Matera moderna
Postkarten aus der Zeit des italienischen Wirtschaftswunders

Das süditalienische Matera hat sich aufgrund seiner Höhlensiedlungen zu einem vielbesuchten Reiseziel entwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen galt die Stadt wegen der seinerzeit unwürdigen Lebensbedingungen in diesen Sassi als »Schande Italiens«, weit entfernt von den Neuerungen, die andere Teile des Landes längst in die Moderne geführt hatten. Der Turiner Schriftsteller Carlo Levi hat die damalige Wirklichkeit in seinem Roman "Christus kam nur bis Eboli" (1946) literarisch verewigt. In den Fünfziger- bis Achtzigerjahren erfolgte in Matera und Umgebung eine staatlich organisierte und finanzierte »Modernisierung von oben«. Sie hat Spuren hinterlassen, die die Provinz bis heute prägen. Zeitgenössische Ansichtskarten dokumentieren die Ankunft der Moderne.
 

 

   

Mit Matera moderna. Postkarten aus der Zeit des italienischen Wirtschaftswunders hat der Architekturkritiker und Bauwelt-Redakteur Ulrich Brinkmann diese Bildquellen genutzt, um diese von oben verordnete Modernisierung der bis dahin stets vernachlässigten Region Lukanien zu untersuchen; bereits vor einigen Jahren hat er eine solche Analyse der latinischen Malerlandschaft vorgelegt. Städtebau, Straßenbau, Wasserregulierung und eine Bodenreform waren die Kerninhalte der staatlichen Modernisierungsmaßnahmen des Mezzogiorno, des rückständigen Südens. Die Bilder von Kolonistendörfern und Trabantensiedlungen, von Staudämmen und Schnellstraßen wurden nicht als Zerstörung der Kulturlandschaft, sondern als vorzeigbares Versprechen einer besseren Zukunft begriffen: Der technische und der damit einhergehende gesellschaftliche Fortschritt sollten es endlich weiter schaffen als bis Eboli. Doch heute werfen diese Bilder auch Fragen auf, die unsere Gegenwart berühren: Wie nachhaltig sind staatliche Modernisierungsprogramme? Wie weit verbinden sie sich mit historischen Entwicklungslinien? Und kann es gelingen, sie als Weiterentwicklung einer Kulturlandschaft zu verstehen?

 

 

 

© Cifarelli Agenzia Giornali Libri, Matera / P. Marzari, Schio

 

Dieser Band soll den Blick auf Errungenschaften schärfen, die ein paar Jahrzehnte später wieder infrage stehen oder im Verschwinden begriffen sind – denn nicht alle mit viel Zuversicht und nicht geringen Mitteln angegangenen Maßnahmen haben sich als erfolgreich erwiesen. So können diese Fragen auch für heutige Programme aufschlussreich sein.

 

 

Siehe auch: VOR MIR DER SÜDEN
Ein Film von Pepe Danquart (BRD) Roadmovie und Hommage an den italienischen Filmregisseur Pier Paolo Pasolini

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 06. August 2022