Von den einen
verteufelt, von den anderen verehrt
– eines ist sicher: Beton ist
überall. Aber wovon ist eigentlich
die Rede, wenn wir über diesen
polarisierenden Baustoff sprechen?
Flüssig oder fest, versteckt oder
freiliegend, Bauteil oder Monolith –
Beton lässt viele Formen und
Wandlungen zu, und ebenso viele
Assoziationen wie Anwendungen.
Das S AM zeigt vom
20. November 2021 bis 24. April 2022
die Ausstellung "Beton". Eine
Koproduktion von S AM, gta Archiv /
ETH Zürich, Archives de la
construction moderne / EPF Lausanne,
Archivio del Moderno dell’Academia
di Architettura / USI.
Heute ist Beton der meistverwendete
Baustoff der Erde. Doch das
wachsende Bewusstsein für seine
erheblichen ökologischen
Auswirkungen hat deutlich gemacht,
dass der Status quo des Bauens mit
Beton nicht mehr haltbar ist. Gerade
jetzt, da lang vorherrschende
Argumente für das Material infrage
gestellt werden, ist es an der Zeit,
einen genaueren Blick darauf zu
werfen, was Beton ist und war, um
darüber nachzudenken, was er noch
sein könnte.
Die Ausstellung präsentiert neun
Sichtweisen auf Beton. Es werden
unter anderem Originalzeichnungen,
Modelle und Fotografien aus den drei
wichtigsten Architekturarchiven der
Schweiz gezeigt, um dieses komplexe
und kritische Material zu
beleuchten. Der historische Rahmen
der Ausstellung wird durch ein
Veranstaltungsprogramm ergänzt, das
die heutige Verwendung von Beton und
seine mögliche Zukunft thematisiert.
Eine Koproduktion von S AM, gta
Archiv / ETH Zürich, Archives de la
construction moderne / EPF Lausanne,
Archivio del Moderno dell’Academia
di Architettura / USI
Künstlerische Leitung:
Andreas Ruby
Wissenschaftliche
Leitung: Sarah Nichols
Kuratorisches Team: Sarah
Nichols, Yuma Shinohara, Andreas
Kofler
Szenografie: Graber & Steiger
Architekten
Was
zeigt die Ausstellung?
Es gibt drei wichtige
Architektursammlungen in der
Schweiz: das gta Archiv an der ETH
Zürich, die Archives de la
construction moderne an der EPF
Lausanne und das Archivio del
Moderno dell’Accademia di
architettura an der Università della
Svizzera italiana (USI) in Mendrisio.
Diese Hochschulen sind die treibende
Kraft in der wissenschaftlichen
Forschung zur Schweizer
Architekturgeschichte. Als privater
Institution ohne Ankaufsetat, fehlen
dem S AM Schweizerisches
Architekturmuseum die finanziellen
Mittel und personellen Ressourcen im
Bereich Sammlung. Deshalb hat das S
AM einen anderen Weg gesucht, um die
Kompetenzen zu bündeln und im März
2017 eine Kooperationsvereinbarung
mit den Archiven der drei
Hochschulen — mit dem Ziel,
gemeinsam Schweizer Baukultur in
Form von Ausstellungen,
Publikationen und Veranstaltungen zu
vermitteln — unterzeichnet. 2021
macht dieser Verbund nun dem
Publikum das erste gemeinsame
Projekt und somit auch Zeichnungen,
Pläne und Modelle zugänglich, die
noch nie zusammen zu sehen waren: in
Form der Ausstellung «Beton», im S
AM vom 20. November 2021 bis am 24.
April 2022, und der Publikation «Concrete
in Switzerland. Histories from the
recent past», die im Rahmen der
Ausstellung erscheinen wird.
In der Ausstellung zur Geschichte
des Betons in der Schweiz im 19./20.
Jahrhundert wird dieses
polarisierende Material sowohl als
Baustoff als auch kulturelles
Phänomen untersucht. Dabei werden
weitverbreitete Vorstellungen
hinterfragt und unerwartete
Zusammenhänge aufgedeckt. Die Schau
geht Fragen nach wie: Wie verändert
Beton die Landschaft – und wie wir
sie wahrnehmen? Welche Bedeutung hat
Beton als von Menschen geschaffenes
Gestein im alpinen Kontext? In
welchem Verhältnis steht Beton zu
Energie, Kosten und Umwelt? Im
ersten Ausstellungsraum des S AM
wird mit grossen Modellen,
filmischen Beiträgen sowie einer
Szenografie, die Besuchende
assoziativ an den eigentlichen
Einsatzort des Betons – die
Baustelle – bringt, die Schau
atmosphärisch eingeleitet. Unter
anderem wird auch «Opération Béton»
gezeigt, ein Kurzdokumentarfilm von
Jean-Luc Godard aus dem Jahr 1955.
In den darauffolgenden Räumen 2-4
werden neun Themenfelder –
sogenannte «Betongeschichten» – rund
um Beton mit Objekten aus den drei
Archiven der drei Hochschulen sowie
anderen Leihgebern – Pläne,
Zeichnungen, Modelle, Fotografie und
Materialmuster – in Form von
Kabinetten aufgegriffen:
Beton ist Gestein, sucht den
Vergleich mit natürlichen
Sedimentgesteinen in den Alpen, die
dem Material bei der Positionierung
als «natürlich» halfen.
Beton ist unterirdisch,
erläutert die entscheidende Rolle
der Betonbauten im Untergrund
(Bunker, Tunnel etc.) im Bild der
Schweiz als das Land des Betons.
Beton ist Energie, vollzieht
die komplexe Beziehung zwischen
Beton und Energie (sowohl beim
Konsum als auch bei der Erzeugung)
nach.
Beton ist zweite Natur,
handelt von der Rolle des Betons in
der Gestaltung in Verbindung mit dem
Territorium.
Beton ist monolithisch,
schildert die verschiedenen
Definitionen des «Monolithischen» im
Diskurs um Beton.
Beton ist ein Verbundwerkstoff,
zeigt Beton als Prozess auf, der
mehrere Materialien zusammenbringt.
Beton ist immateriell,
definiert Beton als Wissen, das
weitergegeben und exportiert werden
kann, aber auch als kulturelles
Phänomen.
Beton ist Praxis, hebt die
Rolle des Experimentierens und des
(zeitweiligen) Scheiterns in der
Weiterentwicklung von Beton hervor.
Beton ist flüssig, erklärt
die besondere Materialeigenschaften
des Betons, der in kürzester Zeit
vom flüssigen in den festen Zustand
wechselt, sich aber dann über
Jahrzehnte verfestigt.
In der Vorbereitung für diese
ambitionierte Ausstellung wurden
über 15'000 Objekte und Dokumente
über einen Zeitraum von fast drei
Jahren untersucht. Fast 300 Objekte
fanden ihren Weg in die Ausstellung
und entstammen, nebst den 3
Archiven, von über 15 weiteren
Leihgebern.
Was
diskutiert das Rahmenprogramm?
Die Ausstellung zur Geschichte des
Betons verdeutlicht auch die
Verantwortung, die die Bauindustrie
für die Verursachung der Klimakrise
trägt. Das S AM initiiert im Rahmen
der Ausstellung konstruktive
Gespräche mit Architekt*innen,
Bauherren, Materialproduzenten,
Baufachleuten und nicht zuletzt auch
mit der Zementindustrie über die
Zukunft des Betons. Letztere
fokussiert vermehrt auf die
Entwicklung neuer Technologien für
Beton, die weniger Ressourcen
verbrauchen, weniger Kohlendioxid
ausstossen und sogar einen Teil der
Treibhausgase in der Atmosphäre
einfangen.