Das Avantgardeprojekt
des Neuen Frankfurt hat mittlerweile
einiges an allgemeiner
Bekanntheit erreicht. Räumlich entfernt vom
Bauhaus verfolgte das Frankfurter
Planungsdezernat ein
praxisorientiertes
Gestaltungsprogramm, das besonders
die Mainstadt in der zweiten Hälfte
der 1920er Jahre zu einer Stadt der
Moderne aufsteigen ließ. Das
ehrgeizige Ziel war eine Definition
universal gültiger Normen in
Architektur, Städtebau und Design. Mehrere Akteure
des Neuen Frankfurt emigrierten und stellten ihr Können im Ausland unter Beweis –
nach 1945 remigrierten die gleichen Konzepte mit eben jenen
Architekten wieder zurück nach Deutschland.
Der Autor Dr.
C. Julius Reinsberg verfolgt in seiner
2017 vorgelegten und aktuell veröffentlichten Dissertation „Das
Neue Frankfurt: Exil und Remigration.
Eine Großstadtutopie als kulturelles
Transfergut“ exemplarisch
Lebenswege und berufliches
Wirken der Architekten Martin
Elsaesser, Ferdinand Kramer, Ernst
May und Margarete Schütte-Lihotzky:
„Die Studie zeigt die Konstanz und
Dynamik einer Frankfurter Bauutopie
über mehrere Jahrzehnte und über
Ländergrenzen und Kontinente hinweg.
Sie leistet damit nicht nur einen
Beitrag zur Geschichte des Neuen
Frankfurt, das bis heute das
Stadtbild prägt, sondern auch zu
Prozessen des Kulturtransfers, zur
Geschichte von Exil und Migration“,
unterstrich Kulturdezernentin Dr.
Ina Hartwig die Bedeutung der
Publikation bei der Buchvorstellung
im Institut für Stadtgeschichte.
Reinsbergs
Arbeit gliedert sich in drei Teile
und beginnt mit den 1920er Jahren in
Frankfurt am Main. Die vier
Architekturexperten beeinflussten
unter der Leitung von
Planungsdezernent Ernst May
mit ihrer Arbeit die neuen Siedlungen
Frankfurts in sachlich-schlichter
Formensprache. Weltwirtschaftskrise
und NS-Diktatur, die diese Art der
Modernisierung vehement ablehnte,
setzten diesem Städtebau in
Deutschland ein Ende.
Viele Namen des Neuen Frankfurt
konnten ihr Renommee nutzen, um im
Ausland neue Betätigungsfelder zu
finden. Im zweiten Teil seiner
Studie folgt Reinsberg diesen vier
Architekten während der Emigration
und verdeutlicht damit den Transfer
der Expertenkultur des Neuen
Frankfurt und die Implementierung
der Bauformen in anders geartete
politische Kontexte. „Dabei wurde
deutlich, dass die demokratische
Staatsform der Weimarer Republik
kein Teil dieses Transfers war,
sondern sich die Baukultur des Neuen
Frankfurt auch mit totalitären
Staatsformen kombinierbar zeigte“,
beschreibt Reinsberg ein zentrales
Ergebnis seiner Studie. May und Schütte-Lihotzky gingen schon 1930
in die UdSSR, um dort am
sowjetischen Städtebau mitzuwirken.
May verließ die Sowjetunion 1934 und
verwirklichte im Anschluss
Bauprojekte in Ostafrika.
Schütte-Lihotzky ging 1938 in die
kemalistische Türkei, wo sie unter
anderem prototypische Kindergärten
betreute. Ihre Beteiligung am
österreichischen Widerstand gegen
den Nationalsozialismus führte 1941
zu ihrer Verhaftung in Wien.
Ferdinand Kramer emigrierte 1938 in
die Vereinigten Staaten, wo er bis
1952 als Architekt und
Produktdesigner tätig war. Martin
Elsaesser verließ das Frankfurter
Hochbauamt 1932 und wurde während
der NS-Herrschaft weitgehend von
Bauaufträgen ausgeschlossen.
Der dritte
Abschnitt der Studie gilt der
Remigration eines Internationalen
Stils des Neuen Frankfurt nach 1945.
Ernst May remigrierte 1954 in die
Bundesrepublik Deutschland, wo er in
leitender Position für die
Wohnbaugesellschaft Neue Heimat
arbeitete. Ferdinand Kramer kam 1952
nach Frankfurt zurück und wurde
Baudirektor der Goethe-Universität.
Er prägte das Frankfurter Stadtbild
erneut mit Versatzstücken des Neuen
Frankfurt und seinem
US-amerikanischen Erfahrungsschatz.
Im Gegensatz zu Kramer und May
konnte Margarete Schütte-Lihotzky
nach 1945 weder in der
BRD noch in der DDR
beruflich Fuß fassen. Ihre in den
1920er Jahren entwickelte
„Frankfurter Küche“ war der
Prototyp der Einbauküche und
entfaltete einen Wirkungsgrad
wie kein anderer Neufrankfurter
Entwurf. Martin Elsaesser arbeitete
nach dem Zweiten Weltkrieg
überwiegend nur noch theoretisch als
Dozent an der TH München.
„Die Studie fußt auf einer
ausgesprochen breiten und
differenzierten Quellenbasis“,
betonte Franziska Kiermeier,
Leiterin der Abteilung
Zeitgeschichte im Institut für
Stadtgeschichte, bei der
Buchvorstellung. Reinsberg konnte
sich in seiner Arbeit neben den
beruflichen und privaten Nachlässen
der vier Architekten auch auf die
personengeschichtliche Sammlung
sowie die kommunalen
Verwaltungsakten im Institut für
Stadtgeschichte stützen. Zudem
wertete er publizistische
Aktivitäten der untersuchten Akteure aus und besichtigte
und erfasste fotografisch die Bauten
in Frankfurt am Main und weltweit.
Die
Dissertation wurde 2017 mit dem
„Johann Philipp von
Bethmann-Studienpreis“
ausgezeichnet. Sie wurde von Dr.
Evelyn Brockhoff im Auftrag der
Frankfurter Historischen Kommission
in Verbindung mit der Gesellschaft
für Frankfurter Geschichte e. V. und
dem Institut für Stadtgeschichte
Frankfurt am Main herausgegeben und
erschien als Band 67 der „Studien
zur Frankfurter Geschichte“.
Das Neue Frankfurt: Exil und
Remigration
Eine Großstadtutopie als kulturelles
Transfergut
Autor: C. Julius Reinsberg
Societäts Verlag, Frankfurt am Main
1. Auflage, 2019
gebunden, 336 Seiten
Größe: 18 x 24,4 x 3,5 cm
ISBN: 978-3-95542-352-0