Die Entscheidung des
Obersten Gerichtshofs sorgt weiter
für Spannungen.
Recht und Politik
sind stets eng miteinander
verbunden. Gelegentlich sind die
Gerichte des Vereinigten Königreichs
aufgerufen, sich mit
verfassungsrechtlichen Fragen zu
befassen, die von diesen Gerichten
zwar streng juristisch formuliert
und verstanden werden, dennoch
politische Auswirkungen haben.
Dies kann gelegentlich dazu führen,
dass diese Gerichte unbegründeter
Kritik wegen einer vermeintlichen
Einmischung in die Politik
ausgesetzt sind. Die Beurteilung der
Rechtsfragen, die sich aus dem
Brexit-Prozess ergaben, führte
beispielsweise zu der irrigen
Annahme, dass die Gerichte eine
demokratische Anweisung umstoßen
wollten. Indem sie sich mit diesen
wichtigen verfassungsrechtlichen
Fragen befassen, erfüllen die
Gerichte jedoch eine ihrer
wertvollsten Aufgaben: Sie bewahren
und klären die Grenzen der
rechtlichen Verfassung, innerhalb
derer sich die tagtäglichen Fragen
der Politik bewegen müssen.
Unzufriedenheit mit der
Dezentralisierung
In diesem Zusammenhang erließ der
Supreme Court am 23. November ein
Urteil in der Rechtssache Reference
by the Lord Advocate of devolution
issues under paragraph 34 of
Schedule 6 of the Scotland Act 1998
[2022] UKSC 31. Die Frage, mit der
sich das Gericht in diesem Fall
befasste, war einfach: "Ist das
schottische Parlament befugt, die
Durchführung eines Referendums über
die schottische Unabhängigkeit
gesetzlich zu regeln?". Die
politischen Empfindlichkeiten sind
allgemein bekannt. Eine wachsende
nationalistische Bewegung in
Schottland in den letzten
Jahrzehnten erreichte ihren
Höhepunkt mit der Abhaltung eines
Referendums im Jahr 2014 über die
Frage der Unabhängigkeit Schottlands
vom Vereinigten Königreich.
Dieses Referendum sprach sich zwar
für die weitere Zugehörigkeit zum
Vereinigten Königreich aus, doch
seitdem haben die Unzufriedenheit
mit den Realitäten der derzeitigen
Dezentralisierungsregelung und vor
allem der Brexit - gegen den Willen
einer Mehrheit der schottischen
Bevölkerung - die Frage erneut auf
den Prüfstand gestellt. Die First
Minister Schottlands und Vorsitzende
der SNP, Nicola Sturgeon, hat
deutlich gemacht, dass sie ein
weiteres Unabhängigkeitsreferendum
anstrebt. Während das erste
Referendum jedoch mit Zustimmung der
britischen Regierung stattfand, hat
die britische Regierung diesmal ihre
Zustimmung zur Abhaltung eines
Referendums verweigert, wodurch die
Frage vor Gericht in diesem Fall
begründet wurde.
Der rechtliche Rahmen der
Dezentralisierung sieht vor, dass
bestimmte Themenbereiche den
britischen Regierungs- und
Gesetzgebungsinstitutionen
vorbehalten sind, was bedeutet, dass
die Parlamente und Regierungen in
Schottland, Wales und Nordirland in
diesen Bereichen keine Zuständigkeit
haben. Zu diesen Bereichen gehören
die Verfassung, die Verteidigung und
die auswärtigen Angelegenheiten.
Bei Angelegenheiten, die nicht unter
diesen Vorbehalt fallen, wird jedoch
davon ausgegangen, dass sie in die
Zuständigkeit der dezentralisierten
Organe fallen. Der Oberste
Gerichtshof stellte in diesem Fall
unter anderem fest, dass die
Entscheidung, ein weiteres
Referendum über die schottische
Unabhängigkeit abzuhalten, eine
Angelegenheit betrifft, die
Westminster vorbehalten ist, nämlich
"die Union der Königreiche
Schottland und England", wie im
Scotland Act 1998 klargestellt wird.
Die Feststellung ist daher einfach.
Das schottische Parlament ist nicht
befugt, die Durchführung eines
weiteren Referendums zu genehmigen.
In rechtlicher Hinsicht ist das
Urteil unumstritten und beruht auf
einem bewährten Grundsatz. In
politischer Hinsicht wird die
Entscheidung jedoch wahrscheinlich
zu Spannungen zwischen Schottland
und dem Rest des Vereinigten
Königreichs führen. Sturgeon hat
zwar deutlich gemacht, dass sie die
Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs respektieren wird, doch
der Wunsch nach Unabhängigkeit
bleibt bestehen. Die Zeit wird
zeigen, ob dies zu einem
Zusammenbruch der politischen
Beziehungen zwischen Edinburgh und
London führt oder ob das Streben
nach Unabhängigkeit so lange
aufgegeben wird, bis beide Parteien
auf derselben Seite stehen.
Dr. John Stanton, Dozent
an der City Law School, kommentiert
die verfassungsrechtlichen Fragen
Meldung:
Ida Junker, Agentur
PPOOL, Paris