Die Aktion Plagiarius
hat am 03. Februar 2023 zum 47. Mal
ihren gefürchteten Negativpreis „Plagiarius“
an Hersteller und Händler besonders
dreister Plagiate und Fälschungen
vergeben. Die Verleihung fand im
Rahmen einer Pressekonferenz auf der
Frankfurter Konsumgütermesse
„Ambiente“ statt. Die Auszeichnung
mit dem „Plagiarius“ will nichts
darüber aussagen, ob das
nachgemachte Produkt im juristischen
Sinne erlaubt oder rechtswidrig ist.
Ziel der Aktion Plagiarius ist
vielmehr, die skrupellosen
Geschäftsmethoden von Produkt- und
Markenpiraten ins öffentliche
Bewusstsein zu rücken und
Industrie, Politik und Verbraucher
für die Problematik zu
sensibilisieren.
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Bevor die jährlich wechselnde Jury
die Preisträger wählt, werden die
vermeintlichen Plagiatoren über ihre
Nominierung informiert und erhalten
die Möglichkeit zur Stellungnahme.
Der Jury geht es nicht darum, legale
Wettbewerbsprodukte zu brandmarken,
sondern einen kritischen Blick auf
plumpe 1:1 Nachahmungen zu richten,
die dem Originalprodukt bewusst zum
Verwechseln ähnlich sehen und die
keinerlei kreative oder konstruktive
Eigenleistung aufweisen.
Erfreulicherweise hat auch dieses
Jahr einer der Nachahmer eine
Einigung mit dem Originalhersteller
gesucht und Restbestände der
Plagiate vom Markt genommen.
Die Trophäe des Schmähpreises ist
ein schwarzer Zwerg mit goldener
Nase. Letztere symbolisiert die
immensen Profite, die ideenlose
Nachahmer sprichwörtlich auf Kosten
von Kreativen und innovativen
Unternehmen erwirtschaften.
Allein in der EU wurden 2021 laut
EUIPO und der Europäischen
Kommission etwa 86 Millionen
gefälschte Waren beschlagnahmt, ein
Anstieg von fast 31 Prozent
gegenüber 2020. Das sollen nur die
nachweislichen Aufgriffe, also die
Spitze des Eisbergs sein. Den
internationalen Handel mit
Fälschungen bezifferten EUIPO und
OECD für 2019 auf alarmierende 412
Milliarden Euro, was 2,5 Prozent des
Welthandels entspricht. Je größer
die Nachfrage ist, desto größer ist
der Erfolg der Fälscher. (Ein-)Käufer
haben somit die Macht, aber auch die
gesellschaftliche Verantwortung,
Fälschern ihre Geschäftsgrundlage zu
entziehen.
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Auf dem Foto,
links, Frau Dr. Aliki Busse
und rechts, Uwe Becker
während seiner Laudatio
anlässlich Plagiarius
Negativ-Preisverleihung am
3. Februar im Congress
Center Messe Frankfurt auf
der Ambiente
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Nachgemachte Waren sind zwar in
allen Preis- und
Qualitätsabstufungen erhältlich, die
meisten sind dem Original aber nur
auf den ersten Blick täuschend
ähnlich. Dass identisches Aussehen
nicht automatisch die gleiche
Qualität, Leistungsfähigkeit und
Sicherheit bedeutet, belegen viele
Produkte, die Zoll und Interpol
bereits aus dem Verkehr gezogenen
haben: Verunreinigte Parfums und
Kosmetika, technische Produkte mit
mangelhafter Elektronik,
fehlerhaftes oder schadstoffreiches
Kinderspielzeug, falsch oder gar
nicht dosierte Medikamente und viele
andere Produkte mehr. Auch der VDMA,
Verband Deutscher Maschinen- und
Anlagenbau bestätigt, dass
Fälschungen oftmals eine Gefahr für
die Bediener von Maschinen und
Anlagen oder eine Gefahr für den
sicheren Betrieb der Anlage
bedeuten. Besondere Umsicht ist
somit gefordert, damit niemand durch
den falschen Umgang zu Schaden
kommen muss.
Laut Europol werden gefälschte
Produkte zunehmend über
eCommerce-Plattformen, soziale
Medien und Instant-Messaging-Dienste
beworben und vertrieben. Die
Ausprägungen digitaler
Markenverletzungen werden immer
vielfältiger: Von klassischen
Plagiaten, Fälschungen und
Urheberrechtsverletzungen über
Domainklau und Markenmissbrauch
(z.B. Fake AdWords) bis hin zu
komplettem Identitätsdiebstahl und
Fake-Shops. Mit viel krimineller
Energie werden Reputation und
Know-how renommierter Hersteller
ausgenutzt und deren Marken und
Glaubwürdigkeit geschwächt.
In diesem Zusammenhang fordert auch
der diesjährige Laudator der Aktion
Plagiarius, der hessische
Staatssekretär für
Europa-Angelegenheiten und aktueller
Spitzenkandidat der CDU für das
Oberbürgermeisteramt in Frankfurt am
Main, Uwe Becker: „Mit der
Änderung der Handelswege aus der
analogen in die digitale Welt hat
der Handel mit Plagiaten über
elektronische Verkaufsplattformen
noch zusätzlichen Aufschwung
erfahren. Der wirtschaftliche
Schaden ist enorm. Deshalb muss der
Schutz des geistigen Eigentums und
die Bekämpfung von Produkt- und
Markenpiraterie noch engagierter
betrieben und auf die neuen
Geschäftsmodelle des Ideenklaus
angepasst werden. Mit dem Plagiarius
wird auf diese Bedrohung für
Wirtschaft und Verbraucher in
besonderer Weise aufmerksam gemacht.
Daher ist dieser Negativpreis auch
gleichzeitig Auftrag zum Handeln.“
Plagiarius-Preisträger 2023 sind ab 10.
Februar im Museum Plagiarius in
Solingen.
1. Preis
Modulares Wandregal-System „LINK“
Original: Studio Hausen /
Jörg Höltje, Hamburg, Deutschland
Plagiat: Vertrieb: Deutscher
Möbel-Filialist (EU-weit tätig)
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Links das
Original, rechts das Plagiat |
Same same but different: Design,
Konzept und Proportionen sind plump
1:1 kopiert – Groß und nicht zu
übertünchen sind indes die
Qualitätsunterschiede. Das Original
überzeugt durch hochwertige Verarbeitung und wird aus FSC-zertifiziertem
Massivholz aus nachhaltiger
Forstwirtschaft gefertigt. Beim
Plagiat wird tropisches Mangoholz
niederer Qualität verwendet, die
Billig-Bügel sind verzogen. - Der
Möbelfilialist zeigte sich
einsichtig, hat den Verkauf
gestoppt, Restbestände vernichtet
und Umsatzzahlen genannt. -
„Schönes Design, für Jedermann
bezahlbar“, damit locken viele
Handelsunternehmen. Akzeptabel,
solange es ein eigen(ständig)es
Design ist und „bezahlbar“ nicht zu
Lasten kreativer Designer und der
Qualität geht. Ein großes
Produktsortiment befreit die
Verantwortlichen im Einkauf nicht
von ihren Prüfpflichten bezüglich
ihrer Lieferanten und der
vertriebenen Waren. Alles eine Frage
der Verantwortung und Wertschätzung.
Sicherlich sollten die Urheberrechte
an einem ausgefallenen Designentwurf
durch plumpe Plagiatversuche nicht
eingeschränkt sein. Andererseits
finden sich Drahtregale, die an der
Wand angebracht werden, schon seit
den 1950er Jahren auf dem Markt und
gehören seither zu einer ausgewogen
stilvollen Wohnungseinrichtung. Es
gehört schon sehr viel Verständnis
dazu, um den schützenswerten
Originalentwurf von normaler
Gebrauchsware unterscheiden zu
können. Ob die Art der Aufhängung
gemeint ist oder das verwendete Holz
den Ausschlag zum Plagiat ergibt,
bleibt schwer auszumachen. Die
Grenzen sind eng gesteckt.
Nichtsdestotrotz ist schönes Design
entstanden, das seine Berechtigung
behält und seine Käuferschaft
verdient und wenn, auch zum
Billigpreis. Wo genau der
urheberrechtlich eigenständige
Entwurf festzumachen ist, wo die
Qualität des Designs liegt, das
können vermutlich nur Juristen
klären.
2. Preis
Glas „CLUB NO. 6 Superglas 300ml”
Originale: koziol »ideas for
friends GmbH, Erbach, Deutschland
Plagiate: METPLAS A.S. / „Rubikap“
Plastic Tableware, Istanbul, Türkei
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Links das Original,
rechts das Plagiat |
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Kristall- vs. Plastikoptik: Das
Besondere der „CLUB SUPERGLAS“
Serie: Ein Hightech-Material, das
die Eigenschaften von Glas - wie
Transparenz, Brillanz und
Lichtbrechung - mit den Vorzügen des
Kunststoffes - wie
Unzerbrechlichkeit,
Isolierfähigkeit, Leichtigkeit und
individuelle Einfärbbarkeit -
vereint. Recycelbar, Made in
Germany, wurden die hochwertigen
koziol Supergläser für die
professionelle Anwendung in
Gastronomie und Hotellerie
konzipiert. Beim Plagiat wurden
Form, Konzept und das exklusive
Facettendesign nahezu 1:1
übernommen. Allerdings fallen im
direkten Vergleich eine einfachere
Verarbeitungsqualität, eine
geringere Standfestigkeit sowie die
Kunststoff-typische matte Optik auf.
Koziol hat sein Design in der EU
geschützt. Irreführenderweise wirbt
der Nachahmer mit dem Hinweis „patented“.
3. Preis
Mercedes-Benz Fahrzeug-Diagnose „XENTRY
Diagnosis“ (für OBD –
On-Board-Diagnose)
Original: Mercedes-Benz Group
AG, Stuttgart, Deutschland
Fälschung: Vertrieb: OBD
Diagnostic Tools, Fellbach (Region
Stuttgart), Deutschland
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Links das
Original, rechts die
Fälschung |
Fahrzeugdiagnosesysteme (OBD) dienen
der Reparatur und Wartung. Als
Schnittstelle zwischen Fahrzeug-OBD-Dose und Diagnose-Computer
dient hier der sog. Multiplexer „SDconnect“.
Beworben wurde die Fälschung über
eine Webseite und eBay. Wegen
Verletzung der Marken
„MERCEDES-BENZ“, des „Mercedes-Sterns“ und der für
Diagnosesoftware geschützten Marke „XENTRY“
gab es eine zivilrechtliche
Verurteilung des Landgerichts
Stuttgart; zusätzlich wurde ein
Strafverfahren eröffnet. -
Gefälschte Fahrzeugdiagnosesysteme
können nicht nur missbraucht werden,
um z.B. Gurtwarner oder die
Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung zu
deaktivieren, sondern verwenden
meist veraltete Software ohne
(Sicherheits-) Aktualisierungen.
Reparaturen und Wartungen erfolgen
dann nicht auf dem aktuellen Stand
der Technik und bieten nicht das
höchste Sicherheitsniveau. Gegebenenfalls
werden Fehler nicht erkannt,
Sicherheitsprobleme sind möglich.
Die Jury traf sich am 06. + 07.
Januar 2023 und vergab drei
Hauptpreise sowie drei gleichrangige
Sonderauszeichnungen. Die Jury wird
jedes Jahr neu zusammengestellt aus
Vertretern der unterschiedlichsten
Bereiche. Die Jury des
Plagiarius-Wettbewerbs 2023 setzte
sich wie folgt zusammen:
Susanna Heurung,
Rechtsanwältin / Partnerin Maiwald
GmbH, München
Gernot Imgart, Leitender
Geschäftsführer der Bezirkskammer
Göppingen der IHK Region Stuttgart
Ingrid May-Staudinger,
Unternehmerin und Selbständige
Repräsentantin des BVMW
Bundesverband
Mittelständische Wirtschaft e.V. für
die Wirtschaftsregion
Tübingen-Reutlingen
Ulrich Schaub, Head of Vision
Solutions / Business Owner Solution,
ADC Automotive Distance Control
Systems GmbH, Ulm
Juristische Beratung:
Dr. Aliki Busse, Fachanwältin
für Gewerblichen Rechtsschutz und
Partnerin bei Maiwald GmbH
(Rechtsanwaltskanzlei), München
Website:
Aktion Plagiarius...
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