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Spiegelvariante in der
Darstellung der Stabsstelle
Visualisierung © Stadt
Frankfurt/ Claus Graubner
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Mit dem
vor zwei Wochen vorgestellten
dritten Bericht der Stabsstelle
„Zukunft der Städtischen Bühnen“
begründet die Kulturdezernentin der
Stadt Frankfurt Main Ina Hartwig ihr
Festhalten am Totalabriss der
teilweise denkmalgeschützten
Theaterdoppelanlage und den
Vorschlag, den Neubau für das
Schauspiel in den Grünzug der
ebenfalls denkmalgeschützten
Wallanlage hineinzubauen. Die im
Folgenden dargelegte kritische
Analyse des Berichts und
ein Abgleich mit früheren Aussagen
der Stabsstelle zeigt, dass dies nur
mit einer gezielten Verzerrung
der Sachlage, argumentativen
Inkonsistenzen und willkürlichen
Bewertungsmethoden möglich ist.
In wichtigen Punkten widerspricht
der neue Bericht früheren Berichten.
Durch die Kampagne für die nunmehr
aufgegebene Kulturmeile wurden
drei Jahre Zeit verloren,
während derer ein dringend
benötigtes Produktionszentrum hätte
entstehen können, ein essentieller
Schritt zur Verbesserung der
Arbeits- und Produktionsverhältnisse
der Bühnen. Es bedarf eines
anderen Umgangs mit der Zukunft
der Frankfurter Bühnen, einen
handlungsorientierten Pragmatismus,
der die Anforderungen von Ökologie,
Denkmalschutz und Wirtschaftlichkeit
ernst nimmt und auf einer
zeitgenössischen,
zukunftsorientierten
Theaterkonzeption aufbaut.
Am 23.2.2023
hat die Stabsstelle „Zukunft der
Städtischen Bühnen“ des
Kulturdezernats der Stadt
Frankfurt ihren dritten Bericht
veröffentlicht. Mit ihrem ersten
Bericht von Januar 2020 hatte
sie den Weg für die wenige Tage
später erfolgte
Abrissentscheidung der
Stadtverordnetenversammlung
bereitet. Mit dem zweiten
Bericht von September 2021
plädierte die Kulturdezernentin
und die ihr unterstellte
Stabsstelle für die Variante 2 „Kulturmeile“.
Der nun vorgelegte 70-seitige
Bericht mit dem Titel
„Ergänzende Prüfaufträge zur
Zukunft der Städtischen Bühnen,
Februar 2023“ favorisiert die „Spiegelvariante“
(Variante 1), bei der das
Schauspiel schräg gegenüber dem
heutigen Bau in der Wallanlage
und die Oper am Standort des
heutigen Schauspiels erbaut
werden soll. Die zuvor so
vehement propagierte Variante
Kulturmeile wird nicht mehr
angestrebt. Der Bericht stellt
nunmehr fest: Es „bietet sich
die Realisierung von Oper und
Schauspiel auf stadteigenem
Grund und Boden an. Dies ist
auch ökonomisch nachhaltig“ (S.
59). Dies war schon immer klar.
Die zeitweilige Propagierung der
Sackgasse Kulturmeile war nur
möglich gewesen, weil der zweite
Bericht der Stabsstelle die
erheblichen Kosten für den
erhofften Erwerb des Grundstücks
und die damit verbundenen
Risiken in der vergleichenden
Betrachtung ausgeblendet hatte.
Im Fazit hat die von Beginn an
äußerst fragwürdige Kampagne für
die Kulturmeile den
Entscheidungsprozess um drei
Jahre verzögert und Steuergelder
mindestens im höheren
sechsstelligen Bereich gekostet.
Doch nicht
nur die gegen die damalige
Kritik verteidigten
Schlussfolgerungen des zweiten
Berichts erweisen sich mit dem
dritten Bericht als obsolet.
Stillschweigend werden nun auch
wesentliche Kriterien des ersten
Berichts verändert, welcher
damals den Abrissbeschluss
begründete. Die Themen
Denkmalschutz und das Thema
Graue Energie werden nun endlich
behandelt und der Risikozuschlag
für den Neubau von 10 auf 15
Prozent erhöht, wie schon 2020
von den Kritikern gefordert:
Damit werden
der damaligen Abrissentscheidung
zentrale Argumente entzogen. Der
neue Bericht hinterfragt aber
weder die damalige Entscheidung
noch zieht er die Möglichkeit
eines mit Neubau kombinierten
Teilerhalts am jetzigen Standort
in Betracht, obwohl dies in
Hinsicht auf Ökologie,
Nachhaltigkeit,
Wirtschaftlichkeit und
Denkmalschutz die naheliegendste
Lösung wäre.
Stattdessen
propagiert er nun die
Spiegelvariante mit
Argumenten, die sich bei genauer
Betrachtung als haltlos
erweisen. Die mit ihren
umfangreichen
Detailinformationen sachlich
erscheinende Darstellung ist
erneut tendenziös, färbt die
präferierte Variante schön und
stellt die verbliebene
alternative Option der
Doppelanlage am jetzigen
Standort gezielt schlecht dar.
Das zeigt sich schon an der
unplausiblen Behauptung, dass
die Spiegelvariante mit ihrem
deutlich größeren Raumprogramm
am Standort (da keine
Auslagerungen in ein externes
Produktionszentrum und keine
Synergie einer Doppelanlage
realisiert werden) zu 1.200 qm
mehr Grünfläche führen soll (S.
25f.).
Bemerkenswert
ist, mit welcher Nonchalance der
schwerwiegende Eingriff in die
geschützte Wallanlage
behandelt wird, die in dem
Bericht quasi als Baulandreserve
für Bauten im öffentlichen
Interesse dargestellt wird (S.
48). Dabei schützen die 1827
erlassene „Wallservitut“ und das
1903 eigens hierfür erlassene
Gesetz die Wallanlagen trotz des
enormen Entwicklungsdrucks
weitestgehend vor baulichen
Eingriffen, was für die
Stadtentwicklung Frankfurts eine
„herausragende Rolle“ spielt
(siehe Denkmalbegründung
Wallanlagen). Die mit der
Spiegelvariante vorgesehene
Bebauung würde die Wallanlage
unterbrechen und ihr
südwestliches Ende abtrennen, so
dass sie in Zukunft am
Willy-Brandt-Platz nicht mehr
erfahrbar wäre. Zentrale
Sichtachsen und die Lesbarkeit
der Stadtstruktur würden hiermit
zerstört, was dem Denkmalschutz
des Anlagenrings fundamental
widerspricht. Es ist auch
städtebaulich exakt das
Gegenteil dessen, was noch vor
einem Jahr mit dem Konzept der
Kulturmeile versprochen wurde:
Statt einer Stärkung der
Wallanlage wird nun deren
Beschädigung das Wort geredet,
welche mit zahlreichen
Euphemismen kaschiert wird. So
heißt es, die Spiegelvariante
„interpretiert das Gartendenkmal
neu“ (S. 37), mit dem
„Potenzial, neue öffentliche
Stadträume zu erzeugen“ (S. 42)
und der Chance für die
„Schaffung neuer, qualitativ
attraktiver Aufenthaltsbereiche“
(S. 43), was die „Teilhabe
schwächerer gesellschaftlicher
Gruppen am städtischen Leben
gleichberechtigt“ ermögliche (S.
42). All diese mit dem Eingriff
in die Wallanlage angeblich
erzielbaren Entwicklungschancen
– zu denen auch die
Unterbringung der
unvermeidlichen, aber nicht
erwähnten LKW-Anlieferung gehört
- seien mit einem Neubau einer
Doppelanlage nicht gegeben, bei
der alles beim Alten bleiben
müsste.
Ganz
abgesehen von diesen
Schönfärbereien sollte sich in
Zeiten Klimakrise ein solcher
Eingriff in eine intakte
innerstädtische Grünanlage mit
der Fällung von einer Anzahl
großer, zum Teil hundert Jahre
alter und besonders geschützter
Bäume ohnehin von selbst
verbieten. Es ist offenkundiges
Greenwashing, dass der Bericht
diesen Malus mit vermeintlichen
Pluspunkten gegenüber der
Doppelanlage zu kompensieren
behauptet, mittels
fadenscheiniger Konstrukte wie
„Baumneupflanzungspotenziale“,
„Pflegezustand und Artenvielfalt
der Pflanzflächen“,
„Gestaltungspotenziale für neue
biologische Vielfalt“,
„Abflussminderung Regenwasser“,
„Steigerung
Naherholungspotenzial“,
Potenzial „Sitzgelegenheiten und
Wege“ (S. 50, 51). Ebenso
unglaubwürdig ist, dass als
Interim der Spiegellösung der
Schauspielneubau als
Operninterim genutzt und damit
Kosten von 50 Mio. € eingespart
werden könnten (S. 32), womit
die eigentlich teuerste Variante
als die billigste Lösung
erscheinen soll.
Nur wenige
Sätze sind der Frage gewidmet,
dass für die Spiegellösung die
Aufstellung eines neuen
Bebauungsplans erforderlich ist
(S. 48). Doch dies ist keine
Petitesse. Erste Reaktionen
lassen erkennen, dass mit
erheblichem Widerstand aus der
Stadtgesellschaft gegen den
propagierten Eingriff in die
Wallanlage zu rechnen ist. Ein
Bebauungsplanverfahren erfordert
eine Bürgerbeteiligung und
eröffnet Klagemöglichkeiten, von
denen anzunehmen ist, dass diese
von Vertretern des Natur-,
Klima- und Denkmalschutzes
wahrgenommen werden.
Surreal sind
die Ausführungen zur Grauen
Energie, weil zuvor
jeglicher Bestandserhalt
ausgeschlossen wird, um dann
tautologisch für alle
Neubaulösungen die gleiche
ökologische Wertigkeit
festzustellen (S. 23) und diesen
ein freundlich grünes Plus (S.
50) zuzugestehen. Doch allein
die Variante Doppelanlage
erlaubt die Weiternutzung von
Bestandsbauteilen, sei es des
denkmalgeschützten Foyers oder
des erst 2014 für 80 Mio. € fertiggestellten
Werkstattanbaus. Die Möglichkeit
der Weiternutzung des letzteren
wurde gar nicht geprüft, und die
Sinnhaftigkeit des Foyererhalts
in Abrede gestellt, im Fazit
dann beide Möglichkeiten
gleichermaßen verworfen bzw.
ignoriert.
Beim Foyer
sei eine Betonsanierung
erforderlich, die zur Folge
habe, dass etwa 90Prozent der
historischen Bausubstanz
verloren gehe (S. 33, 38, 54f.).
Dies – so wird suggeriert –
komme dem Verlust des Denkmals
quasi gleich. D.h. egal für
welche Variante man sich
entscheide, das Denkmal sei in
jedem Falle verloren. Doch
Denkmalschutz reduziert sich
nicht auf die Frage der
Materialität. Selbst bei
Denkmalen wie den
Welterbestätten Hildesheimer Dom
oder dem Bauhausgebäude Dessau
ist dies nur in sehr begrenzter
Weise der Fall, während Raum,
Konzeption und Nutzung ein
großes Gewicht haben. Geschützt
ist nicht allein die materielle
Bausubstanz, deren Erneuerung
sanierungsbedingt unvermeidbar
sein kann, sondern die
Gesamterscheinung, deren Verlust
vermeidbar ist. Risiken und
Aufwand könnten hierbei begrenzt
werden, wenn auf die von der
Stabsstelle eingeforderte
Unterkellerung des
denkmalgeschützten Foyers (S.
54) verzichtet und auch erwogen
würde, die anschließende
Zuschauerbereich zu erhalten,
was auch im Sinne des
Denkmalschutzes wäre.
Der Bericht
legt es mit einer Vielzahl von
Formulierungen darauf an, das
Denkmal schlecht und klein zu
reden. Das Kunstwerk
von Zoltan Kemeny wird
flapsig „Blechwolken“ genannt
(S. 57), das lediglich „unter
Aufsicht des Künstlers gefertigt
und aufgehängt“ worden sei
(S.40), so als stamme es nicht
von Kemeny selbst. Es wird nicht
als das, was es ist – eine
ortsspezifische Raumskulptur –
wertgeschätzt, sondern wie ein
serieller dekorativer
Innenraumschmuck beschrieben,
der „auch überall anders neu
aufgehängt werden“ (S. 40) und
nach Belieben in anderen Bauten
und Räumen zum Einsatz kommen
könne.
Die Aversion
gegen die Variante einer
Doppelanlage am Standort geht so
weit, dass die erforderlich
planerische Prüfung und
Vorbereitung dieser Option trotz
des von Magistrat und
Stadtverordnetenversammlung
ausgesprochenen Prüfauftrages
vernachlässigt worden ist.
Dieses eigene Versäumnis wird
jetzt als Argument gegen diese
Option selbst zu Felde geführt.
In den
Untersuchungen von 2018/2019 war
aufgrund der beengten
Verhältnisse im Stadtzentrum die
sinnvolle Idee eines
Produktionszentrums
entwickelt und ein eigener
Bericht hierzu vorgelegt worden.
In diesem verkündete die
Stabsstelle damals: „Für die
Städtischen Bühnen Frankfurt
sowie für die Stadt Frankfurt am
Main hat das Produktionszentrum
zahlreiche Vorteile und es
ermöglicht einen
synergiereichen, optimierten,
zukunftsfähigen,
ressourcenschonenden und
nachhaltigen Betrieb der
Werkstatt- und Lagerfunktionen.
(...) Die Ergebnisse der
Untersuchung zur Sanierung
zeigen klar, dass ein
Produktionszentrum in einer
überschaubaren Zeit realisierbar
ist.“ Falls erforderlich,
„können die Probebühnen auch im
Produktionszentrum untergebracht
werden“, auch wenn eine
Zuordnung zu den
Hauptspielstätten für die
internen Betriebsabläufe zu
bevorzugen sei. (Bericht zum
Produktionszentrum, Stand
25.2.2020, S. 8,9). Ein solches
Produktionszentrum ist auch
vielerorts üblich (z.B.
Staatstheater Hannover;
Staatsoper Hamburg; Royal Opera
House Thurrock, London;
Glyndebourne Opera House, East
Sussex; The Karayanis Rehearsal
Production Center, Dallas Opera;
Utah Opera Production Building,
Salt Lake City). Doch nun soll
das, was 2020 festgestellt
wurde, nicht mehr stimmen,
sondern genau dessen Gegenteil.
Mit dem Zweiten Bericht von
Herbst 2021 wurde das zuvor
aufwändig entwickelte Konzept
sang- und klanglos beerdigt
(dort S. 42/ 43) und nicht mehr
weiterverfolgt. Nun wird die
Nichtbearbeitung dieser Frage
der Variante „Doppelanlage“ als
Malus zugerechnet, weil vor
deren Bau überhaupt erst eine
Standortsuche erfolgen müsse (S.
33). Dies ist umso bitterer, da
dies, wie auch die ebenfalls
erforderliche, aber
unterbliebene Klärung von
Interimsspielstätten, zeitlich
zu allererst erfolgen müsste. Es
hilft nichts, trotz des
dreijährigen Stillstands ist die
umgehende Realisierung eines
Produktionszentrums geboten und
auch die einzige mögliche
Maßnahme, um die
Arbeitsbedingungen für eine
Vielzahl der Mitarbeiter*innen
der städtischen Bühnen zeitnah
grundlegend zu verbessern und
die Fortsetzung des
Spielbetriebs zu sichern. Sie
bietet auch den Vorteil, an
einem zweiten, nicht so
zentralen Standort mit
Werkstattarbeit und ggf.
Probebühnen einen kulturellen
Impuls zu setzen und sich so in
anderer Weise der
Stadtgesellschaft zu öffnen, was
auch Potenzial für Kooperationen
und Synergien mit anderen
kulturellen Aktivtäten bietet.
Unbegreiflich
ist, dass auch die Interimsfrage
offenkundig nicht gelöst ist.
Keines der Szenarien kommt ohne
Interim aus, und es zeichnet
sich dabei ab, dass ein
Operninterim unvermeidbar ist,
weil die neuen Standorte
allenfalls für einen
Schauspielneubau geeignet sind.
Doch wo die erforderliche(n)
Interimsspielstätte(n) wie
realisiert werden können und
sollen, dazu schweigt der
Bericht.
Das Vorgehen
ist bizarr: Mit großer Akribie
widmet sich die unterstellte
Stabsstelle des Kulturdezernats
(und nicht etwa des Amtes für
Bau und Immobilien) den
baulichen Details von „über 60
neuen Bewertungskriterien“ (S.
10), von denen zahlreiche gar
nicht entscheidungsrelevant
sind, wie der Bericht auch immer
wieder einräumt. Während hier
vieles längst überuntersucht und
von geringem Erkenntnisgewinn
ist, ist anderes
Entscheidungsrelevantes
unterbelichtet bzw. gar nicht
betrachtet. Dies gilt nicht nur
für die Fragen Interim und
Produktionszentrum, sondern vor
allem für Fragen der
kulturellen Konzeption.
Weder gibt es eine ernsthafte
Befassung mit der Zukunft des
Stadttheaters noch wurde etwa
der Frage nachgegangen, ob
Synergien gefunden werden können
mit den parallelen Planungen für
den Neubau der Hochschule für
Musik und Darstellende Kunst (HfMdK)
in Verbindung mit einem Zentrum
der Künste, gewünschten
Produktionsorten der freien
Szene oder dem English Theatre.
Hier wäre das Kulturamt in
seiner Kernkompetenz gefragt,
aber schweigt sich aus. Auch
dies muss nun unverzüglich
nachgeholt werden.
Aus der
kritischen Lektüre der drei
Berichte der Stabsstelle ergibt
sich eine klare
Handlungsperspektive: Parallel
zum Bau des Produktionszentrums
sollte die Stadt zeitnah für die
Doppelanlage am
Willy-Brandt-Platz einen
ergebnisoffenen
Architekturwettbewerb ausloben,
der es den Teilnehmer*innen
überlässt, gemäß der von ihnen
entwickelten Konzeption zu
entscheiden, welche Teile des
Bestands sie abreißen und durch
Neubau ersetzen und welche Teile
sie sanieren und um- und
weiterbauen wollen.
Maren Harnack,
Philipp Oswalt, Alfons Maria
Arns, Hanns-Christoph Koch
Initiative
Zukunft Bühnen Frankfurt
Veröffentlicht auf:
Dort findet
sich auch der kritisierte
Bericht der Stabsstelle als
download.
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