Der unter anderem für
das Versicherungsvertragsrecht
zuständige IV. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs in Karlsruhe hat
entschieden, dass einer
Versicherungsnehmerin auf der
Grundlage der hier vereinbarten
Versicherungsbedingungen Ansprüche
aus einer
Betriebsschließungsversicherung
wegen der teilweisen Einstellung
ihres Hotelbetriebs in Niedersachsen
im Zusammenhang mit der
COVID-19-Pandemie während des
sogenannten "zweiten Lockdowns"
zustehen, hingegen der Versicherer
nicht verpflichtet ist, eine
Entschädigung aus Anlass der
Betriebsschließung während des
sogenannten "ersten Lockdowns" zu
zahlen.
Die Klägerin hält bei dem beklagten
Versicherer eine sogenannte
Betriebsschließungsversicherung. Sie
begehrt aufgrund der teilweisen
Einstellung ihres Hotelbetriebs in
der Zeit vom 18. März bis zum 25.
Mai 2020 Entschädigungsleistungen
sowie die Feststellung, dass der
Versicherer verpflichtet ist, ihr
den aus der erneuten Schließung ab
dem 2. November 2020 entstandenen
Schaden zu ersetzen. Dem
Versicherungsvertrag liegen die
"Bedingungen für die
Betriebsschließungs-Pauschalversicherung
Gewerbe (BBSG 19)" zugrunde. Nach
Ziff. 8.1 BBSG 19 ersetzt der
Versicherer dem Versicherungsnehmer
im Falle einer bedingungsgemäßen
Betriebsschließung den entgehenden
Gewinn und fortlaufende Kosten bis
zum Ablauf der vereinbarten
Haftzeit.
Die
BBSG 19 lauten auszugsweise:
Der Versicherer leistet …
Entschädigung, wenn die zuständige
Behörde aufgrund des
Infektionsschutzgesetzes beim
Auftreten meldepflichtiger
Krankheiten oder Krankheitserreger
den versicherten Betrieb oder eine
versicherte Betriebsstätte zur
Verhinderung der Verbreitung von
meldepflichtigen Krankheiten oder
Krankheitserregern beim Menschen
nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise
schließt; Tätigkeitsverbote gegen
sämtliche Betriebsangehörige eines
Betriebs oder einer Betriebsstätte
werden einer Betriebsschließung
gleichgestellt (Schließung).
Meldepflichtige Krankheiten und
Krankheitserreger im Sinne dieser
Bedingungen sind die im
Infektionsschutzgesetz in den §§ 6
und 7 namentlich genannten
Krankheiten und Krankheitserreger,
ausgenommen sind jedoch humane
spongiforme Enzephalopathien nach §
6 (1) 1. d) IfSG.
Mit Allgemeinverfügung vom 18. März
2020 untersagte der zuständige
Landkreis unter anderem Betreibern
von Beherbergungsstätten, Personen
zu touristischen Zwecken zu
beherbergen. Nach vorübergehender
Lockerung der Maßnahmen war es
Betreibern von Beherbergungsstätten
durch die am 2. November 2020 in
Kraft getretene Niedersächsische
Verordnung über Maßnahmen zur
Eindämmung des Corona-Virus
SARS-CoV-2 (Niedersächsische
Corona-Verordnung) vom 30. Oktober
2020 erneut untersagt,
Übernachtungsangebote zu
unterbreiten und Übernachtungen zu
touristischen Zwecken zu gestatten.
Die Klägerin bot daraufhin in der
Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai
2020 und ab dem 2. November 2020
keine Übernachtungen zu
touristischen Zwecken an.
Das Landgericht hat ein Grund- und
Teilurteil erlassen, demzufolge die
Zahlungsklage dem Grunde nach
gerechtfertigt und die Beklagte
verpflichtet ist, der Klägerin den
aus der erneuten Schließung des
versicherten Betriebes entstandenen
Schaden zu ersetzen. Auf die
Berufung der Beklagten hat das
Oberlandesgericht die Zahlungsklage
insgesamt abgewiesen und das
weitergehende Rechtsmittel
zurückgewiesen. Hiergegen richten
sich die Revisionen beider Parteien.
Zu Recht hat das Berufungsgericht
entschieden, dass in der Bezugnahme
in Ziff. 3.4 BBSG 19 auf die im IfSG
in den §§ 6 und 7 namentlich
genannten Krankheiten und
Krankheitserreger keine Beschränkung
des Leistungsversprechens auf den
Rechtszustand im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses zu sehen ist.
Das Berufungsgericht ist demnach zu
Recht davon ausgegangen, dass die
Klägerin aus Anlass der teilweisen
Einstellung ihres Betriebs ab dem 2.
November 2020 die begehrte
Feststellung verlangen kann, weil
die Krankheit COVID-19 und der
Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit
Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes
zum Schutz der Bevölkerung bei einer
epidemischen Lage von nationaler
Tragweite vom 19. Mai 2020 am 23.
Mai 2020 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Buchst. t und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.
44a IfSG namentlich genannt wurden.
Urteil vom 18. Januar 2023 - IV ZR
465/21
Meldung: Pressestelle
des Bundesgerichtshofs, Karlsruhe