In Hollywood haben
Schauspielerinnen, die die 35
überschritten haben, kaum Chancen
auf eine bedeutende Rolle. Anders in
Europa: In den vergangenen Jahren
sind weibliche Stars über 60 hier
durchaus prominent vertreten. Woran
das liegt und wie es vom Publikum
gesehen wird, das erforscht nun ein
Projekt der Filmwissenschaft an der
Goethe-Universität.
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Filmszene aus
"Der Flohmarkt von Madame
Claire", Frankreich, 2018,
Regie: Julie Bertucelli,
Hauptrolle: Catherine
Deneuve als Marie Claire
Darling, Foto (c) Neue
Visionen Filmverleih |
Catherine Deneuve, Senta Berger,
Iris Berben – drei
Schauspielerinnen, deren Karrieren
nicht unbedingt unter ihrem
zunehmenden Lebensalter gelitten
haben. Nach wie vor werden sie
besetzt, und das beileibe nicht in
Nebenrollen. „Während das
amerikanische Kino nach wie vor von
einem strukturellen Jugendkult
geprägt ist und Frauen über 35 quasi
unsichtbar werden, waren im
europäischen Kino der letzten
fünfundzwanzig Jahre auffällig viele
große Hauptrollen für
Schauspielerinnen über 60 zu sehen“,
sagt Prof. Vinzenz Hediger,
Filmwissenschaftler an der
Goethe-Universität. Aus der
Wahrnehmung dieses Kontrasts
entstand die Idee zu einem neuen
europaweiten Verbundprojekt, das nun
in der Förderlinie „Challenges for
Europe: The Graying Continent“ der
VolkswagenStiftung mit einer Summe
von 1,5 Millionen Euro auf vier
Jahre gefördert wird. Das Projekt
selbst trägt den Titel: „AGE-C Aging
and Gender in European Cinema“ und
ist eines von insgesamt sechs
Vorhaben in der Förderlinie.
Partner im Projekt der
Goethe-Universität sind das King’s
College der University of London,
die Universitäten Paris-3 und Udine
und die Sapientia in Cluj-Napoca in
Rumänien. Gemeinsam will man
erforschen, wie
Geschlechterverhältnisse im
europäischen Kino dargestellt werden
und wie diese Darstellung auf das
Publikum wirkt. Auch die
Produktionsabläufe sollen untersucht
werden: Welche Rolle spielt zum
Beispiel die europäische und
staatliche Filmförderung? Wie hat
sich das Kinopublikum in den
vergangenen Jahren von seiner
Altersstruktur und seiner sozialen
Zugehörigkeit verändert? Ist das
Publikum vielleicht gar mit den
Schauspielerinnen gealtert, während
jüngere Menschen mehrheitlich nicht
mehr ins Kino gehen, sondern lieber
zu Hause streamen? „Hier gibt es
anscheinend auch innerhalb Europas
große Unterschiede“, sagt Vinzenz
Hediger. „In Frankreich zum Beispiel
wird mehr Geld in filmische Bildung
investiert, dort wächst auch das
Arthousekino nach.“ Allein in einer
Stadt wie Metz gebe es sechs
Arthousekinos – davon ist
Deutschland weit entfernt.
Bislang ist dieses gesellschaftlich
relevante Thema noch wenig
erforscht. Eine Monographie stammt
vom Frankfurter Filmwissenschaftler
Thomas Küpper, sie trägt den Titel
„Filmreif. Das Alter in Kino und
Fernsehen“ und wurde 2010 in Berlin
publiziert. Nun soll das Phänomen
auf Basis von rund 400 bereits
ausgewählten europäischen Kinofilmen
ganzheitlich untersucht werden; man
wird hierbei eng mit Filmfestivals
kooperieren, aber auch mit Partnern
im Gesundheitswesen, u.a. mit dem
Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt.
An der Goethe-Universität sind das
Cornelia Goethe-Centrum und das
Frankfurt Forum for
Interdisciplinary Aging Research
involviert. Offizieller Start des
Projekts ist der 1. Januar 2023.
Meldung:
Goethe-Universität, Frankfurt