Architekturen bilden. Das Entwurfsmodell der Nachkriegsmoderne (1. Aufl. 2019) von Ralf Liptau

 

 

 

Das Buch von Ralf Liptau ist in zwei große Gruppen geteilt. Zum einen dient das Entwurfsmodell der Ansichtigkeit eines Bauobjektes, das gerade in Planung ist und wodurch das Objekt nach ersten Skizzen in seiner Gesamtheit auch haptisch erfasst werden kann. Das ist wichtig, denn durch die Erfindung des Architekturmodells entsteht eine besondere Form der Imagination, indem Betrachter versucht sind, das Gesehene in die Realität in gebaute Architektur umzusetzen. Der vorliegende Band untersucht dabei Rolle und Funktion von Architekturmodellen der 1950er bis in die 1970er Jahre. Leitend ist hierbei die These, dass das Modell nicht nur wesentliches Entwurfswerkzeug der Nachkriegsmoderne gewesen ist, sondern dass Modellierung als Tätigkeit und das resultierende Modell Einfluss auf die Entstehung von Architektur nehmen.

 

Die andere Seite der Medaille sieht im Modellbau einen erhöhten Zugewinn an Plastizität und rechnet die Arbeit am Entwurfsmodell der Bildenden Kunst zu, indem Modellbau und Bauwerk vergleichbar mit der Entstehung einer Skulptur sind. "Architektur bilden" beschäftigt sich in seinen Beiträgen überwiegend mit Knet- und Würfelmodellen sowie der Frage nach dem besonderen Erkenntniswert der sich aus dem Entwurfsmodell für Betrachter ergeben können.

 

Zu den im Buch vorgestellten Gebäuden mit Ausformungen als Knetmodell zählt das Festsaalgebäude der Waldorfschule in Stuttgart. Die bauliche Umsetzung durch den Stuttgarter Architekten Rolf Gutbrod (1910 - 1999) zeigt diesen Festsaal als eine in skulptural-monolithischer Form modellierte Architektur. Die Verwendung von Ton- und Plastiliinmodellen im vorliegenden Beispiel weist überdeutlich auf die leitende Bedeutung bei der Entwurfsfindung hin. Umgesetzt wurde das Gebäude schließlich in Sichtbeton, was den Umgang mit Plastilin während des Modellbaus erleichtert hat. Das Entwurfsmodell der Fassade zur Universitätsbibliothek in Köln wurde vom gleichen Architekten um 1960 wiederum mit Holzstäbchen umgesetzt. Carlfried Mutschler ist skulptural mit dem Modell des Gemeindezentrums in Mannheim aus dem gleichen aufgeführt, das baulich nicht die Realität umgesetzt wurde.

 

Den künstlerisch ausgebildeten und in seinen Entwürfen stark skulptural arbeitenden Nachkriegsarchitekten Gottfried Böhm erwähnt der Buchautor gar nicht, obwohl das skulpturale Verständnis von Architektur als Skulptur einer der beiden Schwerpunkte der Untersuchung bildet.

 

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Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 19. August 2021