Romantik-Museum vereint Exponate der Goethezeit in umfänglichem Bestandskatalog

Die erste große Sonderausstellung im Deutschen Romantik-Museum läuft bis 6. November 2022, zu sehen sind zahlreiche Zeichnungen aus dem Nachlass Goethes, zum Teil von ihm selbst angefertigt. Vor allem die Jahre die er in Italien verbrachte, waren inspirierend während der zeichnerischen Tätigkeit. Meist handelt es sich um kleinformatige Exponate, fast zu klein, um heutzutage noch ausreichend Wirkung zu entfalten, doch das Bildformat sollte erst beim wiederholten Blick eine Rolle spielen. Im frühen 19. und ausgehenden 18. Jahrhundert galt die Kunst des Zeichnens noch nicht als eigenständige Gattung, sondern diente als Beigabe zu einem Brief oder war als Studie zu einem größeren Gemälde gedacht. Aus heutiger Sicht handelt es sich jedoch um außerordentlich seltene Kunstschätze, belegen sie doch, dass Goethe nicht nur Schreiben sondern auch zeichnerisch Darstellen konnte. Diese Sammlung mit Bezug zu Goethe und seiner Zeit, die in einem umfänglichen Bestandskatalog aus dem Hirmer Verlag bis auf den heutigen Stand zusammengeführt wurde, umfasst Zeichnungen und Aquarelle von über 60 Künstlern und Künstlerinnen, die den faszinierenden Ideenreichtum sowie die technische und motivische Vielfalt der Zeichenkunst um 1800 offenbaren.
 

Blick in den Ausstellungsraum im Untergeschoss des neuen Romantik-Museum

 

Franz Horny (1798-1824) Fernblick auf Monte Serrone und Paliano, um 1817, Bleistift auf Vergépapier 184 x 127 mm, Verso: Pesciaiolo da lago di Fucino

Der Katalog aus dem Hirmer Verlag versteht sich als Bestandskatalog, der gesammelte Zeichnungen und Aquarelle aus dem Depot des Freien Deutschen Hochstift um 1800 erstmals in einem Band zusammenfasst. Nicht zuletzt gilt hierbei ein besonderes Interesse den wissenschaftlichen Studien, wie eine Zeichnung des menschlichen Auges und seiner Bestandteile von Christian Koeck aus dem Jahre 1801. Waren die aufkeimenden Naturwissenschaften doch gerade erst in einer Entstehungsphase. Auch Goethe unternahm zahlreiche wissenschaftliche Studien, so entwickelte er eine eigene Farbenlehre, die bis in die Gegenwart vor allem in Designfragen ihre Gültigkeit behalten hat: Neben vielfältigen Landschaftsstudien die während zahlreicher Reisen nach Italien entstanden oder jedenfalls von einer dieser Reisen inspiriert waren, sind auch kleine Karikaturen ausgestellt, die aus ihrer Zeit heraus mit eignem Witz eine Pointe zum Besten geben, über deren erfrischende Lebendigkeit sich der feinsinnige Betrachter heutzutage mehr als Staunen kann. 
 

 

 

Auf dem Foto die beiden Kuratorinnen, zweite von links, Dr. Mareike Hennig mit Katalog und ganz rechts, Dr. Neela Struck, am 25. August im Gartensaal des Goethemuseum anlässlich Ausstellungseröffnung

Interessant ist, welche zeichnerischen Techniken zur Anwendung kamen, um Gesehenes oder Gemeintes zum Ausdruck zu bringen. Einerseits feine Linienzeichnungen, welche die äußerste Empfindsamkeit der Epoche wiedergeben und vom frühromantischen Gedanken durchdrungen sind, andere Zeichnungen wirken aufbrausend, zeigen die rohe Natur und die Übermacht der Naturereignisse, wenn lodernd aufsteigende Formen mit unterschiedlichsten Schattierungen aus dem Inneren einer Höhle berichten oder der tosende Krach eines herabstürzenden Wasserfalls vor den Augen des Betrachters wiederaufzuleben scheint. Zwei gegensätzliche Strömungen, empfindsam und aufbrausend roh, die sich in der Ausstellung gegenüberstehen. Unfertige Zeichnungen die an den Rändern zbis Ende gezeichnet sind, sollen andeuten, dass das menschliche Auge vor allem das wahrnimmt, was im Fokus passiert, die Peripherie jedoch, die genauso wichtig ist und das zeigt was am Rande des Auges geschieht, verschwimmt zunehmend und wird unscharf. Diese Eigenschaften des Sehens wollten die Romantiker mit am Rande der Zeichnung unvollendeten Linien und Schraffuren verstärkt zum Ausdruck bringen.

 

Feine Linien, eine Schraffur oder ein weicher Strich auf dem Papier können vorkommen, so individuell wie die Handschrift des Künstlers so vielfältig sind eben auch seine Zeichenmittel. Neben Feder und Tinte eröffnen Pinsel und Wasserfarben, schwarze und farbige Kreiden, wie Rötel, aber auch harte oder weiche Bleistifte ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten. Wobei die Skizze sowohl eine literarische, als auch eine zeichnerische Gattung sein kann. Sie ist in jedem Fall die erste fassbare Äußerung einer künstlerischen Idee.

 

In den letzten Jahren standen die Handzeichnungen des Freien Deutschen Hochstifts im Mittelpunkt eines durch die Art Mentor Foundation Lucerne geförderten Erschließungsprojektes. Durch ihre Separierung aus der deutlich größeren Sammlung aller Arbeiten auf Papier (so auch etwa der Druckgraphiken) wurde der tatsächliche Bestand der einzigartigen Werke ermittelt. Die wissenschaftliche Bearbeitung lässt eine Sammlung von über 3.000 Blatt greifbar werden. Sie erhellt dabei nicht allein die Besonderheit jeder einzelnen Zeichnung und macht erstaunliche Entdeckungen, sie lässt auch erstmalig den Charakter einer originellen Sammlung erkennen, die sich der Kunst des Zeichnens um 1800 in all ihren Facetten zuwendet und bislang verborgen blieb.


Erst jetzt wird ersichtlich, wie reich und qualitätvoll die Sammlung ist und wie viel sie über das Zeichnen, aber auch über das Sammeln im 18. und 19. Jahrhundert aussagt. In dieser Hinsicht zeigt die Ausstellung mit etwa 130 Exponaten sowohl die Höhepunkte einer Sammlung von Zeichenkunst aus dem deutschsprachigen Raum in Klassizismus, Aufklärung und Romantik mit einer erstaunlichen Fülle bedeutender Künstler, als auch die Entwicklung einer historisch gewachsenen, musealen Sammlung mit ganz eigenem Profil.

 

Amüsant ist ein Beitrag von Steffen Egle, denn "ohne Beyhülfe eines Lehrers richtig zeichnen... lernen" erläutert, dass es Zeichenanleitungen schon zur Goethezeit gegeben hat und bezieht sich damit sogleich auf Youtube, erwähnt Malkurse des Amerikaners Bob Ross aus den 1990er Jahren. Darunter Jakob Philipp Hackert, der um 1800 eine Anleitung zum Bäume zeichnen, Kastanie und Eiche, veröffentlichte, nach dessen Anleitungen sich ebenfalls Goethe im Zeichnen versuchte.

 

Die Ausstellung bezieht die Besucher mit ein. Um das Zeichnen zu erproben und konkret zu erfassen, gibt es einen eigens eingerichteten Ort zum selbstständigen Zeichnen. Im offenen Zeichenatelier, direkt in der Ausstellung, in Zeichenschulen und weiteren Formaten werden unterschiedliche Techniken erprobt und die Möglichkeiten der Zeichnung ausprobiert. Das Angebot richtet sich an jeden Interessierten.

 

Foto (c) Kulturexpress

 

Siehe auch: Zeichnen im Zeitalter Goethes - Romantik-Museum, Frankfurt am Main, 27. August bis 06. November 2022

 

 

 

Zeichnen im Zeitalter Goethes
Zeichnungen und Aquarelle aus dem Freien Deutschen Hochstift
Hirmer Verlag, München
1. Auflage, 2022
gebundene Ausgabe, 312 Seiten
Format: ‎ 23,1 x 3,2 x 29,7 cm
ISBN ‏ 978-3777439761

 

www.hirmerverlag.de

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 24. September 2022