Stadt Frankfurt und Initiativen stellen neuen Geschichtsort vor

Geschichtsort Adlerwerke eröffnet

Der Ausstellungsraum in der Kleyerstraße ist rund 160 Quadratmeter groß und befindet sich im historischen Gebäudekomplex der ehemaligen Adlerwerke in direkter Blickachse zum östlichen Eckrisalit des Gebäudekomplexes, dem Turm, in dem sich das grausame Konzentrationsaußenlager unter dem Decknamen „Katzbach“ befunden hat. In einer Kooperation zwischen dem Förderverein zur Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ-Katzbach und zur Zwangsarbeit in Frankfurt am Main, dem Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 und dem Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt entstand ein innovatives und zeitgemäßes Konzept.

 

 

 

Außenansicht Adlerwerke, Kleyerstraße, Foto (c) Salome Roessler

 

Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig hat am Donnerstag, 24. März, zusammen mit den beteiligten Vereinen den neuen „Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager“ präsentiert. Nach langer Suche konnte ein passender Raum im historischen Gebäudekomplex der ehemaligen Adlerwerke gesichert werden und die intensiven Planungen mit den beteiligten zivilgesellschaftlichen Initiativen sind abgeschlossen. Am Freitag, 25. März, öffnet der Gedenkort feierlich seine Türen, die Veranstaltung wird per Livestream übertragen. Das Eröffnungswochenende bietet dann eine Reihe von Veranstaltungen für alle Interessierten.

Oberbürgermeister Peter Feldmann: „Mit dem Geschichtsort entsteht in Frankfurt eine neue Institution, die sich der Aufarbeitung der NS-Geschichte unserer Stadt dauerhaft widmet und den Bogen in die heutige Zeit schlägt. Der Geschichtsort schließt eine weitere Lücke in der Frankfurter und südhessischen erinnerungskulturellen Landschaft. An diesem partizipativen Ort können Themen der Zwangsarbeit und des grausamen Konzentrationslagers ‚Katzbach‘ aufgearbeitet und vermittelt werden. Denn die Geschichte hat immer auch was mit uns heute zu tun. Solche wichtigen Aspekte wie Migration und Diversität, Arbeit und deren Bedingungen oder Zivilcourage spielen damals wie heute eine entscheidende Rolle für die Gesellschaft.“

Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig sagte: „Seit Beginn meiner Amtszeit setze ich mich zusammen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen für eine dauerhafte Erinnerungs- und Bildungsstätte zu Themen des Konzentrationsaußenlagers ‚Katzbach‘ und der Zwangsarbeit in Frankfurt ein. Die Forderung danach ist mittlerweile über 30 Jahre alt. Es ist dem ausdauernden und unerbittlichen Engagement der Zivilgesellschaft zu verdanken, dass wir den Geschichtsort Adlerwerke nun gemeinsam eröffnen können. Der Geschichtsort Adlerwerke ist ein lebendiger Erinnerungsort. Es ist einerseits ein Ort, an dem den zahlreichen Opfern des KZ und der Zwangsarbeit gedacht wird. Gleichzeitig ist es ein Ort partizipativer und interaktiver Vermittlung.“ Das Projekt wird jährlich mit 126.000 Euro vom Dezernat für Kultur und Wissenschaft gefördert. Darin enthalten ist ein Betriebskostenzuschuss inklusive Personalkosten sowie die Miet- und Nebenkosten für den Raum in der Kleyerstraße 17. Dieser bildet den Grundstock der dauerhaften Finanzierung und personellen Ausstattung des Geschichtsortes.
 

 

Geschichtsort Adlerwerke am 24. März 2022, Foto (c) Holger Menzel

 

Der seit 2015 bestehende Förderverein sieht sein Ziel der Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte nun erfüllt und möchte den Betrieb des Geschichtsortes nach eigenen Möglichkeiten unterstützen. „Die Existenz eines Konzentrationslagers mitten in Frankfurt war lange Jahre ein Tabuthema innerhalb der Stadtgesellschaft und der Stadtverwaltung. Wir freuen uns, dass Frankfurt sich zu seiner Geschichte endlich bekennt. Die vergangenen Monate haben allen Beteiligten, besonders den Ehrenamtlichen, Einiges abverlangt. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen“, sagte Elke Sautner für den Vorstand des Fördervereins.
 

 

Der Geschichtsort Adlerwerke wird durch den Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945, einem der ältesten Frankfurter Vereine, die sich der Aufarbeitung der NS-Geschichte verschrieben haben, betrieben. „Es ist eine neue herausfordernde Aufgabe für den Studienkreis, auf die wir uns sehr freuen. Gleichzeitig ist es Ausdruck großer Wertschätzung vonseiten der Stadt Frankfurt gegenüber uns und all den Einzelpersonen und Vereinen, die sich für die Realisierung des Projektes eingesetzt haben und die wir auch weiter in die Arbeit einbeziehen möchten. Der Geschichtsort soll ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit der Geschichte insbesondere für junge Menschen sein, damit sie etwas für das Hier und Jetzt mitnehmen können“, ergänzte Gudrun Schmidt vom Vorstand des Studienkreises.

Das Konzept für den Geschichtsort Adlerwerke wurde vom Kuratorenteam bestehend aus Thomas Altmeyer, Historiker, Dozent an der Goethe Universität und wissenschaftlicher Leiter des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945, und Gottfried Kößler, freier Kurator und ehemaliger stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts, in Abstimmung mit den Initiativen, den Akteuren im Stadtteil, den Nachkommen der Opfer, deutschen und europäischen Gedenk- und Bildungsstätten und städtischen Institutionen entwickelt. Das Team des Geschichtsortes unter der Leitung von Altmeyer hat seine Arbeit bereits seit einiger Zeit aufgenommen.

Die Ausstellung besteht aus vier thematischen Modulen: die Geschichte der Fabrik und ihre Bezüge in das Stadtviertel, die Zwangsarbeit in Frankfurt, die Geschichte der Entstehung und der Existenz des Konzentrationsaußenlagers und schließlich der Umgang mit diesen Themen nach 1945 bis heute. Ein Medientisch, mehrere Hörstationen und weitere interaktive Angebote sollen zu aktiver Auseinandersetzung anregen und Informationen auf unterschiedlichen Ebenen vermitteln.

„Das Konzept für den Geschichtsort basiert auf Partizipation. Sie beginnt bei der Zusammenarbeit mit den Initiativen und richtet sich an jeden Besucher und jede Besucherin. Alleinstellungsmerkmale des Geschichtsortes sind Aufgreifen unterschiedlicher Perspektiven, Arbeit mit Jugendlichen und Ort der Erinnerung“, erklärt Altmeyer.

Parallel zu den Eröffnungsvorbereitungen und der Einrichtung des Geschichtsortes lief die Ausarbeitung erster Vermittlungsangebote. Gleich nach der Eröffnung soll mit der Ansprache der Frankfurter Schulen und Bildungseinrichtungen begonnen werden. Dank der guten Vernetzung des Geschichtsortes in der Stadt und in der Region gibt es bereits zahlreiche Anmeldungen für Führungen und Workshops.

Hartwig sagte: „Ich bin mir sicher, dass sich der Geschichtsort Adlerwerke sehr bald als eine Erinnerungs- und Bildungsstätte nicht nur in unserer Stadt, sondern auch bundesweit etablieren wird. Mit dem Geschichtsort Adlerwerke erinnern wir mitten in Frankfurt an die Opfer des Konzentrationslagers und der Zwangsarbeit und bieten damit Möglichkeiten für eine kritische Aufarbeitung der Geschichte, für Vermittlungsarbeit und politische Bildung. Ich wünsche dem Team viel Erfolg und bedanke mich bei den Initiativen und Vereinen für die konstruktive und angenehme Zusammenarbeit.“

 

Historischer Hintergrund
 

Im Sommer 1944 entstand im Gallusviertel unter dem Decknamen „Katzbach“ eines der grausamsten KZ-Außenlager im „Dritten Reich“. Die Häftlinge waren in der Rüstungsproduktion eingesetzt, die zu dieser Zeit trotz der sich abzeichnenden Niederlage des NS-Regimes forciert wurde.

Die insgesamt 1616 Gefangenen, die zum Großteil aus Polen stammten, wurden auf dem Gelände der Adlerwerke zwischen August 1944 und März 1945 unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und zur Arbeit gezwungen. Die Todesrate war im Vergleich zu anderen Lagern in der Rüstungsproduktion enorm hoch. 527 Häftlinge starben in Frankfurt, weitere 165 kurz nach ihrem Abtransport in Krankenlager, in die sie wegen „Arbeitsunfähigkeit” gebracht wurden. Im März 1945 wurden im Zuge der Auflösung des Lagers rund 450 erschöpfte Häftlinge ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Nur elf Überlebende dieses Transports sind bekannt. Die übrigen 360 bis 370 Häftlinge wurden am 24. März 1945, kurz vor dem Einmarsch der Alliierten in Frankfurt, auf einen „Todesmarsch“ geschickt, den viele nicht überlebten.

Neben den KZ-Häftlingen beschäftigten die Adlerwerke zwischen 1941 und 1945 mehrere tausende zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Insgesamt waren in Frankfurt im Frühjahr 1944 zwischen 43.000 und 50.000 zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt. Auf der Frankfurter Gemarkung befanden sich etwa 145 Zwangsarbeitslager.

Die Eröffnung des Geschichtsortes findet am Freitagabend, 25. März, statt. Die Veranstaltung wird auf der Website www.kultur-frankfurt.de/livestream und der Facebook-Fanpage von Frankfurt&Culture ab 18 Uhr per Livestream übertragen. Eine Aufzeichnung kann anschließend unter kultur-frankfurt.de/livestream und über den YouTube-Kanal des Kulturdezernats Frankfurt&Culture abgerufen werden. Informationen zu geplanten Veranstaltungen, dem Team rund um den Geschichtsort und vielem mehr finden sich ab sofort unter www.geschichtsort-adlerwerke.de. Das Informationsangebot wird kontinuierlich ergänzt und durch Auftritte im Social Web begleitet. 

 

Meldung: Presseinfo der Stadt Frankfurt  am Main (pia)

 

 

 

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 24. März 2022