Ausstellung
SAM Basel vom 25. November 2023 - 07. April 2024 |
Was wäre wenn –
Ungebaute Architektur in der
Schweiz
|
Wenige
Länder geben
ihrer
Bevölkerung
ein derart
weitreichendes
demokratisches
Mitbestimmungsrecht
bei der
Umsetzung
von
Architektur
und
Städtebau
wie die
Schweiz.
Dies hat
einerseits
eine
weltweit
einmalige
demokratisch
getragene
Architektur
hervorgebracht,
andererseits
aber auch
zahlreiche
Projekte
einer
möglichen
Baugeschichte
des Landes
verhindert.
Ob verloren,
verneint,
versackt
oder
verändert –
es gibt eine
Unzahl an
Architekturentwürfen,
die in der
Schweiz bis
heute von
sich reden
machen,
obwohl sie
nie
ausgeführt
wurden.
Diese
herbeigesehnten,
aber nicht
realisierten
Werke sind
keine
Einzelschicksale,
sondern
gehören zum
Alltag jedes
noch so
erfolgsverwöhnten
Architekturbüros.
Im Dialog
mit fast
zwei Dutzend
Architekturinstitutionen
aus allen
Landesteilen
präsentiert
die
Ausstellung
‹Was wäre
wenn› eine
repräsentative
Auswahl aus
diesem
schier
unendlichen
Fundus. Die
Summe der
Projekte
zeichnet das
Bild einer
alternativen
Schweiz, in
der der Mut
zur Utopie
größer ist
als die
Angst vor
Fehlern.

|
Frank Gehry,
The
Competition,
2013 © Angel
Borrego
Cubero |
Unser Leben
wird von
einer
Vielzahl
bewusster
und
unbewusster,
rationaler
und
irrationaler
Entscheidungen
bestimmt,
die wir
selbst
treffen oder
die andere
fällen. So
wie wir,
gehen auch
Architekturprojekte
einen
nicht-linearen
Weg: Sie
schreiten
voran,
zweigen ab,
kehren um
oder bleiben
stehen.
Tatsächlich
wird viel
mehr
Architektur
entworfen
als
letztendlich
gebaut.
Selbst in
einem Land
wie der
Schweiz mit
ihrer
intensiven
Bautätigkeit
stellt das
Gebaute also
nur die
Spitze des
Eisbergs
dar. Die
Ausstellung
‹Was wäre
wenn› lenkt
die
Aufmerksamkeit
auf den
schlafenden
Riesen unter
der
Oberfläche,
denn
möglicherweise
verkörpert
er das Wesen
der
Architektur
noch mehr
als das, was
materielle
Gestalt
annimmt.
Raum 1
|

|
|
Poster, The
Competition,
2013 |
Als Prolog
zur
eigentlichen
Ausstellung
nimmt Raum 1
die Form
eines ‹Salon
des refusés›
an, in dem
Projekte,
die nicht
zur
Realisierung
zugelassen
wurden,
ausgestellt
und im
Rahmen des
Vermittlungsprogramms
des S AM zu
neuen
Entwürfen
geformt
werden. Eine
Hommage an
den
leidenschaftlichen
Idealismus,
mit dem
Architektinnen
und
Architekten
unermüdlich
immer wieder
neue
Projekte
generieren.
Die
Architektin
Farshid
Moussavi
vergleicht
das
Wettbewerbswesen
in der
Architektur
mit
Wettkämpfen
im
Leistungssport:
«Leistungssportarten
brechen
bestehende
menschliche
Grenzen und
stellen
Rekorde für
körperliche
Fähigkeiten
auf. Ebenso
sind
Architekturwettbewerbe
Einladungen,
konzeptionelle
Sprünge zu
machen ...»
Mit ihrer
Analogie
verschweigt
die
Architektin
nicht, dass
architektonische
Wettbewerbe,
genauso wie
sportliche,
Entbehrungen
abverlangen.
Die
schlaflose
‹Charrette›
vor
Abgabeterminen
und die
nervenzehrende
Arbeitsleistung,
die mit
solchen
Wettbewerben
verbunden
sind,
scheinen
vorprogrammiert
und wurden
Teil einer
ganz eigenen
Mythenbildung.
Der
Dokumentarfilm
‹The
Competition›
fängt die
angespannten
Abläufe von
Architekturwettbewerben
als
unbehagliche
Erzählung
ein, die –
Achtung
Spoiler –
mit dem
Misserfolg
aller
Beteiligten
endet.
Filmbeitrag
(Projektion)
Der
Dokumentarfilm
‹The Competition›
ist ein
spannungsgeladener
Bericht über
den
Wettstreit
zwischen
einigen der
weltweit
bekanntesten
Architekt*innen
um den
Zuschlag für
das
zukünftige
Nationale
Kunstmuseum
in Andorra.
Es ist der
erste
Architekturwettbewerb,
der so
unnachgiebig
und
detailliert
dokumentiert
wurde.
Während der
dreimonatigen
Entwurfsarbeit
für die
verschiedenen
Projekte
spielte sich
hinter den
Kulissen ein
Machtkampf
zwischen den
Architekt*innen
und dem
Bauherrn ab.
Dieser hatte
auch
Auswirkungen
auf den Grad
der
Transparenz,
den jedes
Büro dem
anwesenden
Dokumentarfilmteam
gewährte,
und schlug
sich
folglich auf
das im Film
gezeigte
Material
nieder.
The
Competition
(2013)
Frank Gehry, Jean
Nouvel, Zaha
Hadid,
Dominique
Perrault,
Norman
Foster*
Regie: Angel
Borrego
Cubero
Technische
Leitung und
Schnitt:
Simon Lund
Musikalische
Gestaltung
und
Produktion:
César
Bartolomé
Produktion:
Office for
Strategic
Spaces (OSS)
*Norman
Foster
verließ den
Wettbewerb
nach einer
Änderung der
Regeln, die
die
Produktion
des Films
erst
ermöglichte.
Re-Modell
(Modellregal)
Nicht nur
verlorene
Wettbewerbe
bringen
alternative
Szenarien
hervor, auch
in der
normalen
Projektentwicklung
gibt es eine
Vielzahl von
verworfenen
Entwürfen,
aus denen
wichtige
Erkenntnisse
gewonnen
werden, die
in
nachfolgende
Planungsphasen
einfließen.
So gesehen,
wächst das
Gebaute ganz
wesentlich
aus dem
Humus des
Ungebauten.
Es ist wohl
dieses
Wissen, das
die Trauer
über den
Verlust
eines
möglichen
Bauwerks mit
der
Vorfreude
auf ein
neues
Projekt
kompensiert.
In diesem
‹therapeutischen›
Raum wurden
ausrangierte
Modelle aus
Architekturbüros
(wir danken u.a. Salathé
Architekten
Basel) und
Hochschulen
(wir danken
u.a. dem
Institut
Architektur
FHNW)
gesammelt,
um im
Verlauf der
Ausstellung
zu neuen
Hoffnungsträgern
umgestaltet
zu werden.

|
Bundeshauserweiterung,
Mario Botta,
Bern,
1991-1993 ©
Mario Botta
Architetti |
Raum 2–4
Siegeschancen
bei
Wettbewerben
sind
naturgemäß
gering: Nur
Eine(r) kann
gewinnen.
Aber auch
ein
ausgezeichnetes
Wettbewerbsprojekt
kann
gestoppt
werden. In
der Schweiz
eben auch
durch
weitreichende
direktdemokratische
Entscheidungsmöglichkeiten,
etwa in Form
einer
Volksabstimmung.
Doch selbst
ein
angenommenes
Projekt kann
in der
Planungs-
oder
Genehmigungsphase
stagnieren,
in einer
Schublade
landen – und
dort auf
Wiederbelebung
hoffen. Um
eine
möglichst
repräsentative
Auswahl
solcher
Projekte zu
treffen,
haben wir
eine
Vielzahl von
Schweizer
Institutionen
kontaktiert,
in denen
Architektur
ausgestellt
und vor
allem auch
diskutiert
wird. Wir
haben
nachgefragt,
welche
unrealisierten
Bauten in
ihrer Region
− unabhängig
davon, ob
sie positiv
oder negativ
konnotiert
sind − im
regelmäßigen
Austausch
mit ihren
Besucherinnen
und
Veranstaltungsteilnehmern
wiederholt
thematisiert
werden.

Jedem
Projekt ist
in der
Ausstellung
ein Tisch
gewidmet auf
dem Pläne,
Skizzen,
Modelle und
weiteres
Präsentationsmaterial
zu sehen
ist. Das S
AM wird
somit zu
einer Art
Großraumbüro
in dem man
chronologisch
von Projekt
zu Projekt
wandeln
kann. Dieses
Format
erlaubt es
nicht nur
eine
informative,
sondern auch
eine
emotionale
Ebene zu
vermitteln,
die bei der
Bearbeitung
der Projekte
zu vermuten
waren: ein
zerknäultes
Stück
Papier,
Souvenirs
aus der
Region des
Projekts,
Referenzbücher,
Zeitungsartikel,
Objekte die
den
Zeitgeist
vermitteln,
etc. Die
Besucher*innen
sind
eingeladen,
sich,
genauso wie
der Kurator
der
Ausstellung,
anhand
dieser
Indizien ein
Bild des
Geschehenen
(bzw.
Nicht-Geschehenen)
zu machen.

Beobachtungen
zur
Ausstellung
Ungebaute
Projekte
leisten
einen
unerwartet
hohen
Beitrag zur
räumlichen
Kultur.
Architektinnen
und
Architekten
erkunden
damit unter
anderem das
Limit des
Machbaren,
Tolerierbaren
und
Realisierbaren.
Viele
Entwürfe
sind zu
aufschlussreichen
Experimenten
geworden,
deren Mut
regelrecht
ansteckend
ist. Das
durch diese
Ausstellung
generierte
Alternativbild
einer
Schweiz, die
es nie
gegeben hat,
ist von
großem Wert
für die
Betrachtung
der heutigen
gebauten
Schweiz und
ihrer
Entscheidungsprozesse.
Es zeigt das
Vertraut-Unvertraute
und
untersucht
den
emotionaltraumatischen
Moment einer
unterbrochenen
Handlung.
«Doch diese
spannende
Projektabfolge
ist weder
eine von
Italo
Calvino
herbeigesehnte
Stadt noch
eine
mögliche
Blaupause
für unsere
herausfordernde
Zukunft»,
erklärt
Ausstellungskurator
Andreas
Kofler:
«Auch in
dieser
Parallelwelt
wird
gerodet,
abgerissen,
betoniert,
verbraucht,
zersiedelt.
Es ist ein
Land, das
vorwiegend
von Männern
geplant und
gebaut
wurde, die
bis zu einem
gewissen
Punkt sogar
exklusiven
Zugang zur
direkten
Demokratie
hatten.
Unsere
Alternativschweiz
amplifiziert
also nicht
nur die
Wünsche,
Ambitionen
und den Mut,
sondern auch
die mit der
jeweiligen
Zeit
verbundenen
Unkenntnisse
und
Defizite.»
Aber es wäre
unfair, sie
pauschal zu
verurteilen,
denn –
vereinfacht
gesagt – man
ist im
Nachhinein
immer
schlauer.
Diese
Zeitreise
soll uns
hingegen
dazu
anregen,
darüber
nachzudenken,
wie
zukünftig
auf unsere
heutigen
Entscheidungen
und
Handlungen
zurückgeblickt
werden wird.
Unser
Zeitalter
des Wissens
verlangt ein
Handeln auf
der
Grundlage
dieses
Wissens,
wobei der
Schwerpunkt
der
Architektur
eher auf der
Transformation
des
Bestehenden
als auf dem
Neuen liegen
sollte. So
sind wir uns
bewusst,
dass die
Projekte in
dieser
Ausstellung
paradoxerweise
die
klimaneutralsten
sind, die
wir bisher
im S AM
gezeigt
haben. Denn
sie wurden
nie gebaut.
Projektkooperation
Schweizweite
Vernetzung
Um die
Debatte über
das
Verhältnis
zwischen dem
Gedachten
und dem
Gebauten in
der
Architektur
möglichst
breit zu
führen, hat
das S AM für
Ausstellung
und
Publikation
die
Zusammenarbeit
mit einem
breiten
Netzwerk
architekturausstellender
und -
diskutierender
Institutionen
gesucht und
sie zu
Ko-Kurator*innen
gemacht.
Dafür hat
der Kurator
der
Ausstellung,
Andreas
Kofler, die
baukulturelle
Landschaft
der Schweiz
inventarisiert
und
schlussendlich
zwanzig
Institutionen
(das S AM
inkl.) für
die
Zusammenarbeit
gewinnen
können. Wir
fragten,
welche
nicht-realisierten
Bauwerke in
ihrer Region
– egal ob
positiv oder
negativ
konnotiert –
in
regelmäßigen
Abständen im
Austausch
mit ihren
Besucherinnen
und
Veranstaltungsteilnehmern
immer wieder
zur Sprache
kommen. Fast
so, als ob
sie als
schwereloses
Mahnmal in
den Köpfen
gebaut
wurden. Die
Auswahl gibt
Einblick in
die
Verschiedenartigkeit
der
Bauvorhaben
in der
Schweiz, sei
es in ihrer
Maßstäblichkeit,
ihrer
Bauaufgabe
oder ihrer
Herausforderungen.
Eine solch
schweizweite
Zusammenarbeit
zwischen
Institutionen,
die
Architektur
vermitteln
und
ausstellen,
findet in
dieser Form
erstmals
statt und
resultiert
auch in
einigen
Veranstaltungen
vor Ort, die
Teil des
Rahmenprogramms
sind. Die
durch das S
AM
vorangetriebene
Bildung
eines
gesamtschweizerischen
Netzwerks
architekturvermittelnder
Institutionen
manifestiert
sich auch
über diese
Kooperation
hinaus in
diversen
Projekten.
Ziel ist es,
dass das
Netzwerk die
Protagonist*innen
aus der
ganzen
Schweiz
zusammenbringt,
so dass
diese ihre
Synergien
bündeln
können und
der Regionen
übergreifende
Diskurs
ermöglicht
und angeregt
wird. Das S
AM nimmt
hier als
schweizweit
agierende
Institution
eine
zentrale
Rolle ein
und schlägt
in der
Vermittlung
von Themen
einer
nachhaltigen
Baukultur
eine Brücke
zwischen
Fachkreisen
und einer
breiten
Öffentlichkeit.
Den hier
vertretenen
Institutionen
mit ihren
vielen
leidenschaftlich
aktiven
Vertreter*innen
danken wir
aufrichtig
und fragen:
"was wäre,
wenn wir
schon bald
wieder mit
einem
Projekt
schweizweit
unterwegs
sind?" Die
Ausstellung
entstand im
Dialog mit:
Architektur
Forum
Ostschweiz,
Architekturforum
Biel / Forum
de
l’architecture
Bienne,
Architekturforum
im
Touringhaus
Solothurn,
Architekturforum
Obersee,
Architekturforum
Thun,
Architekturforum
Zürich,
ArchitekturForumBern,
Archives de
la
construction
moderne (Acm)
und
Archizoom,
Archivio del
Moderno,
BauForumZug,
Das Gelbe
Haus, FAR
Forum
d’Architectures,
Forum
Architektur
Winterthur,
Glarner
Architekturforum,
gta
Exhibitions,
Istituto
Internazionale
di
Architettura
(i2a),
Fondation
Pavillon
Sicli,
Schaffhauser
Architektur
Forum,
Teatro
dell’architettura,
ZAZ
Bellerive –
Zentrum
Architektur
Zürich.
Anlässlich
der
Ausstellung
erscheint im
Christoph
Merian
Verlag (CMV)
eine
gleichnamige,
zweisprachige
(Deutsch/Englisch)
Publikation.
Sie
beinhaltet
Beschreibungen
und
Bebilderung
zu den 23
Projekten,
die im
Gegensatz
zur
Ausstellung
nicht
chronologisch,
sondern
chronothematisch
gegliedert
sind:
Verloren,
Verneint,
Versackt und
Verändert.
Jedes
Kapitel wird
mit einem
weiterführenden
Essay zum
jeweiligen
Thema
eingeführt.
Die
Autor*innen
sind: der
Verein Le
Concours
Suisse
(Verloren),
Marc
Frochaux
(Verneint),
Katinka
Corts
(Versackt),
Sibylle
Wälty
(Verändert).
Ein Vorwort
von Andreas
Ruby und
eine
Einleitung
von Andreas
Kofler
fassen die
Publikation
ein. Ein
abschließendes
Essay von
Anneke
Abhelakh
geht auf die
Institutionen
ein, die an
der Kuration
der
Projektauswahl
mitwirkten
und
analysiert
das
Potential
dieses
Netzwerks.
Meldung:
SAM Basel
Was wäre
wenn | S AM
Schweizerisches
Architekturmuseum
sam-basel.org
|
|
|
|
|