Offener Brief zur Wahl der hr-Intendanz

Warum die hessische Filmbranche einen offenen hr braucht

Sehr geehrte Mitglieder des Rundfunkrates, sehr verehrte Damen und Herren,

 

in Kürze wählen Sie final die neue Intendanz des Hessischen Rundfunks (hr). Wir möchten Sie einladen, diese neu angesetzte Wahl als Chance für einen der hessischen Filmlandschaft gegenüber offenen hr zu sehen.

 

Als Initiative Hessen Film sind wir die demokratische Vertretung und das gemeinsame Sprachrohr der hessischen Filmbranche. Wir setzen uns zusammen aus Vereinigung der Hessischen Filmwirtschaft e.V., AG Dok e.V. Hessen, Film- und Kinobüro Hessen e.V., Filmhaus Frankfurt e.V., Junge Generation Hessischer Film und AG Filmfestival Hessen. Bei uns vertreten sind Vereine, Initiativen, mittelständische Betriebe, besonders aber Klein- und Kleinstunternehmen, Soloselbständige, Privatpersonen und Studierende.

 

Wie Sie wissen, ist der hr der einzige deutsche Sender, der bis heute eine strikte Inhouse- Politik verfolgt. Der hr vergibt selten bis gar keine Produktionen an Firmen und koproduziert nur in verschwindend geringem Umfang. Mit gutem Grund sind alle anderen Sender davon seit langem abgerückt und so hat sich in diesen Bundesländern eine vitale Filmbranche um die Sender herum gebildet. Im Gegensatz dazu legt jedoch der hr keinen Wert auf die Zusammenarbeit mit der regionalen Branche, was die haupt- und ehrenamtlich tätigen hessischen Filmschaffenden im Vergleich zu anderen Bundesländern stark benachteiligt. Es kommen dadurch oft Projektfinanzierungen in Hessen nicht zu Stande, was der demokratisch entschiedenen Förderpraxis des Landes, die sich mit der HessenFilm seit Jahren verstärkt um Filmförderung bemüht, diametral entgegensteht.

 

Auch wenn – ggf. unter Eindruck der durch Corona für den Sender gestiegenen Kosten – uns gegenüber aus der Programmdirektion erste Ziele einer zaghaften Öffnung formuliert wurden, so kamen bisher noch keine konkreten Projekte zu Stande, die diese Ziele umsetzen. Weiterhin sind so leider die Folgen der bisherigen anachronistischen Sender- Politik zu betrachten:

 

Erstens ist der hr in seinem Programm nicht konkurrenzfähig mit anderen Playern. Seine Programme werden zu selten sublizensiert (also weiterverkauft), was in der heutigen Zeit eigentlich Standard für Sender ist und zu zweierlei beiträgt: zur Strahlkraft eines Landes und zur Wirtschaftlichkeit wie auch zur Legitimierung eines Senders. Stattdessen profitieren von wachsenden Aufwendungen für die ARD-Umlage letztlich Firmen anderer Bundesländer, was die immer wieder sichtbaren, aber zu zaghaften Vorstöße für ein neues, regionales Senderprofil konterkariert.

 

Zweitens fällt für die hessischen Produzent:innen durch die Eigenproduktionspolitik des hr der wichtigste Auftraggeber am Platz aus – ein deutlicher Nachteil für alle, die am Medienstandort Hessen arbeiten. Die Firmen hierzulande sind so gezwungen, vor allem von der Förderung (und ggf. anderen Auftraggebern) zu leben, viele Talente wandern ab. Anders als in anderen Bundesländern, wo der regionale Sender die regionale Branche seit Jahrzehnten im Blick und an seinem Standort entwickelt hat, kann sich bei uns keine gesunde Landschaft an Produktionsfirmen etablieren. Dabei zeigen aktuelle Film- und Serienproduktionen aus Hessen in Kino, TV und Streaming, dass es hier unheimliches Potenzial gibt, das der Sender für sich nutzen könnte.

 

Wenn der hr die Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks positiv beeinflussen will, kann er auf die Köpfe, die Filme, die Ideen und die Innovationskraft der Branche um ihn herum nicht länger verzichten. Als Film- und Medienschaffende setzen wir auf das große Potential, das wir mit einer gemeinsamen Neuausrichtung entwickeln können, und bieten aktiv unsere Zusammenarbeit an. Außerdem appellieren wir an Sie als Rundfunkrat, mit der Neubesetzung der Intendanz die folgenden Aspekte in den Vordergrund zu stellen und damit ein richtungsweisendes Signal für den gesamten Film- und Medienstandort Hessen auszusenden:

 

! eine Öffnung der Produktionen hin zu mehr Auftrags- und Koproduktionen mit regionalen Unternehmen,

 

! eine Öffnung der Lizensierung für regionale Filme und Serien,

 

! eine gezielte Förderung regionaler Talente im dokumentarischen und fiktionalen Filmschaffen, sowohl in Buch und Regie als auch in den Gewerken und in der Produktion,

 

! Aufmerksamkeit auf regionales Kulturschaffen und regionale Wissenschaft sowie dazu eine Öffnung der bisherigen Politik des Senders hin zu mehr Kooperation mit regionalen Initiativen und Organisationen,

 

! eine Beteiligung des hr an einem Produktionszentrum in Zusammenarbeit mit regionaler Branche, HMWK, HessenFilm und Stadt Frankfurt.

 

Wandel ist etwas Positives und wir als Menschen und Initiativen, die mit Geschichten täglich zu tun haben, finden, er hat auch etwas mit Verwandlung zu tun. Das ist es, was der hr nun braucht: Eine Verwandlung in eine neue, der lokalen Branche gegenüber aufgeschlossene Form. Dies würde Arbeitsplätze schaffen und neue Perspektiven für die gesamte Region ermöglichen. Jetzt haben Sie die Chance, diese Entwicklung in neuem Geiste anzustoßen. Wir bleiben gespannt auf Ihre Entscheidung.

 

Offener Brief zum PDF-Download...

 

Grafik (c) Kulturexpress, Meldung: Initiative Hessen Film | c/o Neopol Film, Frankfurt am Main

 

 

 

 

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 23. November 2021