Eine klare
Gebäudestruktur gegeben durch das
seit Jahrzehnten leerstehende Hotel
aus den frühen 1860er Jahren, welches die
bauliche Grundlage des Romans bildet
und den Handlungsraum absteckt, in
dem die handelnden Personen agieren.
Es ist ein Annäherungsspiel an ein
altes Haus, das seit vielen Jahren
verlassen ist und bei dem die
Erbschaftsstreitigkeiten unter den
Beteiligten noch nicht geklärt sind. Bel Veder liegt in einer stark
bewaldeten Schweizer Alpenregion.
Die Finsteralp bietet viele Anlässe
für unterschiedliche Stimmungen,
denen die Anwesenden nicht ohne ihr
eigenes Zutun ausgeliefert
sind. Was kann bei einer solchen Thematik
herauskommen? Genau das richtige
Sujet für einen spannenden
Schauerroman, was aber nicht ganz so
einfach ist und etwas mehr mit einem
Familienroman zu tun hat, der nicht
ganz so harmonisch verlaufen will,
sondern darauf aus ist, den
Geheimnissen die hinter den Mauern
des ehemals noblen Hotelbaus verborgen liegen, langsam
aber sicher auf die Spur zu kommen.
Das sorgt für erhebliche Spannung.
Spannungsaufbau formiert sich
somit kontinuierlich und baut sich
zum Vergnügen des Lesers immer
weiter
auf. Der Autor Mirko Beetschen nimmt
dieses Spiel bewusst auf. Die zeitliche
Eingrenzung im Roman beginnt im
Herbst des ersten Nachkriegsjahres,
1946, eine außergewöhnliche Phase,
der Krieg im benachbarten
Deutschland ist gerade erst
überwunden mit all seinen
Hinterlassenschaften und Schäden,
die übrig geblieben sind, was aber nicht thematisiert
werden soll, nur mitklingt
beim Anblick des alten Gemäuers und
der verfallenen Struktur in der
stets ansteigenden und bewaldeten Höhenlage auf der
Finsteralp. Ausgezeichnet mit dem
Literaturpreis des Kantons Bern 2019
zieht sich dieser Erzählstrang im
Roman entlang einer
Landschaft mit viel Wald und
einsamen Nächten mitsamt den
behelfsmäßigen Einschränkungen, die sich aus dem
natürlichen Ablauf der Jahreszeiten
ergeben. Wer das gewohnt ist, kann
sich wie aufgehoben fühlen. Doch für
Fremde bedeutet das Eingeschlossen Sein
soviel wie Gefahr auf der Finsteralp. Bestimmt
nicht das reine Vergnügen besonders
wenn die Zugereisten von weit her
kommen, um sich in Bel Veder
kennenzulernen, um letzte formale
Fragen in einer prekären
Angelegenheit zu regeln.
Auffällig ist Liebe zu den
Details, die sich nach und nach im
Haus zeigen und ein manchmal
pittoreskes Gemälde malen, um aus
der Geschichte des Hotels zu
erzählen. Das Haus und seine
unerwarteten Gäste gehen auf
Entdeckungsreise. Nicht zufällig
ergibt die Verlängerung des Wortes
Bel Veder auch das Wort Belvedere,
was soviel bedeutet wie Schöne
Aussicht und davon findet sich zu
Genüge in der Umgebung. Was die
Besucher vorfinden, sind vor allem
die Zusammenhänge, als das Hotel
noch in voller Blüte stand und
bewirtschaftet war. Ein Zeitsprung
aus der Vergangenheit bis in die
Gegenwart will der Roman
überbrücken. Was dazwischen liegt,
zeigt sich im Verfall des Hauses und
den Verschleißerscheinungen des
Alltags. Die abgelaufene Zeit ist
der Faktor, der ein Haus bis zum
Stillstand bringen kann. Nur die
Menschen beleben sein Inneres
letztlich wieder. Von einer
Wiedergeburt auszugehen, das wäre jedoch
zuviel des Guten. Gewiss findet eine
emotionale Aufwertung statt, dessen
was sich in diesen Zimmern des
Hotels abgespielt hat. Das kann ganz
lapidare Hintergründe haben, wenn
sich jemand wohnlich einrichtet, was
mit neuen Bewohnern plötzlich die Ausmaße
einer Zweckentfremdung annimmt. Dazu
gehört nur ein wenig Initiative, was
der Ertüchtigung des Gebäudes
dienlich sein kann. Ein
Kloster ist auch nur eine Herberge
und ein Schloss hat auch nicht mehr
zu bieten als eine Vielzahl an
Zimmern, die durch unterschiedliche
Gänge und Stockwerke miteinander
verbunden sind. Aber ein großes
leerstehendes Hotel trifft hierbei einen
zusätzlichen wunden Punkt. Denn viele
Urlaubsorte besonders in den Bergen
sind von der Corona-Krise betroffen
und damit auch Hoteliers, die vor
der Schließung ihrer Häuser stehen.
Ein Ausweg wäre, sich an die
Situation anzupassen und einfach
Räumlichkeiten und Hotelzimmer
anzubieten, die das Konzept der
Quarantäne integriert haben, so dass
aus der Not eine Tugend wird. Das
mag gespenstisch klingen: Ein wenig
zu weit gegriffen wäre, gleich an
ein Sanatorium in den Bergen zu
denken, wie dies aus Thomas Manns
Roman
"Zauberberg" bekannt
geworden ist. Diese Stimmung
des geplätteten Sanatoriumsbesuchers
dringt im Roman Bel Veder nicht
vollends durch. Vielmehr ist ein
besonderer Spannungsmoment
ausschlaggebend, wie in der Novelle "Die schwarze
Spinne" von Jeremias Gotthelf
der Fall ist, die ihr
komplexes Wesen in der Finsteralp
antreibt im übertragenen Sinne.
Der greise Besitzer eines seit
Jahrzehnten leerstehenden
Grandhotels in den Bergen des Berner
Oberlands wird nach seinem spurlosen
Verschwinden für tot erklärt. Seine
Enkelin Eleanor reist gemeinsam mit
ihrer Zwillingsschwester aus
Baltimore an, um das Erbe
anzutreten. In der einsam gelegenen
einstigen Luxusresidenz lernt sie
ihren Cousin, dessen Verlobte sowie
ihre Cousine kennen. Bis zur
Testamentseröffnung richtet sich die
Zweckgemeinschaft in dem
heruntergekommenen Hotel ein.
Eleanor hat Mühe, sich an die fremde
Umgebung zu gewöhnen. Die Bergwelt
ist ihr unheimlich, die verlassenen
Zimmer und Gänge des riesigen
Gebäudes machen ihr Angst. Das
unerwartete Auftauchen eines
weiteren Gasts und die
überraschenden Auflagen des
Testaments stellen den Zusammenhalt
der Gruppe auf eine schwere Probe.
Als plötzlich ein furchtbarer Unfall
geschieht und das Hotel zudem durch
den früher als erwartet
hereinbrechenden Schnee von der
Außenwelt abgeschnitten wird, gerät
die Situation vollends außer
Kontrolle.
Leseprobe...
www.mirkobeetschen.com/bel-veder
Bel Veder
Roman von Mirko Beetschen
Zytglogge Verlag, Bern
2. Auflage, 2019
gebunden, 443 Seiten
Größe: 13.1 x 4.3 x 21.1 cm
ISBN: 978-3729609976
auch als ebook erhältlich
ISBN: 9783729622388