Mehr als die Hälfte
der älteren deutschen Bevölkerung
ist chronisch krank. Was chronische
Krankheiten für das
Gesundheitswesen, für die
Gesellschaft und für die Patienten
selbst bedeuten, fasst jetzt ein
Report des Instituts für
Allgemeinmedizin der
Goethe-Universität Frankfurt
zusammen. Der Report arbeitet die
oft hoch komplexen Daten zu
Verbreitung, Ursachen und Folgen
chronischer Krankheiten auf und
schildert Fallbeispiele. Weiterhin
stellt er die Ergebnisse einer
Untersuchung der Patientensicht auf
ihre Versorgung vor. Dabei werden
gute Erfahrungen wie auch erlebte
Defizite sichtbar. Der Report ist
laienverständlich geschrieben,
barrierefrei als pdf aufbereitet und
kostenfrei im Internet oder als
gedruckte Version erhältlich. Das
Projekt wurde von der Robert Bosch
Stiftung GmbH gefördert.
Am Anfang bleibt eine chronische
Krankheit häufig unbemerkt. Nach
Jahren oder sogar Jahrzehnten können
die Folgen gravierend sein:
Schmerzen, körperliche
Einschränkungen und seelische
Belastungen reduzieren die
Lebensqualität und manche chronisch
Kranke sterben an ihrer Krankheit
früher, als aufgrund der
Lebenserwartung anzunehmen ist.
Zählt man zu diesen verlorenen
Lebensjahren die Jahre mit
gesundheitlichen Einschränkungen
hinzu, so kommen 25 Millionen
„verlorene gesunde Lebensjahre“ in
Deutschland zusammen, jedes Jahr.
Dafür sind überwiegend chronische
Krankheiten verantwortlich, zu je
etwa 20 Prozent Herz-Kreislauf- und
Krebserkrankungen, zu weiteren 30
Prozent Muskel-Skelett-Erkrankungen
zusammen mit psychischen Störungen
und Krankheiten des Nervensystems.
Alle zusammen verursachen hohe
Kosten im Gesundheitswesen. Mit 15
Milliarden Euro pro Jahr ist Demenz
– aus volkswirtschaftlicher Sicht –
die „teuerste“ chronische Krankheit,
gefolgt von Erkrankungen der
Wirbelsäule und des Rückens,
Bluthochdruck und Krankheiten der
Hirngefäße wie Schlaganfälle. Wer
chronisch krank ist, fehlt häufiger
am Arbeitsplatz und geht früher in
Rente.
Der Report schildert aus
verschiedenen Perspektiven, wie es
ist, mit einer chronischen Krankheit
zu leben. Exemplarisch werden
Verläufe einer Depression und einer
Herzinsuffizienz geschildert, und es
wurden Patienten zu ihren
Erfahrungen mit der Behandlung ihrer
Krankheit befragt. Gute Versorgung
erlebten an Depression Erkrankte
beispielsweise wie ein Netzwerk, das
half, „aus dem Loch“ herauszukommen.
Als Mangel in der Versorgung sahen
sie die langwierige, selbst zu
organisierende Suche nach einer
Therapie. „Bei einer Depression
fehlt die Kraft für eine aufwändige
Suche nach Hilfe“, resümiert die
Untersuchung. Es kommen auch
Patienten mit der Herzerkrankung
„Herzinsuffizienz“ zu Wort und
erklären stellvertretend für andere
chronisch Kranke, wie eine
Behandlung Orientierung gibt und bei
der Akzeptanz der chronischen
Krankheit helfen kann.
Eine der Studienautorinnen und
Mitarbeiterin am Institut für
Allgemeinmedizin in Frankfurt Dr.
Corina Güthlin erklärt: „Wir im
Gesundheitssystem fokussieren uns
oft zu sehr auf eine einzelne
Krankheit. Dabei ist die
übergreifende Betrachtung
chronischer Krankheiten
unerlässlich. In unserem Report
geben wir erstmals einen leicht
erfassbaren Überblick über
chronische Krankheiten insgesamt und
hoffen so, zu einem besseren
Verständnis chronischer Erkrankungen
beizutragen. Neben reinen Zahlen und
Fakten ging es uns auch darum, die
Perspektive von chronisch Kranken
aufzuzeigen. Daher ist der Report
sowohl für Mitarbeiter des
Gesundheitswesens wie auch für
Patienten wertvoll.“
„Die Versorgung von chronisch
kranken Patienten muss
vorausschauend und bedarfsgerechter
gestaltet werden. Wir wollen mehr
gesunde Lebensjahre für die
Betroffenen gewinnen. Wir haben den
Report gefördert, um durch eine
kompakte Übersicht und einen
leichten Zugang ein besseres
Verständnis für die Situation und
die Versorgungserfordernisse bei
chronischer Erkrankung zu erzielen“,
sagt Dr. Bernadette Klapper,
Bereichsleiterin Gesundheit bei der
Robert Bosch Stiftung GmbH.
Publikation:
Güthlin,
C.; Köhler, S; Dieckelmann, M.
(2020): Chronisch krank sein in
Deutschland. Zahlen, Fakten und
Versorgungserfahrungen. Institut für
Allgemeinmedizin der
Goethe-Universität, Frankfurt am
Main. Online verfügbar unter
http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/55045.xx