Das
stimmt ganz gewiss, Architektur
braucht Akteure! Denn ohne Aufwand
ist ein Bauvorhaben nicht zu
bewältigen. Das betrifft besonders
die Jahre der Nachkriegszeit. Zum
einen ging es darum, Trümmer zu
beseitigen und Schäden an der
übriggebliebenen Bausubstanz zu
beheben und zu reparieren. Der Beruf
des Architekten und des Ingenieurs
war entsprechend gefragt.
Auf die verstärkte Nachfrage auf diesem
Gebiet folgte das Angebot an
zusätzlichen Hochbauberufen.
Die Auswirkungen auf
die Praxis verliefen entsprechend
einseitig, so viel wie möglich
sollte neu gebaut werden. Neubau
wurde bevorzugt. Abriss war die
Folge. Was aus heutiger Sicht
oftmals bedauerlich ist. Erstmal
abgerissen, waren Bauten der
Vergangenheit dauerhaft dem
Gedächtnis der Gegenwart entrissen.
Aus den daraus resultierenden
Veränderungen des Stadtbilds haben
sowohl größere als auch kleinere
Städte in ganz Deutschland
fortwährend zu leiden gehabt. Ein
Umdenken in der Architektur wäre
sicherlich gefragt, was natürlich
immer auch mit einer Kostenfrage
verbunden ist. Die zahlreichen
Masterpläne die zum Einsatz kamen,
um die autogerechte Stadt zu
verwirklichen, sollen Hinweis
geben auf die Problematik.
Abhängig von einer Bombardierung der
Städte war die Bedeutung als
Wirtschaftsstandort oder das
Vorhandensein kriegsimmanenter
Industriezweige vor Ort, wovon die
größeren Städte natürlich stärker
betroffen waren. Viele Städte wurden
auf diese Weise beinahe ausgelöscht.
Was in den Nachkriegsjahren
daraus entstand, lässt nicht
mehr viel Wiederkennen von dem, was
aus den Vorkriegsjahren noch
vorhanden gewesen war. Architekten wie
Baubeamte vom Menschenschlag eines
Otto Ernst Schweizer prägten das
Geschehen während des Wiederaufbaus
in Deutschland. Der Wiederaufbau
prägte im übrigen die gesamte Epoche
der Nachkriegsjahre, womit es galt,
Kriegsschäden zu beseitigen und was
nach den Zerstörungen der
Kriegsjahre noch übrig geblieben
war, wiederaufzubauen. Die
Hinterlassenschaft bestand oftmals
aus Stadtbrachen, die zeitlich nur
langsam bebaut wurden, um vorhandene
Lücken im Straßenbild aufzufüllen.
Leseprobe...
Der vorliegende Band wurde von
Regine Heß
herausgegeben und von
insgesamt 15 weiteren Autoren
mitgestaltet. Die Auswahl der
Beiträge fächert sich thematisch in
mehrere Bereiche. Zwischen
Öffentlichkeit und Baukultur bewegen
sich die Erkenntnisräume des
vorliegenden Bandes.
Silke
Langenberg hinterfragt zum Beispiel
den Zeitpunkt der Veröffentlichung,
ab wann Architekten mit ihrem Werk
an die Öffentlichkeit traten. Sie
beschreibt mit ihrem Beitrag die
Einflussnahme von Fachzeitschriften
auf das Architekturgeschehen der
Nachkriegszeit und liefert damit
einen Überblick, welche Menge an
Bauobjekten den Weg in eine
Publikation fanden. Bauzeitschriften
sind vielfältig und gefragt, das waren sie schon ab 1946.
Ein Vorteil ist, nicht
nur tatsächlich realisierte Projekte
werden gezählt, sondern Entwürfe und
Wettbewerbsbeiträge sind diesen gleichgestellt,
die in ihrer Vielzahl auf diese
Weise wenigstens publizistisch
einmal zur Geltung kamen. Im
Vordergrund der Fachbeiträge stehen
öffentliche Gebäude und dann
Wohnbauten. An letzterem besteht
nach wie vor ein hoher Bedarf und an
beidem ein öffentliches Interesse.
Kirsten Wagner
geht einen Schritt
weiter, sie untersucht den
Wohnungsbau und diejenigen, welche
Wohnraum in Anspruch nahmen, was im
allgemeinen Mieter oder Eigentümer
sind. Sie erkennt Wohnen schlechthin
als Aneignung von Architektur an und
sieht den höheren Bedarf an
Wohnungen in der zunehmenden
Industrialisierung und einer
Erhöhung der Zahl an Arbeitnehmern,
womit sich eine soziologische Frage
in den Vordergrund stellt.
Elke
Nagel wiederum untersucht
Stuttgarter Hochhäuser, die als
Wohnungsbauexperiment hervorgingen,
belegt mit Grundrissen und s/w
Abbildungen der Gebäude, realisiert
vom Nachkriegsarchitekten Hans
Scharoun. Die architektonische
Großform ist Bestandteil der
Untersuchungen bei
Martin Kunz.
Der Wiederaufbau ganzer Städte
stehen im Fokus bei Stadtplaner Otto
Ernst Schweizer. Großprojekte wie
Mainz, Köln und Bonn finden
Erwähnung, wobei Schweizer sich in
seinen Ausführungen am
vorkriegsdefinierten Idealplan
orientierte. Die sogenannte
Schweizer Schule beschäftigte sich
auch mit konkreten
Wiederaufbauplänen in Städten wie
Lörrach, Waldshut, Baden-Baden,
Freiburg und Karlsruhe.
Alexandra
Klei beschäftigt sich mit
dem Thema jüdisches Bauen in
Nachkriegsdeutschland. Zunächst ging
es darum, nach den Zerstörungen
während der NS-Zeit eine neue
jüdische Infrastruktur aufzubauen,
wozu Synagogen, Gemeindezentren,
Friedhöfe, Denkmäler und anderes
mehr zählten. Einer der ersten war
der jüdische Architekt Gustav
Oelsner, der nach dem Krieg nach
Hamburg zurückkehrte und sich als
Referent für Aufbauplanung am
Wiederaufbau der Stadt beteiligte.
Alexandra Klei kommt jedoch zu dem
Schluss, wonach jüdische Architekten
an relevanten Debatten innerhalb
Deutschlands eigentlich nicht
teilnahmen. Der Architekt
Herrmann Zivi Guttmann
beispielsweise nahm überwiegend
Aufträge nur von jüdischen Bauherren
an.
"Die Unsichtbaren sichtbar machen",
nennt Mark
Escherich seinen Beitrag,
indem er zwei traditionalistische
Architekturschulen Deutschlands
gegenüberstellt. Er erwähnt
einerseits die Stuttgarter Schule
und deren Beschäftigung mit
Alltagsarchitektur. Er begreift
Paul Schmitthenner und Heinz
Wetzel als Kristallisationspunkt
einer Heimatschutzarchitektur.
Demgegenüber steht die Weimarer
Architekturausbildung unter Paul
Schultze-Naumburg, die bisher
wenig erforscht wurde. Mark
Escherich zeigt zudem auf, welche
Netzwerke zwischen beiden
Architekturschulen aus West- und
Ostdeutschland trotz
unterschiedlicher Systeme bestanden
haben. Olaf
Gishertz beschreibt dann
mit
seinem Beitrag "Import, Export,
Reimport" wie Baushausgründer
Walter Gropius diese Netzwerke
der Baubranche in
Nachkriegsdeutschland beeinflusste.
Ralf Liptau
untersucht
Architekturmodelle in den
Entwurfsprozessen der
Nachkriegszeit, "Kneten und
probieren" nennt er das, ja, wenn
das so einfach wäre. Propagiert wird
das Arbeitsmodell, einer Praxis
welcher der völligen Originalität
und Authentizität folgt, wie sie der
Berliner Architekt Wassili
Luckardt schon 1921 forderte.
Johannes
Warda beschäftigt sich
mit Wiederaufbaumodellen der
Denkmalpflege in der
Auseinandersetzung zwischen Vision,
praktischer Umsetzung und
Modernekritik. In eine ähnliche
Richtung weist der englischsprachige
Beitrag von
Marko Spikic, indem er
Bauruinen aufsucht und diese dem
Utopieverständnis mit Blick auf eine
kroatische Stadtentwicklung
unterstellt. Auch
Rachel
Julia Englers Beitrag ist
in englischer Sprache. Sie
untersucht Tendenzen des Urbanen bei
Frank Lloyd Wright im
Rotterdam der Nachkriegszeit.
Monika
Stromberger untersucht
Architektur zwischen Heimatschutz
und Baukultur am Beispiel des
Wiederaufbaus von Graz. Die
italienische Nachkriegsarchitektur,
Wiederaufbau und Gesellschaft sind
Untersuchungspunkt bei
Nicole di
Togni. Die schweizerische
Baugesinnung zeichnet sich in der
Untersuchung bei
Elena
Markus durch
Bescheidenheit bei Fragen der
Ideologie aus. Die Herausgeberin
Regine Heß
beschäftigt sich im abschließenden
Beitrag mit Begriffen aus
Architektursoziologie und
Akteur-Netzwerk-Theorie.
www.transcript-verlag.de
Architektur und Akteure
Praxis und Öffentlichkeit in der
Nachkriegsgesellschaft
Hrsg. Regine Heß
transcript Verlag, Bielefeld
1. Auflage 2018
Broschiert, 254 Seiten
45 sw Abb.
Format: 15,1 x 22,9 x 2,5 cm
ISBN: 978-3-8376-4094-6
auch als ebook
ISBN 978-3-8394-4094-0