Wer schon einmal eine
Fremdsprache gelernt hat, weiß, wie
mühsam es ist, sich Vokabeln und
Grammatik anzueignen. Im Gegensatz
dazu erwerben Kinder ihre
Erstsprache scheinbar mühelos.
Bereits mit vier Jahren sprechen
viele Kinder meist fehlerfrei und
greifen auf einen großen Wortschatz
zurück. Doch wie kann das Gehirn das
leisten? WissenschaftlerInnen des
MPI CBS beschreiben nun in einer
Studie im Journal „Cerebral Cortex“,
dass die Entwicklung der
Sprachfähigkeit von Drei- bis
Vierjährigen mit der Reifung von
Hirnarealen innerhalb desselben
Sprachnetzwerkes einhergeht, welches
auch bei Erwachsenen für das
Verstehen und Produzieren von
Sprache verantwortlich ist.
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Die
ForscherInnen haben den
grammatikalischen
Sprachstand von Kindern
zwischen drei und vier
Jahren mit Hilfe von
unterschiedlichen
Sprachspielen untersucht.
© MPI CBS |
Grammatik ist essenziell für unsere
sprachliche Verständigung. Warum?
Einzelne Wörter tragen zwar die
Bedeutung des Satzes, aber erst die
Grammatik setzt die Wörter in
Beziehung zueinander und an ihren
richtigen Platz. Bei der Aussage
„Der Hund der Hase schubsen“, in der
nur die Grundform der Wörter
verwendet wird, würden wir
wahrscheinlich denken, der Hund
schubst den Hasen. Erst wenn wir
grammatikalische Regeln anwenden und
aus denselben Wörtern den Satz „Den
Hund schubst der Hase“ bilden, wird
klar, genau das Gegenteil ist der
Fall. Kinder müssen diese Regeln
erst lernen und meistern dies, ohne
dass sie ihnen jemand explizit
erklärt. „Bis zu ihrem dritten
Geburtstag können Kinder zwar schon
einfachere Regeln anwenden, aber
erst ab dem vierten Lebensjahr
fangen sie an, auch kompliziertere
Sätze zu verstehen und zu
produzieren. Mit unserer Studie
wollten wir herausfinden, welche
Reifungsprozesse im Gehirn mit
diesem Meilenstein in der
Sprachentwicklung einhergehen.“,
sagt Cheslie C. Klein vom
Max-Planck-Institut für Kognitions-
und Neurowissenschaften in Leipzig.
Gemeinsam mit ihren KollegInnen aus
der Abteilung Neuropsychologie und
der Forschungsgruppe „Meilensteine
früher kognitiver Entwicklung“ hat
sie den grammatikalischen
Sprachstand von Kindern zwischen
drei und vier Jahren sowohl beim
Verstehen als auch beim Sprechen von
Sätzen mit Hilfe von
unterschiedlichen Sprachspielen
untersucht.
Neben der Sprachfähigkeit wurde auch
ein Bild des Gehirns der Kinder im
Magnetresonanztomographen (MRT)
aufgenommen, um den Reifestand
bestimmter Hirnareale zu bestimmen.
Die ForscherInnen konnten
beobachten, dass die Entwicklung der
allgemeinen und grammatikalischen
Sprachfähigkeit der Kinder mit der
Reifung von Hirnstrukturen innerhalb
des sogenannten ‚Sprachnetzwerks‘
einherging. „Bei Erwachsenen wurde
bereits mehrfach gezeigt, dass in
diesem Netzwerk verschiedene
Hirnareale zusammenarbeiten, um
Sprachverständnis und -produktion zu
ermöglichen. Die Ergebnisse unserer
Studie zeigen, dass die Reifung des
Sprachnetzwerkes auch den
allgemeinen Sprach- und speziell den
Grammatikerwerb bei Kindern zwischen
drei und vier Jahren unterstützt.“,
erklärt Cheslie C. Klein, die
Erstautorin der Studie ist.
Angela D. Friederici, Direktorin der
Abteilung Neuropyschologie am MPI
CBS und Mitautorin der Studie, hebt
hervor: „Besonders spannend für uns
war, zu sehen, dass die Reifung
einer spezifischen Hirnregion –
welche als Kernregion für Grammatik
gilt – mit den Grammatikfähigkeiten
der vierjährigen Kinder
zusammenhing, nicht aber mit denen
der Dreijährigen. Kinder lernen erst
ab dem vierten Lebensjahr,
komplexere Satzstrukturen zu
verstehen und zu produzieren. Unsere
Ergebnisse deuten also darauf hin,
dass dieser Meilenstein im
Spracherwerb erst durch die
Unterstützung des Broca-Areals bei
der Verarbeitung komplexer Grammatik
ermöglicht wird. Damit liefern
unsere Befunde neue Einblicke in die
neuronalen Prozesse, die zu einer
erfolgreichen Sprachentwicklung
beitragen. Erkenntnisse wie diese
sind sehr wichtig, denn sie
ermöglichen auch ein besseres
Verständnis für
Entwicklungsverzögerungen oder sogar
Störungen im Spracherwerb.“
Meldung:
Max-Planck-Institut für Kognitions-
und Neurowissenschaften, Leipzig
Quelle: Cheslie C
Klein, Philipp Berger, Tomás Goucha,
Angela D Friederici, Charlotte
Grosse Wiesmann:
Children’s syntax is
supported by the maturation of BA44
at 4 years, but of the posterior STS
at 3 years of age | Cerebral Cortex
| Oxford Academic (oup.com)