Eine langfristige
Gefahr durch Hochwasser wird häufig
unterschätzt: Die reißenden Flüsse
wirbeln Schadstoffe aus ihren
Sedimenten auf, die von
Umweltverschmutzungen vor
Jahrzehnten oder Jahrhunderten
herrühren. Solche Schadstoffe können
nicht nur ökologische Schäden im
Fluss verursachen. In
Überschwemmungsgebieten können sich
die Schadstoffe ablagern und
Ackerpflanzen, Weidetiere und
Menschen belasten. Darauf hat ein
internationales Wissenschaftsteam in
einer Übersicht zu
wissenschaftlichen Untersuchungen
von Hochwasserereignissen in der
ganzen Welt hingewiesen. Die Arbeit
ist im Journal of Hazardous
Materials erschienen und unter
Federführung der Goethe-Universität
Frankfurt entstanden.
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Die
Remobilisation von
Schadstoffen aus Sedimenten
bei extremen Hochwässern ist
eine bisher unterschätzte
Folge von Extremereignissen.
Bild: Crawford, S. et al.
(2021) J. Haz. Mat. |
Sedimente gelten als
Langzeitgedächtnis eines Flusses. In
der Hauptsache bestehen sie aus
Partikeln, die vom Erdboden
abgetragen werden und irgendwann in
Flussdeltas oder im Meer landen.
Sedimente können jedoch auch für
verhältnismäßig lange Zeit stabil
bleiben – und Schadstoffe binden,
die zum Beispiel durch Bergbau- oder
Industrieabwässer in die Flüsse
gelangt sind. Entsprechend befinden
sich in vielen Altsedimenten der
Flüsse Schadstoffe als „chemische
Zeitbomben“ wie zum Beispiel
Schwermetalle oder schwer abbaubare
Dioxine und dioxin-ähnliche
Verbindungen.
Bei Hochwasserereignissen in den
industriell geprägten Regionen
Europas, Nordamerikas und Asiens
können infolge der hohen
Fließgeschwindigkeiten auch
Altsedimente aufgewühlt werden.
Dabei werden regelmäßig die in ihnen
gebundenen Schadstoffe auf einen
Schlag freigesetzt und kontaminieren
Überflutungsgebiete. Bisherige
wissenschaftliche Untersuchungen
dazu hat ein interdisziplinäres Team
von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern der
Goethe-Universität Frankfurt, der
RWTH Aachen, der kanadischen
University of Saskatchewan und
weiteren Partnerinnen in einer
aktuellen Übersichtsarbeit
zusammengestellt. Darin zeigen die
Forscher:innen unter Federführung
der Frankfurter
Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Sarah
Crawford und dem kanadischen
Forscher Prof. Markus Brinkmann zum
Beispiel auf, welche
Schadstoffbelastungen infolge
verschiedener Überflutungsereignisse
gemessen wurden, welche Testsysteme
für verschiedene Schadstoffe
entwickelt wurden und wie sich
unterschiedliche Sedimente bei hohen
Fließgeschwindigkeiten verhalten.
Die Gefahren für die
Trinkwassergewinnung werden ebenso
geschildert wie etwa der Einfluss
der Temperatur auf die
Schadstoffaufnahme durch Fische und
Methoden zur Bewertung der mit der
Remobilisierung von Schadstoffen
verbundenen ökonomischen Kosten.
Henner Hollert, Professor für
Umwelttoxikologie an der
Goethe-Universität Frankfurt und
Seniorautor der aktuellen
Publikation ist trotz der
langjährigen Forschung zum Thema
sehr besorgt: „Ich habe den
Eindruck, dass das Problem der
Schadstoffe aus den Altsedimenten in
Deutschland und auch in Europa stark
unterschätzt wird. Das mag auch
daran liegen, dass es bislang
praktisch keine Untersuchungen zu
den wirtschaftlichen Folgen dieses
Problems gibt, wie wir zeigen
konnten. Schadstoffbelastete
Altsedimente sind aber eine tickende
Zeitbombe, mit jeder Flut hochgehen
kann. Wir brauchen jetzt
flächendeckend ein gutes Management
der Flüsse, das nicht nur
unmittelbare Gefahren für Menschen,
Tiere und Bauwerke in den Blick
nimmt, sondern auch die
langfristigen Folgen durch die
Altlasten in den Flussbetten. So
müssen wir zum Beispiel unbedingt
die landwirtschaftlich genutzten
Überflutungsgebiete auf
Fluss-spezifische Schadstoffe
untersuchen, damit diese nicht in
Form von Fleisch und Milchprodukten
auf unseren Tellern landen.“
Auch die aktuellen extremen
Hochwasserereignisse in
Rheinland-Pfalz und
Nordrhein-Westfalen werden von
Wissenschaftler:innen der
Goethe-Universität in Kooperation
mit der RWTH Aachen, der University
of Saskatchewan in Kanada, dem
Helmholtzzentrum für Umweltforschung
Leipzig, dem ISOE - Institut für
sozial-ökologische Forschung, dem
Senckenberg-Institut, dem
LOEWE-Zentrum für Translationale
Biodiversitätsforschung und vielen
weiteren Partnern in einem
interdisziplinären Ansatz von den
biologischen, ökotoxikologischen,
ökologischen, geowissenschaftlichen,
wasserbaulichen, aber auch
sozialökologischen und ökonomischen
Folgen untersucht. Diese
Untersuchungen sind eingebettet in
den neuen Forschungscluster
RobustNature an der
Goethe-Universität, der Robustheit
und die Resilienz von
Natur-Gesellschaftssystemen im sich
veränderten Anthropozän untersucht
und zur wissensbasierten
Transformationsforschung an den
Beispielen Biodiversität und Wasser
beitragen möchte – also vom Wissen
zum Handeln.
Publikationen: Sarah E.
Crawford, Markus Brinkmann, Jacob D.
Ouellet, Frank Lehmkuhl, Klaus
Reicherter, Jan Schwarzbauer, Piero
Bellanova, Peter Letmathe, Lars M.
Blank, Roland Weber, Werner Brack,
Joost T. van Dongen, Lucas Menzel,
Markus Hecker, Holger Schüttrumpf &
Henner Hollert: Remobilization of
pollutants during extreme flood
events poses severe risks to human
and environmental health. Journal of
Hazardous Materials 421 (2022)
126691
https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2021.126691
Meldung: Goethe-Uni,
Frankfurt am Main