Die Lage auf dem
Wohnungsmarkt ist alarmierend.
Während der Wohnungsneubau weiterhin
stark rückläufig ist, besteht in
Deutschland nach wie vor ein enormer
Bedarf an (kostengünstigem) Wohnraum
– vor allem in den Ballungszentren.
Hohe Bau-, Energie- und
Materialkosten, gestiegene Zinsen,
langwierige Bau- und Planverfahren
sowie eine mehrfach
zusammengebrochene
Wohnungsbauförderung führen zu einer
Abwärtsspirale im Wohnungsbau mit
gravierenden Folgen. Die bisherigen
Maßnahmen der Bundesregierung
dagegen zu steuern, sind bislang
unzureichend, zumal der Bedarf
allein angesichts der Millionen von
Menschen, die der Krieg in der
Ukraine in die Flucht treibt, in den
nächsten Monaten weiter anwachsen
wird.
Es braucht einen
neuen, entscheidenden Kraftakt. Und
zwar jetzt.
Im Jahr 2021 wurden nur noch 293.393
Wohnungen neu gebaut. 2022 wird
diese Zahl aller Voraussicht noch
unterschritten. Alle Vorzeichen
deuten darauf hin, dass es im Jahr
2023 einen dramatischen Einbruch
geben wird. Das Ziel der Koalition,
jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen,
droht zum Wunschdenken zu werden.
Dieser
fortschreitende Abstieg muss
gestoppt werden. Dringend.
Die Mitglieder der Verbände und
Kammern der Planungs-, Bau-,
Immobilien- und Wohnungswirtschaft
wollen bauen, sollen bauen, aber
können unter den aktuellen
Bedingungen oft nicht bauen.
Wohnraum ist ein entscheidender
Beitrag zum sozialen Zusammenhalt,
weshalb die Bundesregierung alles
unternehmen muss, den Menschen in
Deutschland bezahlbaren und
ausreichend Wohnraum zur Verfügung
zu stellen. Wir unterstützen sie
dabei mit voller Kraft, brauchen
aber die richtigen Rahmenbedingungen
in Verbindung mit echter
Deregulierung.
Wir
fordern die Bundesregierung
gemeinsam auf, nachfolgende Schritte
schnellstmöglich gemeinsam
anzugehen:
1. Wohnungsbau
muss Chefsache werden
Der tatkräftige Einsatz von
Bundesbauministerin Klara Geywitz
braucht Unterstützung
aller beteiligten Ressorts der
Bundesregierung. Es ist Zeit
für eine mutige Steuerung auf
oberster Ebene. Bundeskanzler Olaf
Scholz muss den Wohnungsbau
als Chefsache angehen und sein
Kabinett zu einer gemeinsamen
Offensive antreiben.
2. Gesicherte
Förderkulisse und moderne
Beschluss-Tools endlich vorlegen
Nach mehrfachen Förderstopps muss
die Bundesregierung die bis Ende des
Jahres angekündigte Gesamtplanung
fürs Fördern von Neubau und
Sanierung endlich vorlegen. Ohne ein
rundes Konzept werden bezahlbarer
Wohnraum und die Sanierung des
Gebäudebestands unmöglich. Dazu
zählen auch moderne Beschluss-Tools
wie die
Online-Eigentümerversammlung.
3. Zielgenaue
Neubauförderung – verlässliche
Bedingungen schaffen
Beim Neubau müssen Förderung und
Anreize die Wirtschaftlichkeitslücke
schließen. Benötigt wird eine
Neubauförderung zu Jahresbeginn in
Höhe von 10 Milliarden Euro jährlich
für bezahlbaren Wohnraum.
4. Zügig
Grundstücke bereitstellen
Baureife Grundstücke, geeignete
Konversionsflächen und
Bestandsflächen sind entscheidend.
Sie sind laut Bundesregierung
vorhanden und müssen nur aktiviert
werden. Mit einem digitalen
Liegenschafts- und Gebäudekataster
für potentiellen Wohnraum sowie
einer Vereinfachung von
Grundstücksvergabeverfahren könnte
schnell Wohnraum geschaffen werden.
Vergabe- und Genehmigungsverfahren
dürfen nicht mehr als drei Monate
dauern, vom Erbbaurecht soll nur in
einem ausgewogenen Verhältnis
Gebrauch gemacht werden.
5. Durch eine
Experimentierklausel Verfahren
erleichtern
Über eine Experimentierklausel, wie
beispielsweise dem Gebäudetyp E,
oder Reallabore, sollte für den
Wohnungsbau ein Abweichen von
Gesetzen, Normen und Standards
ermöglicht werden. Damit wird
signalisiert, dass trotzdem
gefahrlos und zügig Wohnungen gebaut
werden können – auch umwelt- und
klimaschonend. Die Bundesregierung
hat in Krisensituationen schon
mehrfach gezeigt, schnelle
regulatorische Entscheidung treffen
zu können und sollte dies auch für
den Wohnungsbau tun.
6. Umwidmung und
Umbau erleichtern
Gebäude, deren Nutzung entfallen ist
(zum Beispiel Büro– oder
Handelsimmobilien) zu sanieren und
zu qualifizieren statt sie
abzureißen, ermöglicht, dass
eingesetzte Rohstoffe und
Materialien weiter genutzt werden
und bezahlbarer Wohnraum entstehen
kann. Auch bei Veränderung und
Umnutzung sollte für die technischen
Baubestimmungen Bestandsschutz
gelten und somit die Kosten der
Umnutzung reduziert werden. Im
Einzelfall ist von der
Aufsichtsbehörde zu begründen, wenn
die Erfüllung aktueller Vorschriften
gefordert wird. Die Verpflichtung
zur Einhaltung der primären
Schutzziele der Bauordnungen bleibt
unberührt.
7. Flächendeckend
serielles, modulares und typisiertes
Bauen ermöglichen
Modulare, serielle und typisierte
Bauweise können in
Kombination mit digitalen Tools
einen Beitrag zur Schaffung vieler
bezahlbarer qualitätvoller und
klimaschonender Wohnungen leisten.
Darauf muss das Bundes- und
Landesrecht zügig ausgerichtet
werden. Typisierte Wohngebäude, die
in den Landesbauordnungen verankert
sind, beschleunigen darüber hinaus
die Errichtung von neuen
Wohngebäuden, weil der
Planungszeitraum dadurch wesentlich
verkürzt wird.
8. Baukosten durch
Steuerpolitik senken
Es gilt, steuerliche Belastungen –
wie etwa die Grunderwerbsteuer –
aktuell auszusetzen da sie
Eigentumsbildung gerade für Familien
unnötig erschwert. Zusätzliche
Anreizwirkung schafft eine
degressive Sonder-AfA, welche die
zugesagte Erhöhung der linearen
Abschreibung ergänzt. Zudem sollte
der Mehrwertsteuersatz für den
sozialen Wohnungsbau auf 7%
reduziert werden.
9. Mit
zielgerichteter Rohstoffstrategie
den Kostensteigerungen
entgegenwirken
Um Versorgungssicherheit mit
Baumaterialien zu gewährleisten und
extremen Preisschwankungen
vorzubeugen, bedarf es einer
zielgenauen Rohstoffstrategie, die
auf die Ausschöpfung nationaler
Rohstoffabkommen ebenso setzt wie
auf eine effektive
Kreislaufwirtschaft mit schlanken
Zulassungsverfahren für
Recyclingbaustoffe. Eine
Vorfestlegung auf einzelne Baustoffe
wäre kontraproduktiv, es muss
Technologieoffenheit gewährleistet
werden.
10. Für schnelle
Umsetzung der Wohngeldreform
Um soziale Härte zu vermeiden,
sollte die Wohngeldreform schnell
und umfassend umgesetzt werden.
11. Mehr
Klimaschutz – aber mit intelligenten
Maßnahmen
Weitere Belastungen privater
Bauherren und Unternehmen zur
Verbesserung des Klimaschutzes
bedürfen eines Kosten-TÜVs unter der
Kontrolle des Bundeskanzleramts.
Kostengünstigere Maßnahmen zum
Erreichen von mehr Nachhaltigkeit
erhalten den Vorzug, reine
Energieeffizienzmaßnahmen wie EH 40
werden nicht eingeführt. Die
Qualifizierung der Freiräume als
Klimaanpassungsstrategie ist
unverzichtbar.
12. Praxischeck
einführen
Zahlreiche Maßnahmen aus dem
Bundeswirtschaftsministerium werden
nicht oder mit geringen
Reaktionszeiten mit der Branche
abgestimmt. Wieder droht Chaos beim
Bundesprogramm für Effiziente
Gebäude (BEG). Die KfW plant das für
die Antragsstellung notwendig
BEG-Prüftool zwei Wochen vor dem
eigentlichen Programmende zu
schließen. Es bedarf eines Dialoges,
der sich orientiert am positiven
Beispiel des
Bundesbauministeriums.
17
Verbände fordern neue politischen
Kraftakt zur dramatischen Lage im
Wohnungsbau: Jetzt Teufelskreis
durchbrechen!
In einem gemeinsamen
Appell am 02. Dezember 2022 haben 17
Spitzenverbände und Kammern der
Bau-, Planungs- und
Immobilienwirtschaft ihre
Forderungen an Bundesregierung,
Bundestag und die Verantwortlichen
in den Ländern formuliert. HDB-Hauptgeschäftsführer
Tim-Oliver Müller, ZDB-Hauptgeschäftsführer
Felix Pakleppa,
BfW-Bundesgeschäftsführer Markus
Weidling sowie
ZIA-Hauptgeschäftsführer Oliver
Wittke erläuterten stellvertretend
die Lage und die politischen
Forderungen.
ZIA-Hauptgeschäftsführer Oliver
Wittke: „Der Wohnungsneubau in
Deutschland steht aufgrund
explodierender Preise, steigender
Zinsen und zerschlagener
Förderkulisse vor dem Kollaps. Wenn
die Politik jetzt nicht
gegensteuert, laufen wir sehenden
Auges in einen Wohnungsnotstand. Wir
brauchen jetzt eine zielgenau
Neubauförderung, eine Beschleunigung
von Planungs- und
Genehmigungsverfahren sowie
steuerliche Anreize für
Investitionen.“
Tim-Oliver Müller,
Hauptgeschäftsführer des
Hauptverbandes der Deutschen
Bauindustrie (HDB): „Der Bund – aber
vor allem die Länder haben noch
nicht das geliefert, was notwendig
ist, um wirklich mehr bezahlbaren
Wohnraum zu schaffen. Es dürfen
keine Luftschlösser, es müssen
Wohnungen gebaut werden, damit die
Meterinnen und Mieter nicht im Regen
stehen. Bei den ambitionierten
Zielen der Bundesregierung kommen
wir daher am seriellen,
industriellen Bauen nicht vorbei.
Nur so können wir zügig, qualitativ
hochwertig und kostengerecht
zusätzlichen Wohnraum schaffen.
Unsere Forderung ist klar und kostet
keinen einzigen Cent extra. Nur den
Mut und den Willen der Bundesländer.
Denn sie müssen ihre
Landesbauordnungen endlich
harmonisieren, damit wir
industrielle in Serie und mit einem
technologieoffenen Mix an bewährten,
recycelten und neuen Baumaterialien
bundesweit bezahlbares Wohnen
ermöglichen können.“
Markus Weidling,
Bundesgeschäftsführer Bundesverband
Freier Immobilien- und
Wohnungsunternehmen (BFW): „Die
Lösungen liegen auf dem Tisch. Drei
Kernbereiche sind entscheidend: Die
Steuerpolitik, die Förderpolitik und
die Beschleunigung der Planungs- und
Genehmigungsverfahren. Ein
investitionsfreundliches
steuerliches Klima wird auch breiten
Schichten Bauen ermöglichen.
Bezahlbare Wohnungen werden von den
mittelständischen Unternehmen
gebaut, wenn wir wieder
Planungssicherheit durch
auskömmliche Förderung mit
verlässlichen und realistischen
Bedingungen bekommen. Weniger
Vorschriften und Regeln geben den
Unternehmen den nötigen Spielraum
und so wird auch ambitionierter
Klimaschutz machbar.“
Felix Pakleppa,
Hauptgeschäftsführer Zentralverband
Deutsches Baugewerbe (ZDB) : „Wir
brauchen eine konsistente und
stimmige Baupolitik; dazu gehören
auch verlässliche und auskömmliche
Rahmen- und Förderbedingungen. Daher
fordern wir die Wiedereinführung der
ausgelaufenen Sonder-AfA im
Mietwohnungsbau sowie für den
sozialen Wohnungsbau die
Entkoppelung der Förderung von dem
KfW-40-Standard. Nur so werden wir
mehr als die bisherigen 25.000
Sozialwohnungen jährlich bauen
können.“
Meldung:
Bundesarchitektenakmmern, BAK,
Berlin