Der Umgang mit Ernst Jüngers
literarischem Werk hat in den
vergangenen Jahren zunehmend an
Bedeutung gewonnen, wobei es
angeblich rechte Kreise sind, die
den aporetischen Duktus seiner
Utopien und Staatskonzepte
ignorieren. Aporetik bezeichnet die
Auseinandersetzung mit schwierigen
philosophischen Fragen und
Problemstellungen. Insbesondere ist
die Aporetik zuständig, um Probleme
der Kunst als solche ohne Rücksicht
auf ihre mögliche Lösbarkeit oder
Unlösbarkeit zu untersuchen und zu
durchdenken. Schon in der Scholastik
fand die aporetische Methode Eingang
in die Philosophie des Mittelalters.
In der Rhetorik, als deren Begründer
Aristoteles gilt, ist die aporia
eine Redefigur, welche die
Zweifelhaftigkeit einer Aussage
durch den Sprecher verdeutlicht.
Die Jünger-Rezeption,
so unterstreicht die Forschung, habe
Ernst Jüngers mythisch intendierte
Ästhetik bisher zu sehr außer Acht
gelassen. So untersucht Marion E.
Preuß dessen Produktionsästhetik
mithilfe einer
raumphänomenologischen Analyse. Sie
nimmt die mythisch präfigurierte
Räumlichkeit seiner urbanen Utopien
"Auf den Marmorklippen" (1939),
"Heliopolis" (1949), "Eumeswil"
(1977) und "Aladins Problem" (1983)
in den Blick, wobei sie auf der
Topophilie-Theorie Gaston Bachelards
und aus dessen Werk "Poetik des
Raumes" (1957) aufbaut und sich auf
gängige Mythos- und Raumtheorien
bezieht. Die Autorin erklärt, damit
würde um so mehr Jüngers leerer
Ritualismus verdeutlicht. Möglich
wird aber auch, dass seine
ästhetische Systematik bis ins
Spätwerk hinein zu beschreiben sei,
was in der bisherigen
Jünger-Forschung so nicht geleistet
wurde.
Das Werk und
die Person Ernst Jüngers ist in
vieler Hinsicht ein Arbeiten am
politischen, historischen wie auch
menschlichen Abgrund. Sein Werk gilt
als unsystematisch, hochhermetisch
und widersprüchlich. So fungiere der
gestaltete urbane Raum bei Jünger
als Vehikel seiner mythischen Denk-
und Erzählweise. Die Betrachtung der
topologischen, topographischen und
zeitlichen Phänomene und der Figuren
bestätigt den aporetischen Charakter
seines Werkes, sagt die Autorin
weiter. Um den Stadtmythos bei Ernst
Jünger näher zu umschreiben, zitiert
sie Christoph Perels, der dies als
Prozess beschreibt, der sich von
1890 an bis zum Beginn der dreißiger
Jahre erstreckt. Diesem Zeitgeist
folgt Jünger. Die Großstadt hat
aufgehört, gleichgültig zu sein. Ab
1910 wandelt sich die Vorstellung,
indem die Schriftsteller mitten in die
Stadt hineingehen und sie zum
unermesslichen Erfahrungsraum
machen. Mir ist die kritische
Hinterfragung von Architektur der
Moderne bei Ernst Jünger in
Erinnerung geblieben und das Bild,
wonach ein Mensch, der vom Mond aus
auf die Erde blickt, statt gebauter
Häuser mit individuellem Charakter
nur noch Bauten aus der Ferne
erkennt, die wie Speicher
aussähen, gleichförmig und ohne ein
Unterscheidungsmerkmal nebeneinander
stehend und schnell
wie Pilze wachsend.
Marion E. Preuß promovierte in
Neuerer deutscher Literatur an der
Ludwig-Maximilians-Universität
München und an der Queen Mary
University of London. Ihre
Forschungen beschäftigen sich mit
der Mythostheorie und der Literatur
der 1920er Jahre mit Schwerpunkt auf
Ernst Jünger. Sie arbeitet als
Sachbuchlektorin bei Random House.
Im Buch blättern...
Urbane Utopien
Eine
raumphänomenologische Analyse des
Stadtmythos bei Ernst Jünger
von Marion E. Preuß
Schwabe Verlag, Basel
1. Auflage, 2020
Broschiert, 392 Seiten
Größe: 22,1 x 15,1 x 3.2 cm
ISBN: 978-3-7965-4210-7
Siehe auch:
Publikation: Das Neue Frankfurt als
Großstadtutopie