„Mudersbach, der Ort
und in der Jugend das zweite Zuhause
von Bernd Becher, interessierte mich
schon lange“, sagt Laurenz Berges.
Der Düsseldorfer Fotograf findet in
seinem neuen Fotoprojekt einen ganz
intensiven Zugang zu seinem
ehemaligen Lehrer. Jetzt hat er sich
das „Becherhaus“ in Mudersbach im
Siegerland zum alleinigen Thema
eines Buches gemacht: das Haus der
Großeltern Bernd Bechers, ein
Fachwerkhaus, in dem bis in die
achtziger Jahre gelebt und seitdem
nichts verändert wurde – und das uns
heute immer noch in seinen Bann
zieht.
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Buchcover |
Das noch vollständig eingerichtete
Haus, in dem auch Bernd Bechers
Tanten lebten, ist noch immer in
Familienbesitz, gehört heute Max
Becher, dem Sohn von Bernd und Hilla
Becher – es könnte später einmal als
Museum dienen. Das Werk von Bernd
und Hilla Becher beginnt hier, in
der Siegerländer Montanregion, in
den späten fünfziger Jahren. Viele
der von den Bechers fotografierten
Objekte und Anlagen verschwanden
bald nach der Dokumentation – und
existieren heute nur noch in den
weltbekannten Fotografien.
Früh erkannten Bernd und Hilla
Becher, dass sich die Welt der
Bergbau- und Stahlindustrie
grundlegend ändern würde. So
erschufen sie über die Dekaden ein
großes Bildinventar. Sie
fotografierten Bergwerks- und
Hüttenanlagen, Gasbehälter,
Getreidesilos, Kühl- oder
Wassertürme, aber auch Wohnbauten in
Deutschland, Niederlande, Belgien,
Frankreich, Luxemburg und
Großbritannien sowie in den USA –
zumeist mittig im Bild platziert,
gestochen scharf, vor grauem,
wolkenlosen Himmel.
Fotoästhetisch überzeugen die
typologischen Serien der Bechers
durch einen stilistisch strengen
Minimalismus, dem sich Laurenz
Berges, der 1996 Meisterschüler von
Bernd Becher an der Düsseldorfer
Akademie wurde, in seinem eigenen
Werk nie angeschlossen hat. Als das
Kennzeichen der bekannten
Becher-Schüler Thomas Ruff, Thomas
Struth oder Andreas Gursky gilt
gemeinhin die objektivierende
Sichtweise, die sich – in einer
Tradition mit bestimmten Konzepten
des Neuen Sehens und der
Bauhaus-Fotografie – bis in die
Gegenwart fortspinnt.
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Doch so fotografiert Berges nicht:
Stattdessen zeigt er das
Siegerländer Haus als einen Ort
familiärer Gesichte, als Ort auch
subjektiver Erinnerung. Beim
Blättern durch den Band „Das
Becherhaus in Mudersbach“ entdecken
wir viele Details,
Dekorationsmalereien des Vaters
Josef, reproduzierte religiöse
Bilder der beiden Tanten von Bernd
Becher, die großbürgerlichen Möbel
der Mutter von Hilla Becher, ein
altes Telefon, ein karges Bett vor
einer sich ablösenden Tapete, eine
Schublade mit einem Schlüssel, eine
Deutschlandkarte, eine Holztruhe
neben einer weißen Tür, ein kleines
Regal mit Büchern, Kinderbilder von
Bernd Becher an der Wand.
Ein bescheidenes Alltagsleben: das
gemeinsame Schlafzimmer der Tanten,
ein Flur mit Gehstöcken. „Dieses
Haus offenbart die Bescheidenheit
und die tiefe Religiosität seiner
Bewohnerinnen“, so Berges. Selten
geht der Blick hinaus. Doch einmal
erhaschen wir einen idyllischen
Ausblick aus einem der kleinen
Fenster in den Siegerländer Wald.
Das alles, diesen kleinen,
überschaubaren, jahrelang
unbewohnten Kosmos zeigt der 1966
geborene Berges (der auch – durchaus
prägend – als Assistent von Evelyn
Hofer in New York gearbeitet hat) in
der Art und Weise, die ihn bekannt
gemacht hat: mit leichtem Sfumato,
mit melancholischem Schmelz. So
fotografiert er den Ort, an dem
Bernd Becher malte und zeichnete –
ganz entgegen den Ideen des Vaters,
der sich erhoffte, dass der älteste
Sohn den väterlichen Betrieb
übernehmen würde.
Neben den Fotografien finden wir in
dem Band einen Text von Hanns-Josef
Ortheil, der seine Kindheit im
Westerwald verbrachte, nur wenige
Kilometer vom Becherhaus in
Mudersbach entfernt. Schon in seiner
Schrift „August Sander, der
Westerwald, seine Bewohner und ich“
hat Ortheil gezeigt, wie subtil er
über Fotografie zu schreiben
versteht. Um die Bedeutung des
Becherhauses, um Erinnerung,
Geschichte und Fotografie geht es in
dem Text, wie auch in den Bildern
von Berges, die eine schlichte
Schönheit umstrahlt, die Poesie mit
Dokumentation verbindet.
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Das ist ja der Kern dieser
Fotografie: die Verbindung zweier
Pole, die sich nur selten treffen
können. Das Poetische und
Dokumentarische ist im Werk von
Berges eng verzahnt, wie schon seine
bei Schirmer/Mosel erschienenen
Bücher „Etzweiler“, „Fotografien
1991-1995“ und „Frühauf Danach“ vor
Augen führten. „Geschichte hat mich
immer interessiert“, so der
Fotograf, „Zeitgeschichte,
Alltagsgeschichten, um daraus
Schlüsse zu ziehen, warum sich
bestimmte politische und
gesellschaftliche Entwicklungen
ergeben haben.“
„Das Becherhaus in Mudersbach“ ist
ein schmaler, schlichter Fotoband,
der uns zu den Wurzeln des Werks von
Bernd Becher führt und darüber
hinaus noch einmal zeigt, wie
ungewöhnlich das solitäre Werk von
Berges ist. Ab dem 17. März stellt
das Museum für Gegenwartskunst in
Siegen Laurenz Berges umfassend vor
– unter dem Titel „Halten und
Schwinden“. Hier werden auch die in
Mudersbach entstandenen Fotografien
zu sehen sein. Bilder eines
Fotografen, der mit seinem so
besonderen Blick auf russische
Kasernen im ehemaligen
deutsch-deutschen Grenzgebiet
bekannt geworden ist. Dieser nähert
sich der Architektur, den Räumen,
bis heute mit Vorsicht, schafft eine
ganz eigene Atmosphäre, die stets
von der so besonderen, matten
Farbigkeit lebt, von der besonderen
Anmutung der
Großbildkamera-Fotografie, die als
„fotografische Arte Povera“
beschrieben worden ist, aber sehr,
sehr reich ist an Details. Autor:
Marc Peschke
Siehe auch:
Laurenz
Berges | Photo Award (vonovia.de)
Laurenz Berges: Das
Becherhaus in Mudersbach
Schirmer & Mosel Verlag, München
1. Auflage, 2022
Leineneinband, 112 Seiten
Format: 23.6 x 26.3 x 1,9 cm
ISBN 978-3-8296-0948-7
Bildrechte: Schirmer
& Mosel Verlag, München
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