Schenkung des Gemäldes "Les Glaneuses" von Camille Pissarro

Das Kunstmuseum Basel hat pünktlich zur Eröffnung der großen Sonderausstellung Camille Pissarro. Das Atelier der Moderne (4.9.2021 – 23.01.2022) die Schenkung eines neoimpressionistischen Hauptwerks des französischen Malers an die Öffentliche Kunstsammlung der Stadt bekanntgegeben.
 

 

 

Camille Pissarro, Les Glaneuses (1889) Öl auf Leinwand, 65.4 x 81.1 cm Inv. G 2021.8, Geschenk eines anonymen Donators der Max Geldner-Stiftung und der Stiftung Im Obersteg

Foto (c) Jonas Haenggi/ Kunstmuseum Basel

 

Les Glaneuses gehört als Depositum der Dr. h.c. Emile Dreyfus-Stiftung seit 1970 zum festen Bestandteil der Dauerpräsentation des 19. Jahrhunderts und ist den Besucher*innen des Kunstmuseums Basel deshalb schon lange vertraut. Namhaften Beiträgen eines anonymen Donators, der Max Geldner-Stiftung sowie der Stiftung Im Obersteg ist es nun zu verdanken, dass das Gemälde seinen Platz in Basel dauerhaft behält.

Das Kunstmuseum Basel beherbergt von Pissarro acht Gemälde, zehn Zeichnungen und Aquarelle sowie zehn druckgrafische Blättern und damit die wohl bedeutendste Sammlung des französischen Künstlers in der Schweiz. Sein Gemälde Un coin de l'Hermitage, Pontoise (1878) wurde 1912 auf Initiative von drei jungen Künstlern als erstes impressionistisches Werk überhaupt von einem Schweizer Museum angekauft. Damit war der Grundstein der Impressionisten-Sammlung des Kunstmuseums gelegt.

Les Glaneuses von 1889 ist eines der Hauptwerke aus Pissarros kurzer und intensiver neoimpressionistischer Schaffensperiode. In dem Gemälde, an dem der Maler lange und intensiv arbeitete, konvergieren wichtige Aspekte, die sein Œuvre der 1880er-Jahre prägten. Pissarro interessierte sich zunehmend für Figuren aus seinem ländlichen Umfeld und stellte diese prominent ins Zentrum seiner Kompositionen. Die Gruppe von elf Ährenleserinnen, die über das Feld verteilt in der Abendsonne ihrer Arbeit nachgehen und dabei in ganz unterschiedlichen Positionen dargestellt werden, komponierte Pissarro aus zahlreichen Vorstudien. Durch den Verzicht auf individuelle Merkmale wie Gesichtszüge wirken die Figuren geradezu archetypisch. Die mit den Mitteln des Pointillismus erreichte Harmonisierung von Figur und Landschaft behielt Pissarro als malerische Strategie bei, auch nachdem er sich um 1890 vom Neoimpressionismus löste.

Ein weiterer Aspekt in Pissarros Schaffen, der sich – wenn auch weniger offensichtlich – in Les Glaneuses artikuliert, ist seine politische Orientierung. Der Künstler war ein überzeugter Anarchist, der nicht nur einschlägige Texte rezipierte und in den Treffen in Cafés und bei den Abendessen der Impressionist:innen leidenschaftlich diskutierte, er unterstützte auch anarchistische Zeitschriften finanziell und mit Spenden seiner Werke. Dass Pissarro mit dem Motiv der Ährenleserinnen eine besonders prekäre Personengruppe in den Fokus rückt, ist kein Zufall, denn die Selbstversorgung in kleinen ruralen Gemeinschaften war für den Anarchismus ein ebenso erstrebenswertes Ziel wie die Idee einer radikalen gesellschaftlichen Gleichberechtigung.

Camille Pissarro (1830–1903) gehört zu den bedeutendsten Künstlern im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Als zentrale Figur prägte er den Impressionismus entscheidend. Camille Pissarro. Das Atelier der Moderne im Kunstmuseum Basel ist die erste Retrospektive des Künstlers in der Schweiz seit mehr als 60 Jahren. Sie bietet nicht nur einen umfassenden Überblick über Pissarros Œuvre, sondern rückt seine kollaborative Praxis und seinen maßgeblichen Einfluss auf die Moderne in den Fokus. Damit wird ein Künstler gewürdigt, der zu oft an zweiter Stelle genannt wird, wenn es um die zentralen Figuren in der Kunst des 19. Jahrhunderts geht. Künstler*innen verschiedener Generationen, von denen mehrere zu Leitfiguren der Moderne an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert avancieren sollten, vertrauten auf seinen Rat als Freund und Mentor. Die Ausstellung beleuchtet den intensiven Austausch Pissarros mit ihnen und setzt sein vielfältiges Werk in Kontext mit Arbeiten von Claude Monet, Paul Cézanne, Paul Gauguin, Georges Seurat, Paul Signac, Mary Cassatt und anderen. So entfaltet sich in der Ausstellung die Geburtsstunde der Moderne und wird gleichzeitig eine Geschichte jenseits des kunsthistorischen Mainstreams erzählt.

Impressionismus-Ausstellungen haben im Kunstmuseum Basel eine lange Tradition

Pissarro ist dabei für das Haus von besonderer Bedeutung, befinden sich doch acht Gemälde, zehn Zeichnungen und Aquarelle sowie zehn druckgrafische Blätter in der Sammlung. Sein Werk Un coin de l’Hermitage, Pontoise aus dem Jahr 1878 war das erste impressionistische Gemälde, das Eingang in die Öffentliche Kunstsammlung Basel fand. 1912 wurde es auf Initiative von drei jungen Künstlern angekauft. Damit war der Grundstein der Impressionisten-Sammlung gelegt. Gerade erst im Frühling diesen Jahres konnte sich das Kunstmuseum Basel über die Schenkung von Pissarros La Maison Rondest, l’Hermitage, Pontoise (1875) aus einer Schweizer Privatsammlung freuen. Pissarros künstlerische Haltung ist komplexer als jene seiner Freunde. Seine Herangehensweise unterscheidet sich deutlich von den beim Publikum beliebten Bildsujets von Claude Monet, Auguste Renoir oder Edgar Degas. Pissarro war beispielsweise der einzige unter den Impressionisten, dem die Darstellung des einfachen Lebens vor allem der ländlichen Bevölkerung ein zentrales Anliegen war. Seine Gemälde hatten nicht die Welt der kaufkräftigen Klasse der Bourgeoisie zum Inhalt, sondern die vom Menschen kultivierte Landschaft sowie das Leben der Bäuer*innen und Landarbeiter*innen.

Politik, Gesellschaft und Kunstmarkt

Pissarro war jeder Ästhetisierung abgeneigt – ganz anders als Monet oder Renoir. Diesem Umstand ist wohl geschuldet, dass der Maler zeitlebens an einem Mangel an kommerziellem Erfolg litt und Geldprobleme hatte. Bei der Gründung einer freien, genossenschaftlich orientierten Vereinigung von Künstler*innen, die ihre Werke selbst ausstellen und verkaufen würden, war Pissarro eine treibende Kraft. Eben diese Société anonyme des artistes peintres, sculpteurs et graveurs würde später unter dem Namen Impressionisten in die Kunstgeschichte eingehen.

Just in dem Moment, als der lange Zeit höchst umstrittene Impressionismus öffentlich mehr Zustimmung fand, in private und öffentliche Sammlungen einging und den Künstlern und Künstlerinnen Geld einbrachte, wandte Pissarro sich in den 1880er Jahren einer weiteren malerischen Revolution zu – dem Neoimpressionismus. Damit bewies er erneut seinen unbedingten Willen zu künstlerischem Fortschritt. Die radikale Ästhetik und wissenschaftliche Methode des Neoimpressionismus, wie ihn unter anderen Paul Signac, Georges Seurat, Louis Hayet und Pissarros ältester Sohn Lucien vertraten, stellten für Pissarro eine logische Entwicklung des Impressionismus dar. Auch wenn er in den 1890er-Jahren wieder zu einem freieren Pinselstrich zurückkehrte, blieb er der Überzeugung treu, dass gute Kunst einen revolutionären Kern hat und einen unbeirrbaren Glauben an die Moderne vertritt.

Aus seinem Interesse an anarchistischen Schriften und seinem Engagement für ihre Verbreitung machte der Maler keinen Hehl. Wie viele seiner Zeitgenossen, vor allem unter den Neoimpressionisten, war Pissarro davon überzeugt, dass die ungleiche Verteilung von Ressourcen vor allem in Großstädten wie Paris oder London über kurz oder lang zu einem gesellschaftlichen Umsturz führen würde. Anders als einige seiner politischen Mitstreiter glaubte Pissarro jedoch an eine friedliche, gewaltlose Revolution. Inwiefern seine politische Gesinnung Eingang in seine Kunst fand, ist seit jeher Interesse einer sozio-historischen Kunstgeschichte. Er verstand seine Bilder nicht als politische Programmbilder. Nichtsdestotrotz verbinden die revolutionäre Malweise Pissarros, sein Streben nach Autonomie und Freiheit in jeder Lebenslage sowie seine Bereitschaft, neue Wege gegen alle Widerstände einzuschlagen, seine Kunst mit den Kerngedanken des Anarchismus.

Drang zum Experiment

Pissarros Biografie ist geprägt von den Ereignissen und historischen Dynamiken des 19. Jahrhunderts. Er verkörperte einige der komplexesten Konflikte seiner Zeit und sah die Künstler*innen in der Pflicht, sowohl den Zeitgeist als auch die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Zustände kritisch zu reflektieren. Sein Umgang mit diesen Bedingungen macht ihn aus heutiger Sicht zu einem höchst aktuellen Künstler. Infolge seiner Herkunft war Pissarro ein Außenseiter unter den französischen Künstler*innen, mit denen er sein Leben lang intensiv verkehrte. Als Sohn jüdischer Eltern wurde er 1830 auf der Karibik-Insel St. Thomas, damals eine dänische Kolonie, geboren und wuchs als Einziger unter den Impressionisten auf zwei Kontinenten auf. Er sprach drei Sprachen (Französisch, English und Spanisch) und lernte schon als Kind ethnische und kulturelle Vielfalt kennen. Seine Identität, seine Perspektive auf die Malerei und seine Weltsicht waren sowohl von diesem nomadischen Hintergrund als auch vom Austausch mit anderen Maler*innen geprägt.

Pissarro hatte eine außergewöhnliche Neugier für künstlerische Experimente und neue Darstellungsformen. Im inspirierenden Umfeld von Künstler*innen wie Camille Corot und Gustave Courbet bemühte er sich um die Zusammenarbeit mit anderen, die wie er eine von der Akademie unabhängige künstlerische Vision entwickeln wollten. Begabung für Freundschaft Wie kein anderer vermochte Pissarro außerdem, sich auf die befreundeten Maler einzulassen, ihr Potenzial zu fördern und im Gegenzug von ihnen zu lernen. Man möchte fast von einer «Begabung» für Freundschaft sprechen. Grundlage dafür waren der Respekt für die künstlerische Individualität des Einzelnen und die Gleichstellung dieser Positionen. Pissarro war misstrauisch gegenüber hierarchischen Zwängen und prinzipiell jeder Dogmatik abgeneigt. Künstlerische Zusammenarbeit hatte für ihn nichts mit Seniorität zu tun, sie beruhte aus seiner Sicht auf der Grundlage eines hierarchiefreien Austauschs. Die Ausstellung legt verschiedene Verbindungen unter den Protagonisten der Zeit offen und zeichnet damit ein alternatives Bild zum Künstler als Genie, das isoliert von der Außenwelt arbeitet.

Hochkarätige Leihgaben

Die Ausstellung Camille Pissarro. Das Atelier der Moderne vereint rund 180 Werke aus nationalen und internationalen Sammlungen, darunter das Art Institute of Chicago, das Ashmolean Museum, Oxford, das British Museum, London, das Dallas Museum of Art, die Kunsthalle Mannheim, das Kunstmuseum Bern, das Kunst Museum Winterthur, das Metropolitan Museum of Art, New York, das Musée d'Orsay, Paris, das Musée du Petit Palais, Genève, die Musées de Pontoise, das Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, das Museum Folkwang, Essen, das Museum of Modern Art, New York, die National Gallery of Ireland, Dublin , die National Gallery, London, die National Gallery of Art, Washington, die Staatsgalerie Stuttgart und die Tate Modern, London. Katalog

Der umfangreiche Katalog zur Ausstellung mit Beiträgen von Timothy J. Clark, André Dombrowski, Claire Durand-Ruel Snollaerts, Christophe Duvivier, Sophie Eichner, Colin Harrison, Josef Helfenstein, Jelle Imkampe, David Misteli, Olga Osadtschy, Joachim Pissarro mit Alma Egger, Esther Rapoport, Valérie Sueur-Hermel und Kerstin Thomas erscheint im Prestel Verlag.

Meldung: Kunstmuseum Basel

 

 

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 30. August 2021