität
(2019). Empfehlung zur Erhöhung des
antizyklischen Kapitalpuffers (AFS/2019/1).
Berlin.
Baldenius, Till, Sebastian Kohl
und Moritz Schularick (2019).
Die neue Wohnungsfrage: Gewinner und
Verlierer des deutschen
Immobilienbooms. Working Paper, Juni
2019. Bonn.
Buch, Claudia M., Edgar Vogel,
und Benjamin Weigert (2019).
Evaluating Macroprudential Policies.
ESRB Working Paper Series, Nr. 76.
European Systemic Risk Board.
Frankfurt a.M.
Wissenschaftlicher Beirat des
Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie (2018). Soziale
Wohnungspolitik. Gutachten. Berlin.
Bundesregierung (2019). Was
tut die Bundesregierung für den
Wohnungsmarkt? Online verfügbar
unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bauen-und-wohnen-1654766
(letzter Zugriff: 07.11.2019).
Berlin.
Carthaus, V. (1917). Zur
Geschichte und Theorie von
Grundstückskrisen in deutschen
Großstädten mit besonderer
Berücksichtigung von Gross-Berlin,
Jena: Gustav Fischer.
Deutsche Bundesbank (2019a).
Indikatorensystem zum
Wohnimmobilienmarkt.
https://www.bundesbank.de/de/statistiken/indikatorensaetze/indikatorensystem-wohnimmobilienmarkt
(letzter Zugriff: 07.11.2019).
Deutsche Bundesbank (2019b).
Die Preise für Wohnimmobilien in
Deutschland im Jahr 2018.
Monatsbericht Februar 71(2): 55-59.
Frankfurt a.M.
Deutsche Bundesbank (im
Erscheinen).
Finanzstabilitätsbericht 2019.
Frankfurt a.M.
Eitrheim, Oyvind, und Solveig K.
Erlandsen (2004). House Price
Indices for Norway, 1819–2003.
Historical Monetary Statistics for
Norway 1819–2003, ed. by Eitrheim,
Oyvind, Jan. T. Klovland, and Jan F.
Qvigstad, Oslo: Norges Bank, vol. 35
of Norges Bank Skriftserie /
Occasional Papers, 349–375.
Financial Stability Board (FSB)
(2017). Framework for
Post-Implementation Evaluation of
the Effects of the G20 Financial
Regulatory Reforms. Basel.
Friedman, Milton (1957). A
Theory of the Consumption Function.
Princeton University Press,
Princeton.
Hanson, Samuel G., Anil K. Kashyap,
und Jeremy C. Stein (2011). A
Macroprudential Approach to
Financial Regulation. Journal of
Economic Perspectives 25(1): 3-28.
Hellwig, Martin (2018).
Systemic Risks, Macro Shocks, and
Macro-prudential Policy. Max Planck
Institute for Research on Collective
Goods. Bonn.
Jordà, Òscar, Moritz Schularick,
und Alan. M. Taylor (2015).
Leveraged Bubbles. Journal of
Monetary Economics 76, Supplement:
S1-S20.
Mian, Atif R., und Amir Sufi
(2014). What Explains the 2007-2009
Drop in Employment. Econometrica
82(6): 2197-2223.
Mian, Atif R., Kamalesh Rao und
Amir Sufi (2013). Household
Balance Sheets, Consumption, and the
Economic Slump. Quarterly Journal of
Economics 128(4): 1687-1726.
Michelsen, Claus, und Dominik
Weiß (2010). What Happened to
the East German Housing Market? A
Historical Perspective on the Role
of Public Funding. Post-Communist
Economies 22(3): 387-409.
Merkel, Angela (2019). Rede
von Bundeskanzlerin Merkel zur 49.
Jahrestagung des
Weltwirtschaftsforums am 23. Januar
2019 in Davos. Berlin.
Piazessi, Monika und Martin
Schneider (2016). Housing and
Macroeconomics. In: Handbook of
Macroeconomics, hrsg. von John B.
Taylor und Harald Uhlig. North
Holland, Amsterdam.
Schularick, Moritz und Alan M.
Taylor (2012). Credit Booms Gone
Bust: Monetary Policy, Leverage
Cycles, and Financial Crises,
1870-2008. American Economic Review
102(2): 1029-61.
Shiller, Robert J. (2019).
Narrative Economics: How Stories Go
Viral And Drive Major Economic
Events. Princeton University Press.
Oxford und Princeton.
Sousa, Ricardo M. (2009).
Wealth Effects on Consumption:
Evidence from the Euro Area, ECB
Working Paper 1050. Frankfurt a. M.
Statistisches Bundesamt
(2019a). Von Eigentümern bewohnte
Wohnungen (Eigentümerquote) 2018.
Wiesbaden.
Statistisches Bundesamt
(2019b). Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnungen.
Inlandsproduktberechnung. Lange
Reihen ab 1970. Fachserie 18, Reihe
1.5. Wiesbaden.
Statistisches Bundesamt
(2019c). Wirtschaftsrechnungen.
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
Geld- und Immobilienvermögen sowie
Schulden privater Haushalte.
Fachserie 15, Heft 2. Wiesbaden.
Statistisches Bundesamt
(2019d). Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnungen.
Inlandsproduktberechnung.
Detaillierte Jahresergebnisse 2018.
Fachserie 18, Reihe 1.4. Wiesbaden.
Tobin, James (1980). Asset
Accumulation and Economic Activity:
Reflections on Contemporary
Macroeconomic Theory. University of
Chicago Press, Chicago.
Foto (c)
Kulturexpress, Meldung: Deutsche
Bundesbank
Siehe auch:
Immobilienmarkt und Finanzstabilität
- Teil 1
Siehe auch:
Immobilienmarkt und Finanzstabilität
- Teil 2