Als
die Ergebnisse der US-Wahlen bekannt
geworden sind, versuchten politische
Kommentatoren ihr Bestes zu geben,
um einen Überblick über die
aktuellen Geschehnisse zu bekommen.
Doch schon bald wurde klar, dass das
Einzige, was aus den Ergebnissen
hervorging, Zweideutigkeit war.
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Washington DC |
Ambiguität ist ein strategisches
Mittel der Führungskräfte zur
Erreichung ihrer Ziele [4]. Als US-Präsident Donald
Trump am frühen Morgen erschien,
sagte er zu einer kleinen Menge um sich
herum: "Wir bereiten uns auf den
Wahlsieg vor" und fügte hinzu: "Ganz
offen gesagt, haben wir diese Wahl
gewonnen." Ein paar Stunden zuvor
war Biden auf der Bühne erschienen
und hatte seinen Anhängern erklärt:
"Um den Glauben zu bewahren, werden
wir gewinnen". Beide kannten den
Ausgang der Wahl nicht. Aber sie
wussten genau, dass sie das meiste
politische Kapital aus der
Unklarheit der Situation heraus
gewinnen.
Das Fehlen
eines klaren, sofortigen Ergebnisses
bedeutet, dass Anhänger der
Kandidaten vorübergehend nicht in
der Lage sind, ihre eigene
unflexible Denkweise [5] zu
erkennen. Trump-Anhänger legen sich
auf einen Sieg in Florida fest und
beschweren sich über angebliche
Versuche der Demokraten, "die Wahl
zu stehlen". Biden-Anhänger
konzentrieren sich währenddem auf
Siege in den Rostgürtelstaaten 'Rust
Belt' und auf einen dortigen
Zugewinn. Wie immer wurden
unterschiedliche Ansichten durch
Spaltung entlang der politischen
Linien von den US-Nachrichtenmedien
[6] unterstützt und begünstigt.
Man hätte
erwarten können, dass Politiker
solche Zweideutigkeiten ausnutzen,
während weiterhin die Hoffnung
bestehen blieb, dass Finanzmärkte
Präzision und Sicherheit bewahren.
Auch einige Investoren scheinen
diese Zweideutigkeit einfach
hinzunehmen. Es gibt nur wenige
wilde Ausschläge [7] an den
Finanzmärkten, wobei der VIX - der
sogenannte Anleger-"Angstindex" der
Volatilität - nach den
Wahlergebnissen um etwa 20 Prozent
fiel und die beiden wichtigsten
amerikanischen Aktienmärkte
anstiegen. Ein Anlagestratege sagte
der Financial Times, er freue sich
über eine Rückkehr zum 'Status quo',
während ein anderer seine
Erleichterung zum Ausdruck brachte,
dass es keine größeren
Gewaltausbrüche gegeben hat.
Die
gegenwärtige Situation mag
Politikern, Kandidaten und
Investoren kurzfristig geholfen
haben, aber die Unklarheit kann sich
mittel- bis langfristig gesehen als
gefährlich erweisen. Hier kann
Zweideutigkeit eine Art kognitives
Polster für Führungskräfte sein. Das
bedeutet, dass deren Annahmen
niemals aktualisiert werden und
diese Führungskräfte sich an Ideen
klammern, die zunehmend den Bezug
zur Realität verlieren. Eine Folge
daraus wäre, dass sie sich zu
Handlungen verpflichten, die unklug
oder gefährlich sind. Zum Beispiel
war Trumps Forderung, alle
Stimmauszählungen zu stoppen, ein
Vorgehen, das für ihn, da er im
Rückstand lag, den Wahlverlust
bedeutet hätte.
Verschärfung der wirtschaftlichen
und politischen Unsicherheit
Andauernde Zweideutigkeit der
Sachverhalte kann für Anhänger eines
Politikers im allgemeinen schädlich
sein. Wenn politische Parteien mit
Informationen konfrontiert werden,
die nicht zu ihren
Glaubensvorstellungen passen, wirken
sie desorientiert und werden wütend.
Beispiel diejenigen, die glauben,
dass ihr Kandidat eine Wahl gewonnen
hat, um später erkennen zu müssen,
dass dies nicht der Fall ist. Sie
beschließen, dass ihnen Ansprüche am
Wahlsieg "gestohlen" wurden. Da sie
der Ansicht sind, dass ihnen das
rechtmäßige Resultat illegal
vorenthalten wird, verlassen sie
sich verstärkt auf
außerinstitutionelle oder bisweilen
sogar auf illegale Maßnahmen, um
ihrem Missfallen Ausdruck zu
verleihen und das zu korrigieren,
was sie als falsch empfinden.
Dauerhafte
Unklarheiten können sich auch
negativ auf die Wirtschaft
auswirken. Bei den
US-Präsidentschaftswahlen im Jahr
2000, die zu einem Monat der
Unsicherheit über die
Auszählungsverhältnisse führten,
brachen die [8] Aktienmärkte
deutlich ein [8]. Politische
Unsicherheit trifft einige der
Unternehmen tendenziell stärker als
andere: So werden Unternehmen, die
eng mit Politikern verbunden sind,
wahrscheinlich einen Rückgang [9]
ihrer Aktienkurse [9]
verzeichnen. Diese wirtschaftlichen
Auswirkungen treten verstärkt auf,
wenn politische Ambiguität
rivalisierende Anhänger dazu
veranlasst, ihre Differenzen auf der
Straße beizulegen. Eine Studie [10 ]
in Ägypten ergab, dass öffentliche
Proteste zu Aktienkursverlusten bei
Firmen führen, die mit
Regierungsmitgliedern in Verbindung
stehen. Anhaltende politische
Unsicherheit kann das Verhalten von
Unternehmen verändern. So ist es
beispielsweise weniger
wahrscheinlich, dass Unternehmen in
politisch unsicheren Zeiten an die
Börse [11] gehen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen
in Innovationen investieren, [12]
fällt ebenfalls viel geringer aus.
Die durch
politische Ambiguität verursachte
Unsicherheit wird zum Hemmschuh für
Wirtschaftswachstum [13]. Umgekehrt
steigen mit abnehmender politischer
Unsicherheit Aktienkurse an, Banken
sind eher bereit, Kredite zu
vergeben, Unternehmen beschäftigen
mehr Mitarbeiter, wodurch sich das
Konsumverhalten verändert.
Ein nicht
eindeutiges Wahlergebnis könnte also
einen Raum frei von festen Fakten
schaffen, in dem wir glauben können,
dass die Realität unseren
Überzeugungen entspricht. Politische
Zweideutigkeit kann gefährliche
Folgen haben, unrealistische
Überzeugungen fördern, Konflikte
schüren und zu wirtschaftlicher
Stagnation führen.
Wenn es um die
USA geht, wissen wir, dass ein
Kandidat schließlich als Präsident
bestätigt wird. Aber es besteht die
Gefahr, dass die politischen
Unklarheiten, die durch diese Wahl
geschaffen wurden - und in einigen
Kreisen bewusst gefördert werden
[14] - lange Schatten werfen.
Ein Kommentar von André Spicer
[1], Professor für
Organisationsverhalten, Business
School (ehemals Cass) [2], City,
University of London
Foto: CC0 by 12019/
pixabay, Meldung: Ida Junker,
PPOOL media - communications, Paris
Dieser Artikel
wurde ursprünglich in 'The
Conversation' veröffentlicht. Lesen
Sie den Originalartikel [3].
[1]
https://theconversation.com/profiles/andre-spicer-93496
[2]
https://www.cass.city.ac.uk/
[3]
https://theconversation.com/election-ambiguity-may-be-beneficial-in-the-short-term-but-in-the-long-term-its-corrosive-149479
[4]
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/03637758409390197
[5]
https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fxge0000661
[6]
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3019414
[7]
https://www.ft.com/content/732afbb8-af6f-4bfa-9cd2-e7dab82873af
[8]
https://link.springer.com/article/10.1007/BF02755983
[9]
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1386418108000219?casa_token=GppjPXJnF4AAAAAA:1vxgH0Ewx8js-RxuakIy5hdYzqNRAF7dcEzQFbobOnIZ45FelbBBwptAiMgZXNzcFn4DgxLoIDM
[10]
https://academic.oup.com/rfs/article/31/1/1/4060544
[11]
https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-financial-and-quantitative-analysis/article/political-uncertainty-and-ipo-activity-evidence-from-us-gubernatorial-elections/8F2EE62C6038B166F009987127269210
[12]
https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-financial-and-quantitative-analysis/article/what-affects-innovation-more-policy-or-policy-uncertainty/FB21593CFF8551F9204850EFA896658B
[13]
https://www.bankofengland.co.uk/-/media/boe/files/working-paper/2019/macroeconomic-effects-of-political-risk-shocks.pdf
[14]
https://www.sciencemag.org/news/2020/10/us-election-nears-researchers-are-following-trail-fake-news