Beim Neubauprojekt
der Städtischen Bühnen, so scheint
es, geht es voran. So sollen die
Stadtverordneten möglichst bald über
den Standort der neuen Bühnengebäude
entscheiden. Grundlage dafür sind
weitere Gutachten zu den Themen
Denkmalschutz, Verkehr und Klima –
dass es diese nun gibt, ist
erfreulich. Zusammengefasst ist der
Stand der Dinge ein dem im Herbst
letzten Jahres vorgelegten Bericht
der Stabsstelle „Zukunft Städtische
Bühnen“. Der mehr als hundert Seiten
zählende Band ist an eine breitere
Öffentlichkeit gerichtet, dürfte
aber nicht zuletzt auch den
Stadtverordneten als Grundlage ihrer
Entscheidung dienen. Vermeintlich
neutral analysiert der Bericht die
Vor- und Nachteile der verschiedenen
Optionen für die Zukunft der
Städtischen Bühnen. Doch eine genaue
Analyse zeigt, dass er Fakten
verzerrt und ausblendet, um
„Argumente“ für das Projekt
Kulturmeile zusammenzutragen, also
für den Bau zweier getrennter Häuser
für Oper und Theater an den
Wallanlagen. Mit diesen
Manipulationen steht der Bericht
beispielhaft für die (Des-)Informationspolitik
von Stabsstelle und Kulturdezernat
während der vergangenen Jahre.
Bericht zur Zukunft der Städtischen
Bühnen - September 2021...
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Blick auf
gläserne Außenfassade der
Oper Frankfurt, Februar 2017 |
An
vier Punkten zeigt sich deutlich:
1. Kleinrechnen der
Investitionskosten: Zahlen
vermitteln den Anschein objektiver
Fakten, so erscheint das
Ergebnis der Kalkulationen der
Stabsstelle eindeutig und belastbar.
Mit geschätzten Investitionskosten
in Höhe von € 811 Mio. wird das
Kulturmeilen-Projekt gegenüber den
vier anderen möglichen
Standortoptionen im Bericht als
günstigste Variante präsentiert; die
anderen Varianten kämen demnach auf
Kosten zwischen € 835 Mio. und € 891
Mio. Allerdings sind bei dieser
Kalkulation die Kosten für den
Erwerb des Grundstücks für die Oper
an der Neuen Mainzer Straße nicht
enthalten – es wären dies
Mehrkosten, die sich auf einen
dreistelligen Millionenbetrag
belaufen dürften und das
Kulturmeilen-Projekt zur teuersten
der vorgestellten Varianten machen
würden. Das Fehlen dieses Postens in
der Kostenschätzung wird im Bericht
zwar nicht verschwiegen (S. 92),
aber beim abschließenden, gleichsam
als Empfehlung zu lesenden Fazit
gänzlich ausgeblendet (S. 93–96).
Die Kosten für den durch den Umzug
der Oper nötig werdenden Umbau der
Neuen Mainzer Straße werden gar
nicht erst erwähnt. Die beigefügte
Tabelle „2. Investitionskosten,
überarbeitet 02/2022“ zeigt
deutlich, dass nicht die vom
Magistrat präferierte Variante die
wirtschaftlichste ist.
2. Schönrechnen der
Nachhaltigkeit: Ein ähnlich
freier Umgang mit
Berechnungsmodellen zeigt sich auch
bei der ökologischen Bewertung der
verschiedenen Neubauvarianten. So
erhält das Kulturmeilen-Projekt eine
uneingeschränkt positive Bewertung
hinsichtlich der Nachhaltigkeit –
und dies, obwohl das Projekt Abriss
und Neubau gleich zweier großer
Gebäudekomplexe vorsieht. Begründet
wird diese positive Bewertung im
Bericht damit, dass der Bau der 1963
eröffneten Theaterdoppelanlage nach
über 50 Jahren das Ende seiner
„mögliche(n) Lebensdauer“ erreicht
habe und daher der Abbruch nicht
negativ auf die
Nachhaltigkeitsbewertung angerechnet
werden könne (S. 46–47). Es klingt
fast zynisch, dass hier
großmaßstäbliche Gebäudeabbrüche
mittels immobilienwirtschaftlicher
Lebenszyklusanalysen grün gerechnet
werden – als könnten die
Herausforderungen sich verknappender
Rohstoffe und steigender
Treibhausgasemissionen dadurch
bewältigt werden, dass alle vor 1970
entstandenen Bauwerke zum Abriss
freigegeben werden. Dabei gilt es
gerade den energie- und
ressourcenintensiven Rohbau von
Bauwerken so lange wie möglich zu
nutzen! Aber selbst wenn man dieser
Logik zustimmen würde, wäre die
vernichtete graue Energie nicht
gleich Null – denn die
Nachhaltigkeitsberechnungen im
Bericht übergehen geflissentlich den
Umstand, dass ein beträchtlicher
Teil der Theaterdoppelanlage,
nämlich der Werkstättenkomplex an
der Rückseite, keine zehn Jahre alt
ist und daher in die Kalkulation
einfließen müsste. Der Abbruch des
2004 teilweise erneuerten
Gebäudekomplexes an der Neuen
Mainzer Straße, wird
konsequenterweise auch nicht
einberechnet, ja nicht einmal
erwähnt. Die beigefügte Tabelle „1.
Nachhaltigkeitsorientierte
Standortprüfung, überarbeitet
02/2022“ zeigt deutlich, dass die
vom Magistrat präferierte Variante
nicht die nachhaltigste ist. Es
bleibt nur zu hoffen, dass eine
Koalition, die sich eine ökologische
Politik auf die Fahnen schreibt und
in ihrem Koalitionsvertrag explizit
Umbau und Sanierung die Priorität
vor Abbruch gibt, sich nicht von
solch lückenhaften und tendenziösen
Berechnungen in die Irre führen
lässt. Es sei an die
unmissverständliche Formulierung des
Koalitionsvertragserinnert: „Beim
Bauen setzen wir auf eine
ökologische, ressourcenschonende
Umsetzung, in dem wir bei neuen
Nutzungen Priorität auf Umbau vor
Abriss setzen. [...] Ein wichtiger
Pfeiler um Frankfurt bis 2035
klimaneutral zu gestalten, ist die
klimaneutrale bzw. deutlichklima-
freundlichere Sanierung aller
städtischen Gebäude.“ (S. 44f).
3. Ignorieren des Denkmalschutzes:
Die Tatsache, dass das Foyer mit
seiner Glasfassadeund den „Wolken“
Zoltán Keménys 2020 unter
Denkmalschutz gestellt wurde, wird
im Bericht nur in einem kurzen
Abschnitt abgehandelt – wobei im
gleichen Zug implizit die Frage nach
Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der
Erhaltung des Foyers gestellt wird.
Hier wird versucht, das Foyer –
unter Verkennung der im
Denkmalgutachten umfassend
gewürdigten Bedeutung des Bauwerks –
bloß als „Ergebnis einer
wechselvollen Planungs-, Bau- und
Umbaugeschichte“ herabzuwürdigen (S.
102). Dazu passt eine Bildregie, die
vom Foyer einzig den Rohbauzustand
von 1962, dazu bröckelnde Ecken (S.
114) und den Wildwuchs der
Dachaufbauten (S. 6) zeigt. Zudem
wird in den entscheidenden
Abschnitten des Berichts, vor allem
bei der Bewertung der verschiedenen
Standortvarianten, der Denkmalstatus
des Foyers vollständig ausgeblendet
– als sei die Unterschutzstellung
als unverbindliche, ggf. zu
ignorierende Erhaltungsempfehlung zu
verstehen. Dementsprechend
überrascht es nicht, dass der
Bericht abschließend fordert, dass
„die Frage der Relevanz des
Denkmalschutzes“ bis zur Auslobung
des Neubauwettbewerbs „verbindlich
geklärt“ werden müsse (S. 111). Das
ist gar nicht nötig, denn diese
Frage ist längst geklärt: Foyer und
Wolken stehen rechtskräftig unter
Denkmalschutz, und eine Sanierung
dieses Bauwerks ist, was auch der
Bericht nicht verhehlen kann, gemäß
einem Fachgutachten möglich.
Folglich muss der Erhalt des
Wolkenfoyers auch Teil aller
weiteren Überlegungen zur Zukunft
der Bühnen sein. Doch der Bericht
verzichtet darauf, diese Frage
aufzugreifen.
4. Mangelnde Transparenz:
Bezeichnend ist, dass das
Sachverständigen-Gutachten, das die
Erhaltungsfähigkeit des Foyerbaus
bestätigt, im Bericht nur kurz
erwähnt, aber nicht veröffentlicht
wird. Das gilt entsprechend für die
weiteren Gutachten, von denen auf S.
10 die Rede ist. Wir nehmen an, dass
daraus nur zitiert wird, was der
eigenen Argumentation dient oder
nicht verschwiegen werden kann. Das
weckt Erinnerungen an die Situation
im Jahr 2020, als das grundlegende
Validierungsgutachten, das in
wichtigen Punkten den öffentlichen
Darstellungen der Stabsstelle
widerspricht oder zumindest andere
Lesartenerlaubt
http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2020/08/24/validierungsgutachten-widerspricht-der-abrissbegruendung/
so lange wie möglich unter
Verschluss gehalten wurde. Da
scheint sich in der
Kommunikationsstrategie der
Stabsstelle also wenig geändert zu
haben.
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Schauspiel
Frankfurt, Februar 2017
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Wenig geändert hat sich seither auch
beim Theaterkonzept: Nach wie
vor vermissen wir bei den
Vorplanungen der Bühnengebäude
grundlegende Gedanken zur Zukunft
des Theaters und zur künftigen Rolle
von Theaterhäusern in der Stadt. Die
Ausgangsbasis für die Planungen
bildet vielmehr „das bestehende
Raumprogramm, das […] an aktuell
geltende betriebliche Anforderungen
und gesetzliche Vorgaben (u. a. an
die Arbeitsstättenverordnung)
angepasst wurde“ (S. 14). Kurz: Die
Vision für das Frankfurter Theater
der Zukunft besteht in der
Fortschreibung von Spielbetrieb und
Raumprogramm des vorangegangenen
Jahrhunderts, ergänzt um zwei
Multifunktionsräume, angepasst an
die aktuelle
Arbeitsstättenverordnung.
So weckt dieser Bericht
grundsätzlich den Eindruck, als habe
sich in den letzten Jahren nichts
geändert, nichts getan, als wolle
man das im Frühjahr 2020 aus der
Taufe gehobene Projekt der
Kulturmeile mit aller Gewalt
durchsetzen. Als habe es keine
Pandemie mit allen
Folgeerscheinungen gegeben, kein
Schrumpfen der Steuereinnahmen und
keine Explosion der Baukosten und
keine schon viel länger andauernde
Krise der Stadttheater. Als habe es
keine Unterschutzstellung des
Wolkenfoyers durch das
Landesdenkmalamt gegeben. So als
habe es keine fundamentalen
klimapolitischen Debatten und keinen
von der neuen Römer-Koalition
beschworenen Aufbruch in eine
klimagerechte und nachhaltige
Zukunftgegeben, der sich auch in
einer neuen Bewertungsmatrix für
Bauprojekte niedergeschlagen hat.
Als ob der Klimawandel durch schon
länger geplante Projekte weniger
angeheizt würde. Stattdessen soll
ein Projekt, das konzeptionell
irgendwo zwischen Hoffmanns
Museumsufer der 1980er Jahre und
Gehrys Museum in Bilbao aus den
1990er Jahren gefangen ist,
durchgesetzt werden – ohne zu
fragen, ob diese Museumsprojekte des
20. Jahrhunderts mit den
baukulturellen Strategien für das
21. Jahrhundert, mit den
Bedürfnissen einer
Stadtgesellschaft, die sich geändert
hat, mit dem Klimawandel oder auch
mit den Anforderungen an das Theater
und an Theaterbauten der Zukunft
vereinbar sind.
Augen zu und durch? Wir fordern das
Offenlegen aller Gutachten und eine
unvoreingenommene und
ergebnisoffene Diskussion der
Varianten unter Berücksichtigung
von Nachhaltigkeit, Klima- und
Denkmalschutz. Wir stehen mit diesen
Forderungen nicht allein. Der
Bunddeutscher Architekten (BDA)
hatte bereits im Mai 2021 eine
Neuorientierung der Debatte um die
städtische Bühnen gefordert (siehe
Anlage). Die Ortsgruppe Frankfurt
der Architects for Future hatte
bereits im März 2021 während des
Klimastreiks gegen die sich
anbahnende Abrisspolitik gewendet
und jetzt hierzu ebenfalls ein
Statement vorgelegt.
Eine Zusammenfassung der Dinge
von Alfons Maria Arns, Helene
Bihlmaier, Maren Harnack, Sascha
Köhl
und Philipp Oswalt für die
Initiative Zukunft Bühnen
Frankfurt, 15. Februar
2022
Diese Stellungnahme der
Initiative Zukunft der
Städtischen Bühnen Frankfurt
findet sich nebst Downloads
auf: