Es ist eine der
bedeutendsten Erwerbungen in der
über zweihundertjährigen Geschichte
des Städel Museums: Das Gemälde
Selbstbildnis mit Sektglas von Max
Beckmann konnte durch die
Unterstützung der
Kulturstaatsministerin, des
Städelschen Museums-Vereins, der
Ernst von Siemens Kunststiftung, der
Kulturstiftung der Länder sowie fünf
privater Mäzene für das Städel
Museum erworben werden. Das Gemälde,
1919 in Frankfurt entstanden, gehört
zu den bekanntesten und wichtigsten
Werken des Künstlers. Seit 2011
befand es sich als Leihgabe im
Museum. Mit dem Erwerb verbleibt es
nun endgültig im Städel.
Das Selbstbildnis mit Sektglas ist
eines der eindrücklichsten
Selbstporträts des Künstlers, zudem
handelt es sich dabei um das einzige
aus einer kleinen Gruppe ikonisch
gewordener Selbstbildnisse, das sich
noch in deutschem Privatbesitz
befand. Das Werk stammt aus der
legendären Privatsammlung von
Hermann Lange in Krefeld, der es
bereits in den 1920er-Jahren
erworben hatte. Seit dieser Zeit war
das Gemälde ununterbrochen im Besitz
seiner Nachkommen, von denen es nun
für das Städel Museum erworben
wurde. Max Beckmann ist heute, vor
allem durch seine frühe Rezeption in
den USA, der bekannteste deutsche
Vertreter der Klassischen Moderne.
Vor bereits drei Jahren war Städel
Direktor Philipp Demandt mit dem
Wunsch, das Gemälde zu erwerben, an
die Erben Hermann Langes
herangetreten. Nach intensiven
Gesprächen ebneten die Eigentümer
durch ein großzügiges Entgegenkommen
den Weg für erste Anfragen an
institutionelle Förderer, deren
ebenso beherzte wie bedeutende
Zusagen sich fünf private Förderer
mit wiederum exzeptionellen
Einzelzusagen anschlossen. Das
Kunstwerk ist aktuell im
Beckmann-Saal des Städel Museums zu
sehen und wird vom 9. Dezember 2020
bis 5. April 2021 im Mittelpunkt
Seite 2/6 der Sonderpräsentation
„Städel
Beckmanns/ Beckmanns Städel. Die
Jahre in Frankfurt“ im
Städel Museum stehen.
„Das Selbstbildnis mit Sektglas ist
nicht nur eines der bedeutendsten
Gemälde unseres Hauskünstlers Max
Beckmann, sondern auch eine Ikone
des 20. Jahrhunderts. Seit meinem
Amtsantritt in Frankfurt war der
Erwerb dieses Schlüsselwerks von
Beckmann mein Herzenswunsch. Was
zunächst angesichts des Wertes
dieses weltweit begehrten Gemäldes
unerreichbar schien, ist nun, nach
drei Jahren, zu einem glücklichen
Abschluss gekommen. Noch nie zuvor
hat das Städel Museum eine einzelne
Erwerbung in dieser Dimension
gestemmt. Allen privaten und
staatlichen Förderern sind wir für
ihr überwältigendes Engagement
ebenso dankbar wie den Eigentümern
für ihr großes Vertrauen in das
Städel Museum – durch dieses
gemeinschaftliche Engagement kehrt
Beckmanns Meisterwerk für immer nach
Frankfurt, an den Ort seiner
Entstehung, zurück“, so Städel
Direktor Philipp Demandt.
Die Staatsministerin für Kultur und
Medien, Monika Grütters: „Aus gutem
Grund kann Max Beckmanns
Selbstbildnis mit Sektglas als ein
national bedeutsames Kunstwerk
bewertet werden: Innerhalb seines
bedeutenden umfangreichen Schaffens
markiert es das Spannungsverhältnis
zwischen den noch frischen Wunden
des Ersten Weltkrieges und den
Anfängen der Weimarer Zeit.
Unzweifelhaft handelt es sich um ein
Schlüsselwerk im beeindruckenden
Œuvre des Künstlers. Der Bund hat
deshalb die Bemühungen zum Ankauf
dieses Meisterwerks unterstützt. Für
das Städel Museum und für das
nationale Erbe ist der erfolgreiche
Erwerb ein echter Glücksfall.“
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Max Beckmann, Eisgang, 1923, Öl
auf Leinwand, 47,5 × 59,5 cm, Städel Museum, Frankfurt
am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.
© VG Bild-Kunst,
Bonn 2020, Foto: U. Edelmann, Städel |
Über das
große Engagement des Städelschen
Museums-Vereins für die Erwerbung
äußert sich die Vorsitzende Sylvia
von Metzler: „Das Frankfurter Städel
Museum und Max Beckmann sind auf
besondere Weise miteinander
verbunden. Frankfurt war für Max
Beckmann lange Zeit sowohl ein
Zuhause als auch ein Ort
künstlerischer Inspiration. Es sind
die Bürgerinnen und Bürger dieser
Stadt, die bereits zu Beckmanns
Lebzeiten seine Kunstwerke im Städel
Museum bewahrt wissen wollten. Mit
der Erwerbung des Gemäldes
Selbstbildnis mit Sektglas für
Frankfurt schreiben wir diese
Tradition nun auf eindrucksvolle
Weise fort.“
„Die Ernst von Siemens Kunststiftung
unterstützt den Ankauf des
Selbstbildnisses mit Sektglas mit
einer beachtlichen Fördersumme.
Unserem Gründer, dem Unternehmer und
Mäzen Ernst von Siemens, war es ein
Anliegen, Kunstwerke von höchster
Qualität nicht nur für die breite
Öffentlichkeit zu erhalten, sondern
auch an den richtigen Ort zu
bringen. Dieses Ziel konnten wir mit
unserer Förderung einmal mehr – auf
geradezu ideale Weise – erreichen“,
so Martin Hoernes, Generalsekretär
der Ernst von Siemens Kunststiftung.
„In Frankfurt am Main schuf Max
Beckmann einen Großteil seiner
bedeutendsten Werke. Es freut uns,
dass wir den Ankauf dieses
herausragenden Gemäldes für das
Städel Museum unterstützen konnten –
es verbleibt somit an dem Ort, an
dem heute eine der größten
Beckmann-Sammlungen verwahrt wird.
Das Museum verlor 1937 seinen ersten
Beckmann-Bestand durch die
Beschlagnahmungsaktion der
Nationalsozialisten fast
vollständig. Mit dem Ankauf können
wir die nach dem Zweiten Weltkrieg
wiederaufgebaute Beckmann-Sammlung
im Städel Museum nun um ein
kapitales Werk erweitern. Max
Beckmann ist einer der wichtigsten
deutschen Künstler des 20.
Jahrhunderts. Es ist somit
maßgeblich, den Verbleib des Werks
Selbstbildnis mit Sektglas in
Deutschland zu sichern“, sagt Frank
Druffner, stellvertretender
Generalsekretär der Kulturstiftung
der Länder.
Max Beckmann und Frankfurt
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Max Beckmann, Die Synagoge in Frankfurt am Main,
1919, Öl auf Leinwand, 89,8 × 140,4 cm, Städel Museum,
Frankfurt am Main, Foto © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 |
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Max
Beckmann (1884–1950) ist wie kaum
ein anderer Künstler mit der Stadt
Frankfurt und dem Städel Museum
verbunden. Von 1915 bis 1933 in
Frankfurt ansässig, schuf er hier
einen Großteil seiner zentralen
Werke und entwickelte den für ihn
charakteristischen Stil. 1925
übertrug ihm die Stadt die erste
Meisterklasse an der
Kunstgewerbeschule und stellte ihm
ein Atelier zur Verfügung.
Zahlreiche FrankfurtAnsichten,
Selbstbildnisse und Porträts von
Freunden und Bekannten belegen seine
enge Bindung an die Stadt. Während
seiner Frankfurter Zeit wurde er in
18 Einzelund Gruppenausstellungen in
der Stadt präsentiert, die ihm 1929
den Großen Ehrenpreis verlieh. Nach
der Machtübernahme der
Nationalsozialisten wurde er aus
seiner Lehrtätigkeit entlassen und
er musste Frankfurt mit großem
Bedauern verlassen. 1937 floh
Beckmann, als „entartet“ diffamiert,
aus Deutschland, im selben Jahr
brachte der nationalsozialistische
Bildersturm das Städel Museum um
nahezu seine gesamte Sammlung der
Klassischen Moderne. Mit über
hundert Werken, darunter allein zehn
Gemälde, war Max Beckmann der von
der Beschlagnahmeaktion „Entartete
Kunst“ am stärksten betroffene
Künstler. 1950 starb er in New York.
Das Städel Museum erwarb bereits
1918 Werke von Beckmann; aufgrund
der engen Verbindung des Künstlers
zu Frankfurt widmet sich das Haus
seitdem intensiv dem Sammeln und der
Erforschung seines Œuvres, das in
zahlreichen Sonderausstellungen
gezeigt worden ist. Heute verfügt
das Städel Museum mit elf Gemälden,
zwei Skulpturen und einem mehrere
Hundert Blatt umfassenden grafischen
Bestand über eine der weltweit
umfangreichsten Beckmann-Sammlungen,
zu der nun auch das Selbstbildnis
mit Sektglas gehört.
Über das Gemälde
Das Selbstbildnis mit Sektglas zählt
zu den wichtigsten Werken aus Max
Beckmanns Zeit in Frankfurt und ist
zu einem weithin bekannten Sinnbild
der Zwischenkriegszeit und der
Weimarer Republik geworden. Es ist
das dritte Selbstbildnis des
Künstlers, das nach dem Ersten
Weltkrieg entstand. Hatte er sich
zuvor noch als Krankenpfleger und
als Maler im Atelier dargestellt, so
präsentiert er sich nun, zum ersten
Mal, als eleganter Lebemann in einem
Nachtlokal – wahrscheinlich handelt
es sich um die Bar des Frankfurter
Hofs, wo Beckmann laut Zeitzeugen
mit Vorliebe Champagner trank.
Darüber hinaus frequentierte er auch
das Restaurant im Wartesaal des
Hauptbahnhofs, wo er Anregungen für
seine Arbeit suchte. Angestrahlt von
grellem Kunstlicht, sitzt der Maler
mit schäumendem Sektglas und Zigarre
in den Händen an der Theke – seine
gezierte Haltung sowie sein kaltes
Lächeln vermitteln jedoch nicht den
Eindruck unbeschwerter Heiterkeit.
Eine groteske Erscheinung lacht im
Hintergrund; wie ein Echo wiederholt
sich die Fratze bedrohlich im
Spiegel auf der linken Seite. Max
Beckmann nimmt hier eine Rolle ein,
in der er in den kommenden Jahren
immer wieder in Erscheinung treten
wird: die des distanzierten
Beobachters im nächtlichen
Amüsierbetrieb. In seinen
Darstellungen demaskiert er die
bürgerliche Vergnügungssucht der
Nachkriegszeit, deren
Oberflächlichkeit und extravagante
Inszenierungsformen ihm wiederholt
Impulse für seine Kunst lieferten.
Das Selbstbildnis mit Sektglas steht
exemplarisch für Beckmanns Abkehr
von der spätimpressionistischen
Malweise zugunsten einer
charakteristischen Konturierung der
Formen und expressiven
Übersteigerung der Figuren. Das Bild
ist damit ein Schlüsselwerk für die
Entwicklung und das Verständnis des
Künstlers. Das Selbstbildnis mit
Sektglas präsentiert sich in einem
konservatorisch sehr guten Zustand.
Von kleineren Maßnahmen insbesondere
zur Sicherung der Malschicht
abgesehen, hat das Gemälde keine
nennenswerten Restaurierungen
erfahren. Zudem wurde es nie
doubliert, also mit einer stützenden
zweiten Leinwand verklebt; auch
besitzt es noch seinen originalen
Spannrahmen und seine ursprüngliche,
nämlich ungefirnisste Bildoberfläche
– und damit die vom Künstler
intendierte Farbwirkung.
Selbstbildnisse
Max
Beckmann hat wie kaum ein zweiter
Künstler der Klassischen Moderne
Selbstbildnisse geschaffen. Sie
entstanden in allen Techniken, von
der Malerei über die Zeichnung und
Druckgraphik bis hin zur Skulptur.
Selbstbildnisse begleiten Beckmanns
künstlerischen Werdegang vom Früh-
bis in sein Spätwerk und
veranschaulichen entscheidende
Phasen seiner Entwicklung. Neben
„klassischen“ Selbstporträts, in
denen Beckmann als Hauptfigur
erscheint, tritt er auch häufig in
szenischen Darstellungen auf. Darin
gibt er den Zirkusdirektor, den
Ausrufer, ist biblischer Adam oder
ein vermeintlich beiläufiger
Beobachter. Insgesamt hat Beckmann
rund 35 genuine Selbstbildnisse
gemalt, darunter so bekannte Werke
wie das Selbstbildnis mit rotem
Schal (Stuttgart, Staatsgalerie)
oder das Selbstbildnis im Smoking
(Cambridge, Massachusetts,
Busch-Reisinger Museum). Unter den
eindrücklichen Werken Beckmanns sind
seine berühmten Selbstbildnisse die
Seite 5/6 international
gesuchtesten. Weniger als eine
Handvoll Selbstporträts befindet
sich heute noch in Privatbesitz –
alle anderen werden, oft schon seit
Jahrzehnten, in Museen bewahrt.
Provenienz
Das
Selbstbildnis mit Sektglas wurde
erstmals 1921 auf der
Max-Beckmann-Ausstellung im
Frankfurter Kunstverein gezeigt, die
gemeinschaftlich mit seinem
Galeristen Israel Ber Neumann
organisiert wurde. Anschließend
wurde das Gemälde in Neumanns
Galerie in Berlin präsentiert und in
der Ausstellung der Münchener
Sezession 1921 zum Verkauf
angeboten. In der Weimarer Republik
war das Gemälde auf den großen
Beckmann-Ausstellungen in
Deutschland 1928 sowie in der
Schweiz 1930 vertreten. Das Gemälde
war spätestens seit 1928 im Besitz
des Krefelder Seidenfabrikanten
Hermann Lange, da der renommierte
Sammler nachweislich Leihgeber des
Gemäldes für die
Beckmann-Retrospektive in Mannheim
im selben Jahr war. Vermutlich hat
Lange das Werk direkt vom Künstler
oder durch Vermittlung eines seiner
Galeristen – Israel Ber Neumann oder
Alfred Flechtheim – erworben. Nach
dem Tod Langes im Jahr 1942 verblieb
es in Familienbesitz. Der
Unternehmer Hermann Lange war einer
der wichtigsten Sammler moderner
Kunst im Rheinland. Nach dem Ersten
Weltkrieg hatte er mit dem Aufbau
seiner Sammlung zeitgenössischer
Kunst begonnen. In seinem Besitz
befanden sich insbesondere Kubisten
und Expressionisten, darunter Pablo
Picasso, Juan Gris, Marc Chagall und
Ernst Ludwig Kirchner. In einer
historischen
Ausstellungsbesprechung, die 1928 in
der Kunstzeitschrift Cicerone
erschien, wird Lange als einer der
„größten Sammler französischer
Kubisten in Deutschland“ bezeichnet.
Um 1927/28 beauftragte der visionäre
Sammler den Architekten Ludwig Mies
van der Rohe mit dem Entwurf einer
Stadtvilla (heute Haus Lange,
Krefeld). Die Räume wurden auf
Langes Wunsch hin so gestaltet, dass
sie die Präsentation seiner
Kunstsammlung optimal
gewährleisteten. Die
Innenausstattung entwarf Mies’
damalige Partnerin Lilly Reich.
Werkangaben
Max Beckmann (1884–1950)
Selbstbildnis mit Sektglas, 1919
Öl auf Leinwand, 65,2 x 55,2 x 2,3
cm (ohne Rahmen)
Signiert oben links in Ölfarbe:
Beckmann
Bezeichnet oben links: Frankfurt a/M
Sept. 19
WVZ: Göpel 203
Erworben mit Unterstützung der
Kulturstiftung der Länder sowie
privater Spenden.
Gemeinsames Eigentum mit der Ernst
von Siemens Kunststiftung, der
Bundesrepublik
Deutschland und dem Städelschen
Museums-Verein
Meldung: Städel
Museum, Frankfurt am Main