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Heidi Bucher
beim Häutungsprozess von
Herrenzimmer, 1978, Courtesy
The Estate of Heidi Bucher,
Foto (c) Hans Peter Siffert
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Am 23. April lief abends in 3sat ein
Fernsehbericht von Claudia Müller
über die Schweizer Künstlerin Heidi
Bucher. Auf der Insel Lanzarote, wo
Heidi Bucher sich ab den
1980er-Jahren immer wieder für
längere Zeit aufhielt, nahm die
Künstlerin zahlreiche Raumhäutungen
vor. Sie fertigte architektonische
Latexarbeiten und Weichobjekte
(Fenster und Türen) mit Bezug zur
ortstypischen Architektur Lanzarotes.
Sie verstand das Haus in Analogie
zum menschlichen Körper: Die
Architektur ist die Hülle, die ihn
wie eine Haut umgibt und schützt. In
der Weiterführung dieser Analogie
sind die Fenster die Augen, die den
Blick auf die Welt freigeben und die
Tür ist der Mund, der das Antlitz
des Hauses vervollständigt. Der in
der Ausstellung gezeigte Film "Räume
sind Hüllen, sind Häute" (1981)
zeigt sie bei den Latex-Häutungen im
Ahnenhaus ihrer Großeltern. Das
Kunstmuseum Bern präsentiert die
bisher umfassendste Retrospektive zu
Heidi Bucher (1926 - 1993) in der
Schweiz vom 08. April bis 07. August
2022
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Zwei Beiträge
in der vorliegenden Publikation
"Modell Hütte" befassen sich mit dem
Thema Haut. Zum einen "Schnitt &
Naht. Chirurgische Intermediationen
in Haut" von Anna L. Roethe. Der
Beitrag bezieht sich so gut wie gar
nicht auf architektonische
Eigenschaften. Das Bild der Haut
lässt jedoch den Blick auf eine
Künstlerin aus Darmstadt zu;
Annegret Soltau, die mit
Fotovernähungen ähnliche Aspekte der
chirurgischen Intermediation wählt.
Ein weiterer Beitrag "Oberfläche und
Widerstand. Die Verräumlichung des
Denkens bei Freud" von Samo Tomsic
befasst sich mit der Untersuchung
zur Geometrisierung des Denkens bei
Freud.
Emergenz
bezeichnet die Möglichkeit der
Herausbildung von neuen
Eigenschaften oder Strukturen eines
Systems infolge des Zusammenspiels
seiner Elemente. "Modell Hütte"
nimmt sich dieser Strukturen an,
indem die beiden Herausgeberinnen
und mit ihnen eine Reihe an Autoren
versuchen, mit der Hütte den Raum zu
falten, denn die Hütte erstellt
gewissermaßen aus sich heraus eine
Tasche oder eine Abteilung in ihm
und ermöglicht auf diesem Weg ein
relatives Innen in Differenz zu
einem Außen.
Eine solche temporäre Faltung des
Raums kann vielfältige Funktionen
haben und etwa als Unterstand,
Obdach, Versteck, Lager oder
Zuflucht dienen. In jedem Fall wird
der Bau nur selten planvoll
konstruiert. Denn die Bauweise der
Hütte gründet auf einer kreativen
Vorgehensweise, die aber nicht mehr
als solche wahrgenommen wird. In der
Konsequenz daraus bildet die Hütte
keine eigene Kategorie, sondern will
lediglich beispielhaft fungieren.
Sie liefert somit das Modell für die
spontane Emergenz von Strukturen,
die in der Folge entweder vergehen
und damit ephemer bleiben oder aber
eine eigene Geschichte in Natur und
Kultur begründen. Dieses weit über
die Architektur hinausreichende
"Modell Hütte" erschließen die
geistes- und naturwissenschaftlichen
sowie gestalterischen Beiträge des
Bandes über eine Vielfalt von
Diskursen, u.a. zu Wohnen in the
making, Prekäre Räume, Technik des
Ephemeren, Kulturelle Urszene,
Erweiterte Physiologie sowie Haut
und Sein.
Der Band aus dem schweizerischen
diaphanes Verlag enthält Beiträge
von: Michel Agier, Emily Brownell,
Michael Cuntz, Heike Delitz,
Elmgreen 5 Dragset, Michael
Friedman, Finn Geipel & Sabine
Hansmann, Ulrike Haß, Inge
Hinterwaldrier, Tim Ingold, Susanne
Jany & Khashayar Razghandi, Stephan
Kammer, Joachim Krausse, Karin
Krauthausen, Rebekka Ladewig,
Stephan Pinkau, Luca Rendina,
Kathrin Röggla, Anna L. Roethe, Samo
Tomsic, Felicity Scott und J.
Scott Turner.
www.diaphanes.com
Modell Hütte
Von emergenten Strukturen,
schützender Haut und gebauter Umwelt
(Hrsg.) Karin Krauthausen & Rebekka
Ladewig
diaphanes Verlag, Zürich
1. Auflage, 2022
Gebunden, 544 Seiten mit zahlr.
Abb.
Format: 16,5 x 24,4 x 4,3 cm
ISBN: 978-3037349830