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Leica Galleries Worldwide, Foto (c)
Kulturexpress |
Wie kommt ein
Deutscher dazu, im Jahr 1950 seine
Heimat zu verlassen und, nur mit
einem Koffer und einer Leica, nach
Südafrika auszuwandern? Nur eine
Frage, die das spannende Lebenswerk
von Jürgen Schadeberg aufgibt. 1931
wurde er in Berlin geboren, besuchte
ab 1946 die dortige Schule für Optik
und Phototechnik. Nach einem
Volontariat bei der dpa in Hamburg
zog er los: von Hamburg mit dem
Schiff nach Südafrika.
In Johannesburg arbeitete er als
Cheffotograf für die avancierte,
kritische Illustrierte „Drum“,
fotografierte Musiker wie Miriam
Makeba und Dorothy Masuka. Eine
aufregende Zeit für den jungen
Fotojournalisten, der bis 1964 in
Johannesburg bleibt, bevor er,
bespitzelt und verfolgt – die
Zeitschrift „Drum“ wurde verboten –
nach Europa zurückkehrt.
Schadebergs Fotografien der 50er
Jahre geben ein wunderbares Bild des
südafrikanischen Lebens: Vor allem
die Jazzszene der Zeit, Musiker wie
Abdullah Ibrahim oder Hugh Masekela,
die später zu Weltruhm kamen, hat
Schadeberg schon in ihren jungen
Jahren fotografiert. Es entstanden
Bilder wie das berühmte „Dance at
Ritz“ – in den Bars und Clubs der
Townships, im Nachtlebens des
Stadtteils Sophiatown: ein echtes
Abenteuer für einen jungen weißen
Fotografen. Schon 1951 fotografierte
er den Rechtsanwalt Nelson Mandela
und andere Protagonisten der
Anti-Apartheid-Bewegung. In seiner
Serie „Voices From The Land“ zeigte
er das Leid, die Armut und die
Entbehrungen von Landarbeitern und
Farmern.
Schadeberg schuf Porträts, die so
viel mehr sind als Darstellungen von
Personen: Es sind Bilder einer
jugendlichen Aufbruchsstimmung,
Bilder des Widerstands, Bilder der
Freiheit, wie der Journalist und
Südafrika-Kenner Robert von Lucius
einmal über die Bilder Schadebergs
geschrieben hat. „In den
1950er-Jahren sprachen wir vom
concerned photographer, dem
Fotografen, der sich um die Welt
kümmert“, erinnert sich Schadeberg.
Die berühmteste Fotografie
Schadebergs ist das 1994 entstandene
Porträt Nelson Mandelas, der am
Fenster seiner früheren Zelle auf
der Gefängnisinsel Robben Island
steht und heraus, in die Freiheit
blickt. 18 Jahre war Mandela hier
auf sechs Quadratmeter inhaftiert.
Ernst und versonnen sieht er aus,
doch, so denken wir uns, es ist
nicht nur die eigene Geschichte,
über die er sinniert. Er denkt über
die Zukunft seines Landes nach.
Die Zukunft dieses Landes, so hat es
Schadeberg schon vor einigen Jahren
formuliert, ist ungewiss: „Ich weiß
natürlich, dass es dauert, bis
gewisse Dinge überwunden sind. Aber
wenn ich auf CNN zehnmal am Tag
Reklame für das wunderschöne
Südafrika sehe, dann ärgere ich mich
doch. Die Realität ist alles andere
als schön. Fahren Sie einmal durch
Johannesburg und sehen sich die
vollgestopften Hochhäuser an, in
denen die Menschen ohne Wasser oder
Elektrizität leben. Das Bild, das
die westlichen Medien von Südafrika
zeichnen, ist doch ein
Wolkenkuckucksheim.“ Dieses Bild zu
korrigieren ist die Aufgabe der
Fotografie. Denn ihre Stärke, so
sagte der Fotograf, ist es „das zu
zeigen, was wir noch nicht gesehen
haben.“
Vor allem sind seine Bilder
Südafrikas bekannt geworden. Weniger
populär sind die Arbeiten, die in
den 1960er bis 1980er Jahren in
England entstanden sind. Jenseits
des „Swinging London“. Jenseits von
Glamour und Pop-Life: Putzfrauen,
Pub-Gänger, Kellnerinnen,
Straßenverkäufer oder
Gelegenheitsarbeiter, aber auch den
jungen Mick Jagger, Harold Pinter
oder John Lennon fotografierte er.
Stahl- und Hafenarbeiter,
Arbeitslose. Dann wieder eine
Cocktailparty mit Gästen im Smoking
oder Bilder aus einem Gefängnis und
einem Heim für Menschen mit
geistiger Behinderung. Es ist die
Vielfalt des Lebens, die Schadeberg
vor Augen führt. Und es ist ein
Spiegel der Zeit.
Einige Jahre lebte der deutsche
Fotograf in London – und es lockten
ihn die dunklen Ecken, die
Hinterhöfe, die vergammelten
Musikclubs, die alten Werften, die
suburbs. Die besten Motive
fand Schadeberg da, wo er Armut
fand. Er machte Bilder, die er zu
ihrer Entstehungszeit an kaum eine
Zeitung, an keine Zeitschrift
verkaufen konnte, denn die „concerned
photography“, die Fotografie, die
sich um den Menschen kümmert, die
hatte es schon immer schwer.
1985 kehre Jürgen Schadeberg nach
Johannesburg zurück. 2011 lebte er
wieder in Berlin, seit 2013
schließlich in La Drova in der Nähe
von Valencia, wo er jetzt im Alter
von 89 Jahren verstorben ist. Seine
Bilder bleiben, die nicht nur als
wundervoll komponierte Fotografien
überzeugen, sondern mehr noch als
Dokumente eines besonderen
Feingefühls. Der Blick Schadebergs
ist immer voller Zuneigung. Man kann
einem Fotografen kaum ein größeres
Kompliment machen.
Autor Marc
Peschke
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