Gescheiterte EU-Politik

Feuer zerstört Flüchtlingslager Moria auf Lesbos "Kinder sind in furchtbarem Zustand"

 

 

Foto © UNICEF/UNI367861/Lagoutaris/AFP

In der Nacht zum Mittwoch (09.09.2020) haben starke Brände das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos völlig zerstört. 12.000 Menschen sind obdachlos geworden, darunter auch unbegleitete Kinder. "Die Feuer sind mittlerweile gelöscht, aber die Situation ist völlig außer Kontrolle. Die Menschen harren teilweise seit Jahren in dem Lager aus und sind in einem schrecklichen Zustand: Erschöpft, müde und verzweifelt. Die Grenze des Ertragbaren ist schon lange erreicht. Seit Jahren rechnen wir damit, dass die Situation eskaliert. Das ist eine Katastrophe mit Ansage!", sagt Popi Gkliva, SOS-Nothilfekoordinatorin in Griechenland.

Moria: 400 unbetreute Kinder umfassend schützen

 

Besonders dramatisch sei die Situation der Kinder. Popi Gkliva sagt: "Sie sind in einem schlimmen Zustand, das Ausmaß an Vernachlässigung ist unbeschreiblich." Vielfach seien ihre Eltern depressiv und hoffnungslos und könnten ihre Kinder kaum unterstützen. Auch die griechischen Bewohner der Insel seien mit der Situation überfordert, bereits im Winter war es zu Spannungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten gekommen. Popi Gkliva sagt: "Stress und Anspannung sind auf beiden Seiten groß und nach unseren Informationen kommt es bereits zu Konflikten!" Eine weitere Eskalation sei nicht auszuschließen.

Popi Gkliva rechnet damit, dass nun ein Großteil der Menschen im zweiten Flüchtlingslager auf Lesbos, dem Camp Kara Tepe, unterkommen könnte, wo die SOS-Kinderdörfer Kinder und Familien seit Jahren kontinuierlich unterstützen. Doch auch dort sei man längst am Rande des Machbaren.

George Protopapas, Leiter der SOS-Kinderdörfer in Griechenland, sagt: "Wir müssen jetzt mehr denn je an der Seite der Kinder stehen und dafür Sorge tragen, dass sie diese furchtbare Situation überleben!"

Die SOS-Kinderdörfer haben bereits mit Nothilfemaßnahmen begonnen, Matratzen und Decken verteilt und stehen im Austausch mit den griechischen Behörden, um die Menschen bestmöglich unterstützen zu können.

Nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager auf Moria liefen Kinder, Jugendliche, Familien buchstäblich um ihr Leben. Die SOS-Kinderdörfer weltweit bitten die Bundesregierung dringend, rasche humanitäre Hilfe zu leisten, um vorrangig jenen 400 unbetreuten Kindern vollen Schutz zu gewähren, die nun auf das Festland gebracht werden.

"Ein Tropfen auf den wahrlich heißen Stein ist es, 400 Kinder aus der Lebensgefahr in Lesbos ans Festland zu bringen. Seit Jahren hat sich Europa dem Schicksal dieser Kinder nicht angenommen, die EU-Staaten haben keine humanitären Lösungen gefunden. Jetzt müssen die griechischen Behörden und NGOs massiv unterstützt werden, um im ersten Schritt für unbetreute Kinder und alleinerziehende Mütter Schutz und Rehabilitation nach dem Trauma des Brands zu leisten. Nicht mehr darüber reden, handeln!", sagt Boris Breyer, Sprecher der SOS-Kinderdörfer weltweit.

Darüber hinaus sei die Bundesregierung am Zug, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft darauf hinzuwirken, dass eine dauerhafte Lösung für schutzbedürftige Kinder in Flüchtlingslagern gefunden wird.

 

Nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager auf Moria liefen Kinder, Jugendliche, Familien buchstäblich um ihr Leben. Die SOS-Kinderdörfer weltweit bitten die Bundesregierung dringend, rasche humanitäre Hilfe zu leisten, um vorrangig jenen 400 unbetreuten Kindern vollen Schutz zu gewähren, die nun auf das Festland gebracht werden. Greece/Lesbos/ Sept 9, 2020. Moria camp in fire.

Foto (c) SOS-Kinderdörfer weltweit/ Giorgos Moutafis

 

Europas Sündenfall heißt Moria


Im Flüchtlingslager Moria herrscht nicht erst seit dem Ausbruch von Corona und Feuer eine humanitäre Katastrophe. Nein, auch schon in den Monaten davor war Moria das Synonym für den Sündenfall in der europäischen Flüchtlingspolitik. Auf 2800 Plätzen hausen rund 12.500 Flüchtlinge - seit Monaten. Hunger, Gewalt, Krankheiten sind an der Tagesordnung.

Der politischen Führung in ganz Europa war klar, dass diese Situation auf Dauer nicht haltbar ist. Aber niemand wollte Verantwortung für die Menschen übernehmen. Die bittere Wahrheit: Moria gehört zum Konzept der Abschreckung, damit sich nicht noch mehr Menschen auf den Weg in die EU machen.

Nun kann Europa tatsächlich nicht Millionen von Menschen aufnehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen den afrikanischen Kontinent verlassen wollen. Europa ist aber sehr wohl stark und organisiert genug, solchen menschlichen Dramen, wie sie sich gerade auf Lesbos abspielen, vorzubeugen. Für die Härtefälle von Moria muss es nun eine humanitäre Lösung geben, die nur Aufnahme in Europa nach einem fairen Schlüssel bedeuten kann.

Langfristig muss Moria endlich der Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik werden. Jene Staaten, die etwas geben auf die europäischen Werte von Freiheit und Wohlstand, von Verantwortung und Humanität, müssen endlich Regeln für Asyl und Zuwanderung schaffen, die praxistauglich und menschlich sind. Dabei kann Europa nicht auf Polen, Ungarn und andere warten, die sich jeder Verantwortung in dieser Frage entziehen. Diese Länder sollten dann aber bei der Vergabe von EU-Subventionen spüren, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Mit dem Verschließen der Augen vor menschlicher Not wird Europa die Flüchtlingsfrage niemals lösen.

Ein Kommentar von Eva Quadbeck, Rheinische Post
 

Flüchtlingslager Moria: Symbol des Versagens

 

(...) Moria ist zum Symbol geworden für das Versagen der Europäischen Union in der Migrationspolitik, und die deutsche Politik ist Teil dieses Versagens. Seit der humanitären Anstrengung vor fünf Jahren ist der Umgang mit Flüchtlingen hierzulande kleinmütig geworden. Das war teils nachvollziehbar, weil der liberale Kurs die Gesellschaft gespalten und viele Bürgerinnen und Bürger überfordert hatte. Es war aber teilweise auch zu ängstlich, weil das Schielen auf rechtspopulistische Strömungen dazu führte, die Kraft und den Willen der weltoffenen Mehrheit zu unterschätzen. Man laviert in Deutschland seit Jahren und bringt mit dieser Haltung natürlich nichts voran in der EU, die in Flüchtlings- und Asylfragen ohnehin zerstritten und handlungsunfähig ist. Was direkt zu der Frage führt: Soll die Bundesrepublik nun auf eigene Faust helfen? (...) Auf die EU braucht man (...) nicht zu bauen. Da sollte die Antwort nicht schwer fallen.

Ein Kommentar von Thomas Fricker, Badische Zeitung
 

Moria, das ist das Symbol einer gescheiterten europäischen Flüchtlingspolitik: 12.600 Menschen lebten in einem völlig überfüllten Camp, das gerade einmal für 2800 vorgesehen ist. Sie hausten in Zelten und Holzverschlägen, die hygienischen Bedingungen waren eine Katastrophe, oft mussten Bewohner stundenlang für Essen anstehen. Internationale Beobachter zeigten sich erschüttert angesichts der Zustände. Und all das geschah mitten in Europa - weil die reiche EU mit ihren 450 Millionen Einwohnern nicht in der Lage war, ein paar Tausend Migranten zu verteilen. So wurde Moria zur moralischen Bankrotterklärung eines Kontinents.

 

Auch Deutschland trägt daran eine Mitschuld. Auch hier hatte man das Problem lange hingenommen und schlicht ignoriert. Viele Bundesländer und Kommunen hatten sich in der Vergangenheit zwar bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen - doch Horst Seehofer hatte dem stets eine Absage erteilt. Das war schon damals unverständlich. Jetzt ist seine Verweigerung schlicht zynisch. Wenn Europa - und Deutschland - es ernst meint mit seinen vielbeschworenen Werten, dann muss es die Flüchtlinge aufnehmen. Jetzt, nicht irgendwann.

 

Ein Kommentar der Rhein-Neckar-Zeitung
 

Die Katastrophe war voraussehbar. Mehr noch: Europa nahm sie billigend in Kauf. Niemand kann behaupten, er habe von den Zuständen in Moria nichts gewusst. Die griechische Regierung, die EU-Kommission und auch die Bundesregierung sind bestens informiert. Nun liegt Moria in Trümmern - und damit auch Europas sogenannte Asylpolitik. Dabei hätte bereits vor Ort wenig Hilfe viel bewirken können: Zelte, mobile Toiletten, Trinkwasseraufbereitungsanlagen und Essenspakete hätten mühelos bereitgestellt werden können. Die EU-Staaten hätten auch mehr Sachbearbeiter für Asylanträge entsenden können, wie es der EU-Türkei-Deal ja vorsieht.

Mitteldeutsche Zeitung zum Lager Moria, von Hartmut Augustin


Asylpolitik in Trümmern

 

Moria liegt in Trümmern - und damit auch Europas sogenannte Asylpolitik. Dabei hätte bereits vor Ort wenig viel bewirkt: Zelte, mobile Toiletten, Trinkwasseraufbereitungsanlagen und Essenspakete hätten mühelos bereitgestellt werden können. Angesichts des minimalen erforderlichen Aufwands, um halbwegs erträgliche Bedingungen für die Geflüchteten zu schaffen, liegt der Schluss nahe, dass Europas Regierungen nicht helfen wollten. Dass Bilder vom Elend gewollt sind, um Geflüchtete von Europa fernzuhalten. Moria ist zur Chiffre geworden für eine EU, die ihre Werte verrät. Die Verantwortlichen müssen damit rechnen, der Doppelmoral bezichtigt oder verlacht zu werden, wenn sie gegenüber Dritten auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards pochen. Die Folgen davon sind noch nicht zu ermessen. Fürs Erste geht es um Schadensbegrenzung. Deutschland und die EU müssen Helfer und Material nach Lesbos schicken.                                                            

 Frankfurter Rundschau, Ressort Politik

Asylschutz - Das Symbol Moria

Es ist einmal mehr erstaunlich, wie leicht es sich manche mit ihren Schuldzuweisungen machen. Moria ist wegen seiner unmenschlichen Zustände zwar zu Recht zum Symbol des Versagens geworden. Doch versagt haben weder "die" EU noch "die Mitgliedstaaten". Denn es gibt genügend Beispiele für Regierungen, die ein ums andere Mal Hilfesuchende aufgenommen haben, die Italien und Griechenland eben nicht hängenließen. Wer Schuldige sucht, sollte sie auch benennen: Die Kaltblütigkeit, mit der die Regierungen im Osten der Union die Flüchtlinge nutzten, um vor der Islamisierung des Abendlandes zu warnen, blockierte jede solidarische Lösung. Dort sitzen die Schuldigen.

Straubinger Tagblatt, Ressort Politik/Wirtschaft/Vermischtes

 

"Es muss endlich geholfen werden" Nach Brand in Moria:


Mit einem gemeinsamen Appell haben die Leitenden Geistlichen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) heute auf den Brand im griechischen Lager Moria reagiert. "Wir sind erschüttert über das Leid, das erneut über die schutzsuchenden Menschen gekommen ist und entsetzt, dass es der Europäischen Union trotz vielfacher Warnungen nicht gelungen ist, diese Eskalation der menschenunwürdigen Situation in dem Lager zu verhindern", heißt es in der an die deutsche Ratspräsidentschaft und den Bundesinnenminister gerichteten Erklärung der Bischöfinnen und Bischöfe. Sie setzen sich darin für eine europäische Lösung für die Verteilung der Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder ein und appellieren, die Angebote von Bundesländern und Kommunen, Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen, anzunehmen. "Mit diesem Appell wollen wir an die auf erschreckende Weise deutlich gewordene Dringlichkeit erinnern, den Geflüchteten, die in den Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, sofort und dauerhaft zu helfen", so der EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm. Eine gemeinsame Erklärung der Leitenden Geistlichen der Gliedkirchen der EKD hatte es zuletzt 2015 gegeben.

Feuer in Moria

UNICEF: „Solche Orte der Verzweiflung darf es nicht länger geben“

„Wir sind erschüttert über das Feuer im Flüchtlingslager Moria. Solche Orte der Verzweiflung wie Moria darf es nicht länger geben. Die europäischen Staaten müssen dringend handeln und den Schutz der betroffenen geflüchteten und migrierten Menschen sicherstellen. UNICEF steht bereit, um die mehr als 4.000 Kinder aus dem vom Feuer verwüsteten Lager in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Insbesondere 407 unbegleitete Kinder und Jugendliche sind jetzt in Gefahr. Zusammen mit seinen Partnern vor Ort hat UNICEF das Kinder- und Familienzentrum in der Nähe des Flüchtlingslagers in eine Notunterkunft umgewandelt. Dort können besonders schutzbedürftige Menschen wie unbegleitete Minderjährige und schwangere Frauen vorübergehend versorgt werden, bis Alternativen gefunden sind. Derzeit sind dort mehr als 150 unbegleitete Minderjährige untergebracht. UNICEF dankt den örtlichen Behörden und den Rettungsdiensten, die den Menschen seit Ausbruch des Feuers geholfen haben. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sind schnelle und sichere Maßnahmen umso dringlicher. Priorität ist es, in dieser schwierigen Situation gemeinsam mit unseren Partnern und den griechischen Behörden den Schutz der Kinder sicherzustellen. Die Ereignisse der letzten Nacht zeigen erneut: ein humaner EU-Asyl-Migrationspakt, der das Recht eines jeden Kindes auf Schutz und Hilfe garantiert, ist dringend erforderlich.“

Statement von Christian Schneider, Geschäftsführer UNICEF Deutschland

 

Nach Brand in Flüchtlingscamp Moria: Kinder in Sicherheit bringen


Nach dem verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos fordert Plan International Deutschland die Evakuierung des Camps ein. "Dabei müssen Kinder durch die Europäische Mitgliedsstaaten und Deutschland priorisiert behandelt und gemeinsam mit ihren Familien in Sicherheit gebracht werden", fordert Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan International Deutschland. Ihre Rechte sind in dem Flüchtlingslager massiv verletzt worden. In einem Zustand von Chaos und Panik wie bei diesem Feuer leiden Kinder ganz besonders. Es ist nicht abzusehen, welches Trauma die Mädchen und Jungen dadurch erleiden. Erneut wird ihnen das Recht auf Unversehrtheit, Bildung, Spiel und einen kindgerechten Alltag verwehrt - und auf eine glückliche Kindheit genommen."

Plan International setzt sich weltweit an Flüchtlingsrouten und in Deutschland für die Rechte und den Schutz von geflüchteten Mädchen und Jungen ein. In diesem Zusammenhang hat die Kinderrechtsorganisation die deutsche Regierung und die Europäische Union bereits lange zuvor ermahnt, sich an die UN-Kinderrechtskonvention zu halten.

Deutschland müsse nun die Aufnahmeanzahl an die hohe Aufnahmekapazitäten der Bundesländer anpassen, ohne Rücksicht darauf, ob andere Mitgliedsstaaten sich überhaupt oder mit einer geringeren Anzahl beteiligten, so Maike Röttger weiter. "Die Europäische Union hat sich dazu verpflichtet, bisher erreichte humanitäre Werte zu schützen. Dies funktioniert nicht, indem man restriktive Abschottungspolitik betreibt und die Augen davor verschließt, welche Konsequenzen sie für die Menschen - insbesondere für Kinder - hat. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, Menschenrechte zu verteidigen, statt sie zu beschneiden.

Insbesondere Mädchen und junge Frauen sind in dieser Situation gefährdet, Opfer von Diskriminierung, Missbrauch und Gewalt zu werden. Wir von Plan International fordern die Europäische Union daher auf, den Schutz von Mädchen und Frauen zu einem expliziten Bestandteil ihrer Unterstützung für geflüchtete Menschen zu machen."

Das Feuer im Flüchtlingslager Moria offenbare das Versagen der europäischen, aber auch deutschen Migrationspolitik. Maike Röttger: "Es wurde versäumt, die unsägliche Lage der Menschen in Moria durch eine frühzeitige Verteilung auf die EU-Mitgliedsländer kontrolliert zu verbessern. Spätestens mit der Verbreitung von Covid-19 hätte das Camp evakuiert werden müssen. Deutschland alleine hätte eine größere Rolle in der Aufnahme spielen können."

Bei dem Feuer im Flüchtlingslager Moria haben nahezu 13.000 Menschen ihre Unterkunft verloren. Das jüngste Unglück verschärft die ohnehin schon menschenunwürdige Lage der Geflüchteten, insbesondere die der Kinder und ihrer Familien, auf Lesbos. Das Camp war nicht nur maßlos überfüllt. Zuletzt waren zahlreiche Migrant:innen positiv auf das Coronavirus getestet worden.

Statement der Kinderrechtsorganisation Plan International zum Feuer auf der griechischen Insel Lesbos


Brand im Flüchtlingslager Moria


Kindernothilfe fordert: "Weitere Geflüchtete müssen aufgenommen werden. Jetzt erst recht."

Mitten in Europa auf der griechischen Insel Lesbos brennt das völlig überfüllte Flüchtlingslager Moria. "Es ist beschämend, dass Deutschland bisher erst 465 Kinder aus dieser Hölle aufgenommen hat. Sie leben seit Jahren in ständiger Angst und unter menschenrechtsverachtenden Bedingungen", so Kindernothilfe-Vorstandsmitglied Carsten Montag, "was muss noch alles passieren, damit wir in Europa endlich handeln. Es ist Zeit, jetzt erst recht."

Das Feuer verwüstete vergangene Nacht das Lager. Angaben über Verletzte und Tote gibt es bislang nicht. Die Bilder der lodernden Flammen im Camp Moria sind erschreckend. "Die Menschen, darunter viele Mädchen und Jungen, müssen endlich in Sicherheit gebracht werden", betont Carsten Montag. Täglich leiden sie unter Angst, Gewalt und der entsetzlichen Gesundheitsversorgung sowie den unmenschlichen Bedingungen. Bereits seit Jahren fordern Hilfsorganisationen wie die Kindernothilfe weltweit die Aufnahme der Geflüchteten in sichere Länder.

Vor wenigen Tagen wurden die ersten bestätigten Fälle von Covid-19 im immer noch völlig überfüllten Camp Moria bekannt. Ein Ort mit mehr als 12.000 Geflüchteten, der jedoch nur die Kapazität für 2.800 Menschen hat. Die Wut und Angst der Menschen vor Ort steigt. Sie protestieren gegen die Umstände und die nicht ausreichenden Maßnahmen zur Eindämmung des gefährlichen Virus. Die Hygienebedingungen dort sind menschenunwürdig. Mittlerweile gibt es 35 Fälle. Deshalb setzt sich die Kindernothilfe mit Partnerorganisationen in Griechenland für den Schutz von geflüchteten Kindern ein. Außerdem macht sie sich zusammen mit der National Coalition für eine verbindliche humanitäre politische Lösung zur Aufnahme der geflüchteten Kinder stark.

Als eine der größten Kinderrechtsorganisationen in Europa unterstützt die Kindernothilfe seit mehr als 60 Jahren weltweit benachteiligte Mädchen und Jungen auf ihrem Weg in ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben.

Wissing zu Moria: Beschämend, dass Bundesregierung humanitäre Gesten verhindert

Angesichts der dramatischen Lage im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos forderte der designierte Generalsekretär der FDP, Volker Wissing, dass Kommunen in Deutschland Flüchtlinge aufnehmen dürfen. "Es ist schlichtweg nicht vermittelbar, dass Kommunen, die sich in der Lage sehen, Menschen in Not zu helfen, und diese aufnehmen wollen, dies seitens des Bundes verwehrt wird", sagte Wissing der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Wissing nannte es "beschämend, wenn die Bundesregierung solche humanitären Gesten verhindert, gleichzeitig aber selbst Lösungen auf nationaler wie internationaler Ebene schuldig bleibt". "Eine Regierungspartei, die ihre Politik aus dem christlichen Menschenbild ableitet, dürfte so nicht handeln", sagte Wissing der "NOZ".

Brand in Moria: Caritas international stellt Soforthilfe bereit

50.000 Euro für materielle und psychologische Unterstützung - Kritik an EU-Flüchtlingspolitik: "Katastrophe mit Ankündigung"

Caritas international stellt für die Versorgung der nach dem Brand im Lager Moria Hilfe suchenden Migranten und Flüchtlinge 50.000 Euro Soforthilfe bereit. "Unser Partner Caritas Hellas bereitet bereits die Aufnahme und Betreuung weiterer Geflüchteter vor. Schnelle materielle und psychologische Hilfe für die Betroffenen ist jetzt entscheidend", so Oliver Müller, Leiter von Caritas international. Die griechische Caritas ist unter anderem in dem benachbarten Lager Kara Tepe aktiv.

Seit langem herrschten im Lager Moria unzumutbare Zustände für die Flüchtlinge und Migranten. Die ersten Corona-Fälle hatten die Lage nochmals verschärft. Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, hatte immer wieder auf die prekäre humanitäre Situation hingewiesen: "Der Brand ist letztendlich Ergebnis der Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die Politik hat bis heute die Augen verschlossen. Die Menschen sind trotz aller Kritik und in Kenntnis der verheerenden Zustände in Moria ihrem Schicksal überlassen worden. Das ist eine Katastrophe mit Ankündigung", so Müller. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Lager litten seit langem unter schweren psychischen Problemen.

Mit Hilfe von Caritas international, dem Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, bietet die griechische Caritas den Geflüchteten in Lesbos, Athen, Chios und Thessaloniki Rechtsberatung sowie Sprach- und Integrationskurse an, unterstützt sie bei der Suche nach Arbeit und Wohnraum, leistet psychologische und psychosoziale Hilfe und verteilt Hilfsgüter.

Moria ist eine europäische Krise, und eine Krise der Kinder

Karen Mets, Migrationsexpertin von Save the Children Europe:

"Dieses Feuer ist das Ergebnis einer unmenschlichen Politik, die Zehntausende seit fünf Jahren unter schrecklichen Bedingungen in überfüllten Lagern leben lässt. Tausende von Kindern wurden auf der Straße zurückgelassen, ohne Obdach und unter hohem Risiko von Gewalt und Ausbeutung. Unbegleitete Kinder haben das brennende Lager auf sich allein gestellt verlassen und suchen nun verzweifelt nach einem sicheren Ort, an den sie gehen können. Sie sind verängstigt, hungrig und frieren. Viele Familien haben die wenigen Habseligkeiten, die sie besaßen, verloren und haben nun keine Nahrung, kein Wasser und keinen Schutz. Die Mehrheit der betroffenen Kinder stammt aus Konfliktzonen wie Afghanistan, Syrien und Irak und hat unvorstellbares Leid erfahren. Sie kamen auf der Suche nach Sicherheit nach Europa, aber stattdessen lebten sie am Ende in Armut. Save the Children hat die Selbstverletzung und den Drogenmissbrauch dokumentiert, denen sich viele Kinder zuwenden, wenn sie jegliche Hoffnung verlieren."

Jakob Preuss, Migrations- und Rechtsexperte von Save the Children Deutschland:

"Moria ist eine europäische Krise, und es ist eine Krise der Kinder. Nicht erst seit dem Brand ist die Situation untragbar. In dem hoffnungslos überfüllten Lager leben hunderte unbegleitete Kinderunter unhygienischen Bedingungen, die ihre physische und psychische Gesundheit gefährden. Die Verteilung der Bewohner auf andere EU-Staaten hätte längst geschehen müssen. Kinder, Familien und andere hilfsbedürftige Menschen müssen unverzüglich aus diesen unhaltbaren Zuständen herausgeholt werden und menschenwürdige Unterkünfte bekommen. Die Bundesregierung muss den Ländern und Kommunen, die zur Aufnahme von Geflüchteten bereit sind, den Weg frei machen. Vor allem die Kinder brauchen eine geschützte Umgebung mit Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Schutz vor Retraumatisierung. Diese Kinder verdienen die Einhaltung der Standards, denen wir uns nach der Kinderrechtskonvention. Es ist höchste Zeit, dass wir uns daran erinnern, wer wir als Europäische Union sein wollen und eine gemeinsame Antwort finden."

Reaktion nach Feuern im griechischen Flüchtlingslager Moria

Mehrere Feuer haben in der Nacht zum Mittwoch das Aufnahmezentrum in Moria auf der griechischen Insel Lesbos zerstört. International Rescue Committee (IRC) berichtet, dass mehr als 12.000 Menschen nun auf der Insel gestrandet sind. Mindestens 35 von ihnen wurden vorher positiv auf COVID-19 getestet. Nun besteht die Gefahr, dass sich im Zuge der Evakuierungen weitere Menschen mit dem Virus infizieren könnten.

Dimitra Kalogeropoulou, IRC-Landesbeauftragte in Griechenland, sagt: „Die Ereignisse der letzten Nacht in Moria sind unvorstellbar. Tragischerweise waren sie aber vorhersehbar: Die schrecklichen Bedingungen dauern auf den griechischen Inseln schon viel zu lange an.

Inzwischen sind alle Bewohner des Lagers evakuiert worden. Offiziellen Angaben zufolge wurde niemand verletzt. Wir hören jedoch Berichte, die etwas anderes aussagen. Dazu kommt, dass diejenigen, die in Moria lebten – bereits extrem traumatisierte Menschen – nun auch noch ihr letztes Hab und Gut verloren haben.

IRC unterstützt diese Menschen u.a. mit psychosozialer Gesundheitsversorgung. Unser Team aus Psycholog*innen und Therapeut*innen steht bereit, um den vom Feuer Betroffenen zu helfen. Unser Team verteilt dabei auch überlebenswichtige Güter, darunter Schlafsäcke und Planen.

Bei allen nächsten Schritten muss immer die Sicherheit der Überlebenden berücksichtigt werden. Natürlich bleibt COVID-19 ein großes Risiko. Die Regierung hat deshalb den Ausnahmezustand ausgerufen. Es müssen nun sichere Unterkünfte eingerichtet und Corona-Massentests durchgeführt werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Es ist höchste Zeit, dass die EU-Länder mit der griechischen Regierung zusammenarbeiten, um Geflüchtete und Asylsuchende nicht nur auf das griechische Festland, sondern auch in andere EU-Länder umzusiedeln. Die Menschen auf den Inseln leben seit Jahren im Ungewissen. Der künftige EU-Pakt über Asyl und Migration bietet eine Gelegenheit, diesen Zustand zu beenden. Diese Gelegenheit darf nicht versäumt werden.“

Riexinger fordert Aufnahme von Geflüchteten aus Moria

Linken-Chef: Seehofer für Drama auf griechischer Insel "persönlich mitverantwortlich" - "Deutschland darf nicht auf europäische Lösung warten"

Nach dem Brand im griechischen Lager Moria hat Linken-Chef Bernd Riexinger die Bundesregierung zur Aufnahme der Flüchtlinge von dort aufgefordert. "Deutschland muss die Menschen aus dem zerstörten Lager in Moria jetzt schnellstmöglich aufnehmen. Die Not ist akut. Auf eine europäische Lösung zu warten ist weniger denn je eine Option", sagte Riexinger der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Wir haben es mit über 12.000 Menschen in Not zu tun. In einer Not, die die Regierungen der EU sehenden Auges geschehen ließen."

Scharfe Kritik übte der Linken-Chef an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). "Einen Teil der Verantwortung trägt auch ganz persönlich Innenminister Seehofer, der es den Bundesländern und Kommunen in Deutschland verbot, freiwillig Geflüchtete aus Moria aufzunehmen. Es ist überfällig, dass Deutschland Verantwortung übernimmt", sagte Riexinger.

Die Verantwortlichen für das Drama auf den griechischen Inseln "sitzen nicht auf Moria. Die wahren Verantwortlichen sitzen in den Hauptstädten einer EU, die dem Elend in Moria über Jahre tatenlos zugesehen hat", kritisierte der Vorsitzende der Linkspartei. Die EU habe zugesehen, als die Menschen dort auf engstem Raum zusammengepfercht worden seien, und sich geweigert, das Lager zu evakuieren, als mit Corona eine neue Gefahr für die Massenunterkunft aufgetaucht sei. "Die EU hat auch keine Konsequenzen gezogen, als Corona das Lager bereits erreicht hatte", so Riexinger.

Feuer in Moria: Flüchtlinge umgehend angemessen unterbringen!

Die Tausenden Männer, Frauen und Kinder, die sich vor den Bränden in dem Flüchtlingslager Moria retten konnten, müssen umgehend versorgt und angemessen untergebracht werden. Das fordert Ärzte der Welt nach dem verheerenden Feuer auf der griechischen Insel Lesbos.

"Das Camp war schon lange eine Schande für Europa. Eine Eskalation der Lage war angesichts der desaströsen Umstände in Moria nur eine Frage der Zeit. Die Bundesregierung und die EU müssen endlich Verantwortung übernehmen und alles dafür tun, damit die Betroffenen versorgt werden und medizinische und psychologische Hilfe bekommen. Dazu gehört, Flüchtlinge nach Deutschland und in andere europäische Länder zu bringen", sagt François de Keersmaeker, Direktor von Ärzte der Welt Deutschland.

Unter den Flüchtlingen, die versuchen, sich nach den Bränden in Sicherheit zu bringen, befinden sich offenbar mehrere Dutzend, die positiv auf das Coronavirus getestet worden sind. Es besteht die Gefahr, dass sich das Virus ungehindert ausbreitet. Viele Menschen haben durch die katastrophalen Lebensbedingungen in Moria ein geschwächtes Immunsystem und sind durch ihre Fluchterfahrung traumatisiert. Ärzte der Welt verstärkt seine Aktivitäten auf Lesbos, um die Betroffenen zu unterstützen.

2016 musste sich Ärzte der Welt aus Moria zurückziehen, als die griechische Regierung die Organisation der medizinischen Versorgung und anderer Unterstützungsleistungen übernahm. Seitdem haben sich die Zustände massiv verschlechtert. Heute bieten auf Lesbos 22 Ärzte der Welt-Mitarbeiter*innen im Kara-Tepe-Camp medizinische und psychologische Versorgung für besonders vulnerable Flüchtlinge an.

NRW-Flüchtlingsrat fordert Auflösung griechischer "Elendslager"

Nordrhein-Westfalens Flüchtlingsrat hat der schwarz-gelben Landesregierung vorgeworfen, Gelegenheiten zur humanitären Hilfe verstreichen zu lassen. "Wenn es ihr tatsächlich ernst wäre, hätte die Landesregierung längst ein eigenes Aufnahmeprogramm gestartet", sagte die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates, Birgit Naujoks, der Neuen Westfälischen (Freitagausgabe). Trotz der Corona-Pandemie "könnte diese christlich-liberale Koalition viel mehr leisten, um schutzbedürftigen Menschen zu helfen".

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) waren Anfang August auf die griechische Insel Lesbos geflogen, um sich über die Zustände in den Flüchtlingscamps zu erkundigen. Naujoks sagte jetzt, einen Ausweg sehe sie nur in der Auflösung der "Elendslager", zudem solle von dem EU-Prinzip der "Hotspots" Abstand genommen werden. "Wenig Bereitschaft signalisiert": Stamp kritisiert Seehofer

Stamp verteidigte die Flüchtlingspolitik des Landes. NRW stehe zu seiner humanitären Verpflichtung und sei weiter bereit, seinen Beitrag zu leisten, sagte der Vizeministerpräsident der Neuen Westfälischen. "Die Bundesregierung sollte den Anspruch haben, unter der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands das wilde Camp um Moria, den sogenannten Dschungel, aufzulösen." Bislang aber habe der Bund "wenig Bereitschaft signalisiert, sich in Griechenland über die laufenden Maßnahmen hinaus zu engagieren", kritisierte der FDP-Politiker.

Stamp forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erneut zu einer Videokonferenz mit den Bundesländern auf, "damit wir eine abgestimmte deutsche Position für die europäischen Hilfen für Griechenland formulieren können". Die Lage auf den griechischen Inseln sei "völlig inakzeptabel", betonte Stamp. Die Europäische Union müsse "dringend handeln - vor allem, weil sich die Situation im Winter noch einmal verschlechtern wird".

Neue Westfälische, News Desk

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

 vom 09. September 2020