Kritische Edition

Kritische Hugo von Hofmannsthal Ausgabe veröffentlicht

Die umfangreichste Kritische Gesamtausgabe zu einem deutschsprachigen Autor des 20. Jahrhundert ist nach 55 Jahren editorischer Arbeit abgeschlossen. Rund 1.100 Werke und Werkpläne sind in 40 Bänden mit 28.500 Druckseiten dokumentiert.

Am 22. Februar 2022 erscheint im S. Fischer Verlag der Schlussstein eines Jahrhundertprojekts: Mit der kommentierten Edition der späten Essays von Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929) ist die umfangreichste kritische Gesamtausgabe zu einem deutschsprachigen Autor des 20. Jahrhunderts abgeschlossen. Die Ausgabe wurde seit 1967 im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main erarbeitet, wo ein Großteil des Nachlasses verwahrt wird. Sie umfasst 28.500 Druckseiten und dokumentiert knapp 1.100 Werke und Werkpläne, herausgegeben von insgesamt 32 Bearbeiterinnen und Bearbeitern.

Die Kritische Ausgabe umfasst – in neun Werkgruppen aufgeteilt – die Wiedergabe aller von Hofmannsthal veröffentlichten und nachgelassenen Werke, Fragmente und Notizen. Der kritische Apparat stellt die Entstehungsgeschichte der Texte anhand von Briefen, Tagebüchern sowie anderen Aufzeichnungen dar. Texterläuterungen bieten Wort- und Sachkommentare sowie Hinweise auf Anspielungen und Parallelstellen im Werk Hofmannsthals. Der nun erscheinende letzte Band ‚Reden und Aufsätze 4 / 1920 –1929‘enthält rund 120 Texte, darunter die berühmte Rede ‚Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation‘ (1927), Schriften zu Theater, Literatur und Kino, mehrere Programmschriften für die Salzburger Festspiele sowie Reiseessays.

Finanziell maßgeblich gefördert wurde die Ausgabe in den Jahren 1969 – 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seither wurde sie großzügig von der S. Fischer Stiftung (Berlin), dem Deutschen Literaturfonds e.V. (Darmstadt) und privaten Förderern unterstützt. Ermöglicht wurde dieses Großprojekt durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den S. Fischer Verlagen. Das persönliche Engagement der Verlegerin Monika Schoeller (1939 – 2019) hat das Unternehmen entscheidend unterstützt.

Auch nach dem Abschluss der Ausgabe wird sich das Freie Deutsche Hochstift der Erforschung und Vermittlung von Hofmannsthals Werk und Lebenswelt widmen. In Kürze beginnt die Digitalisierung des Handschriftenbestandes, eine Online-Fassung der Kritischen Ausgabe wird sich anschließen. Bis zu den Feierlichkeiten des 150. Geburtstags im Jahr 2024 sind weitere Projekte in Arbeit.

Zum Abschluss der Kritischen Hugo von Hofmannsthal-Ausgabe laden das Freie Deutsche Hochstift gemeinsam mit der S. Fischer Stiftung, dem S. Fischer Verlag und der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft am 22. Februar 2022, 19 Uhr zu einer Online-Veranstaltung ein. Zu Wort kommen langjährige Projektbeteiligte und prominente Gratulanten.

Zum Abschluss der Kritischen Hofmannsthal-Ausgabe – Termine – Deutsches Romantik-Museum

 

Entstehungsgeschichte der Kritischen Ausgabe zu Hugo von Hofmannsthal

Wenige Autoren der europäischen Moderne haben ein derart vielgestaltiges Werk hinterlassen wie Hugo von Hofmannsthal. Er schrieb Gedichte, Totentänze und Erzählungen, Lustspiele und Tragödien, Ballette, Pantomimen und Filmszenarien, die berühmten Opernlibretti für Richard Strauss (u.a. ‚Der Rosenkavalier‘, ‚Ariadne auf Naxos‘) sowie eine große Anzahl an Reden und Essays. Die Fülle literarischer Ausdrucksformen speiste sich aus einem beispiellosen Interesse am Experimentieren mit vorgefundenen Stoffen, am Erproben unterschiedlicher Gattungen und Sprechweisen. „Ich verließ jede Form, bevor sie erstarrte“, heißt es bei ihm an einer Stelle.

Hofmannsthals experimentelle Arbeitsweise bringt es mit sich, dass der umfangreiche Nachlass mit Textvarianten, Entwürfen und Aufzeichnungen einen bedeutenden Teil des Werks ausmacht – knapp 430 publizierte Werke stehen rund 660 Entwurfskonvoluten gegenüber. Ein großer Teil der überlieferten Handschriften sowie die annotierte Arbeitsbibliothek befinden sich im Freien Deutschen Hochstift, wo die Bestände seit über 50 Jahren erforscht und an die Öffentlichkeit gebracht werden. Im Zentrum steht die Kritische Ausgabe der Sämtlichen Werke, die seit 1967 erarbeitet wurde.

Für die Idee einer Kritischen Gesamtausgabe warb schon Rudolf Borchardt am Tag von Hofmannsthals Beerdigung im Juli 1929. In den Folgejahren brachte die Familie im S. Fischer-Verlag mehrere Werk- und Briefausgaben heraus. Weitere Projekte wurden durch den Nationalsozialismus verhindert, zumal die Familie 1939 emigrieren musste. Von 1945 bis 1959 konnte im S. Fischer Verlag eine 15-bändige Leseausgabe erscheinen, die unter schwierigen Bedingungen in den USA erarbeitet wurde. Sie machte Hofmannsthals Werk erstmals in ganzer Breite sichtbar, konnte jedoch den umfangreichen Nachlass nicht angemessen berücksichtigen.

Ab 1963 verhandelten die Familie und der S. Fischer Verlag mit dem Freien Deutschen Hochstift über das Projekt einer kritischen Gesamtausgabe. 1967 wurde eine zentrale Redaktion eingerichtet, die in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam die Ausgabe verwirklichte. Von 1969 bis 2008 wurde die Ausgabe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, seitdem unterstützten der Deutsche Literaturfonds (Darmstadt) und vor allem die S. Fischer Stiftung (Berlin) die Editionsarbeit.

Gemeinsam mit der Internationalen Hofmannsthal-Gesellschaft, die ihren Sitz ebenfalls im Freien Deutschen Hochstift hat, war und ist die Arbeitsstelle der Kritischen Ausgabe für Forschende aus aller Welt Anlaufstelle für ihre Fragen zu Werk und Biographie. Drei Personen sind besonders zu nennen: Rudolf Hirsch (1905 – 1996), ehemals Geschäftsführer des S. Fischer Verlags, der über lange Zeit als spiritus rector der Ausgabe fungierte, die Verlegerin Monika Schoeller (1939 – 2019), die das Unternehmen bis zuletzt durch ihr persönliches Engagement entscheidend gestützt hat sowie Prof. Dr. Heinz Rölleke (*1936), der die Ausgabe seit 1989 als Projektleiter verantwortet und auch durch die Betreuung zahlreicher Dissertation und einer Habilitation entscheidend zum Erfolg des Projekts beitrug. Zu nennen ist schließlich Ellen Ritter (1943 – 2011), die in ihrer Dienstzeit als Editorin 7.000 Druckseiten Edition erarbeitete und maßgeblich dafür verantwortlich war, dass das Freie Deutsche Hochstift ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit Hofmannsthal wurde und blieb.

Der letzte Band ‚Reden und Aufsätze 4 / 1920 – 1929‘

Der letzte Band ‚Reden und Aufsätze 4 / 1920-1929‘ umfasst knapp 120 Texte, darunter die berühmte Rede ‚Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation‘ (1927), Hofmannsthals tastender Versuch einer Kulturdiagnose in einer Zeit der Umbrüche. Ferner enthält der Band Schriften zu Theater und Literatur in ihren historischen und aktuellen Ausprägungen, einen wichtigen Text zum Kino, mehrere Programmschriften für die Salzburger Festspiele sowie Reiseessays (Sizilien, Marokko). Bemerkenswert sind auch fünf Berichte aus dem Wiener Kulturleben, die für die amerikanische Zeitschrift ‚The Dial‘ entstanden und in denen sich Hofmannsthal u.a. zu Sigmund Freud äußert.

Zur Edition

Die Ausgabe der  Edition sehen die Wiedergabe aller von Hofmannsthal veröffentlichten und nachgelassenen Werke, Fragmente und Notizen vor. Aufgeteilt ist die Kritische Ausgabe in neun Werkgruppen: Gedichte, Dramen, Operndichtungen, Ballette – Pantomimen – Filmszenarien, Erzählungen, Roman – Biographie, Erfundene Gespräche und Briefe, Reden und Aufsätze, Aufzeichnungen – Herausgebertätigkeit. Geboten werden die Werke in der beim Abschluss des genetischen Prozesses erreichten Gestalt. Der kritische Apparat stellt die Entstehungsgeschichte der Texte dar, erfasst sämtliche Überlieferungsträger, gibt die Notizen und Entwürfe wieder und verzeichnet die Varianz. Er bietet Zeugnisse zur Entstehung aus Briefen, Tagebüchern sowie anderen Aufzeichnungen Hofmannsthals und seiner Zeitgenossen. Die Texterläuterungen bringen neben Wort- und Sachkommentaren vor allem Zitat- und Quellennachweise sowie Hinweise auf Anspielungen und Parallelstellen im Werk Hofmannsthals.

Die Herausgeber

Anne Bohnenkamp, Heinz Otto Burger †, Rudolf Hirsch †, Clemens Köttelwesch †, Detlev Lüders †, Mathias Mayer, Christoph Perels, Edward Reichel, Heinz Rölleke, Martin Stern, Ernst Zinn †

Weitere Herausgeber und Herausgeberinnen
Johannes Barth, Werner Bellmann, Ingeborg Beyer-Ahlert, Klaus E. Bohnenkamp, Peter Michael Braunwarth, Hans-Georg Dewitz, Jürgen Fackert, Roland Haltmeier, Konrad Heumann, Dirk O. Hoffmann, Manfred Hoppe, Götz E. Hübner, Katja Kaluga, Hans-Albrecht Koch, Klaus-Dieter Krabiel, Hans H. Lendner, Christoph Michel, Donata Miehe, Michael Müller, Klaus G. Pott, Ursula Renner, Jutta Rißmann, Ellen Ritter, Catherine Schlaud, Gisela Bärbel Schmid, Willi Schuh, Andreas Thomasberger, Olivia Varwig, Eugene Weber

Meldung: Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main

Siehe auch: Österreichs Antwort - Hugo von Hofmannsthal im Ersten Weltkrieg

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 19. Februar 2022