Es gibt Umgebungen,
die etwas wie Glück vermitteln. Ruhe
und heitere Atmosphäre treten ein.
Wenn das mal kein Wunschtraum bleibt.
Der Gegensatz dazu ist das
gestresste Leben in der Stadt.
Gleichwohl gibt es Wohnungen und vor
allem Stadträume, die einen Menschen
erschlagen, wie Heinrich Zille
behauptete. Damit sind nicht nur Brutalismus der 1960er Jahre
gemeint, nicht nur monotone
Hochhaussiedlungen der 1970er und
1980er Jahre, nicht nur unsanierte
Plattenbauten, die einem wie kalte
Wände entgegenstrotzen. Auch
erstklassige zeitgenössische
Architektur ermüdet und stresst, wie
das im Frankfurter Europaviertel
vorkommt oder am Berliner
Hauptbahnhof und am Alexanderplatz
zu beobachten ist.
Wenn die Atmosphäre der Räume mehr
zählen würde, dann kämen Methodiken
einer heilsamen Bauweise
viel stärker zum Vorschein. Eine
Form der Inspiration geht zum Beispiel von
sakraler Architektur aus. Alexander Mitscherlich spricht in den 1960er
Jahren von der "Unwirtlichkeit
unserer Städte" (1965) und
kritisiert damit gesellschaftliche
Zusammenhänge, die ungenügend sind. Die salutogenese
Diskussion ist in vollem Gange. Salutogenese bezeichnet eine
Sichtweise auf die Medizin und ein
Rahmenkonzept, das sich dynamisch
auf die Entstehung und Erhaltung
von Gesundheit bezieht. Auf
Architektur bezogen, sollte eine
solche Bauweise immer anstrebenswert
sein.
Insgesamt ist der Band aus dem
transcript Verlag sehr theoretisch
und intuitiv aufgezogen, wobei
konkrete bauliche Beispiele abstrakt
bleiben und nicht an exponierter
Stelle aufgeführt werden, so dass
die theoretisch-intuitiv bestimmte
Herangehensweise alleinige Grundlage
zum Verständnis im weiteren Umgang
mit diesem Buch bildet. Das mag
sinnvoll sein, lässt jedoch die
Beispiele vermissen mit denen vor
Ort argumentiert werden kann.
Natürlich ist viel Grün im Spiel,
ein wenig entsteht der Eindruck, als
sei hierbei ein gewisser Trend zu
mehr Natur vorgegeben, welche
politischen Interessen damit
verknüpft sind, bleibt offen. Was an
Wahrheitskern davon übrig bleibt für
die Praxis, müsste hinterfragt
werden. Dennoch bietet "Heilsame
Architektur" interessante Einblicke
in ein Tätigkeitsfeld der
Architektur, welches durchaus
seine Berechtigung gefunden hat und
als soziales Engagement im Dienste
der Gesellschaft eingesetzt werden
kann. Eine andere Herausforderung ist
die Kostenfrage an gesundheitlich
orientierter Bauweise, wie das immer
ist, wenn Luxusbedürfnisse und
anspruchsvolle Themen Eingang finden
sollen in das gerade zur Verfügung
stehende Budget eines Bauvorhabens.
Darauf nimmt der vorliegende Band
jedoch nur wenig Bezug. Subjektive
Einflüsse, die nicht von der
Ökonomie einer Sache bestimmt
bleiben, werden bei Bauingenieuren
verständlicherweise gern missachtet.
Ein anderes Klientel sind
öffentliche Einrichtungen und deren
Pflicht Maßstäbe zu setzen, um
bauliche Standards einzuhalten und
damit die Einhaltung positiver
Grundbedingungen zu schaffen.
Die beiden Autoren Katharina
Brichetti und Franz Mechsner
verbinden "Heilsame Architektur" mit
Bereichen aus Architekturpsychologie,
Neurobiologie und phänomenologische
Raumforschung, um
aufzuzeigen, was eine
gesundheitsfördernde Bauweise und
deren Raumgestaltung beim Menschen
bewirken können. Die
Unterüberschrift im Buchtitel betont
drei Aspekte:
Erleben, Verstehen und Entwerfen.
Als gesundheitlich vorbildhaftes
Bauprojekt zählt "Maggie's Centre"
in Großbritannien. Ein Projekt das
mehr oder weniger auf modernem
Mäzenatentum beruht. Die Anfangsidee
war ein Fensterblick ins Grüne.
Entstanden ist ein heilsamer Ort, an
dem sich auch Krebspatienten
wohlfühlen sollen. Zu den
Architekten von "Maggie's Centre"
Dundee, Schottland, zählt Frank
Gehry.
Zum Aufbau des Buches:
Die Kapitel bilden
eine durchdachte Sequenz, können
aber auch einzeln gelesen werden:
Kapitel 1
bietet erste Einführung
in das Thema "Heilsame Architektur".
Wie wirkt sich Architektur auf unser
Befinden aus? Wie kann Gestaltung
heilsam sein?
Kapitel 2:
Sakrale Architektur kann
förderlich sein. Wie eine wohltuende
Gestaltung, die Ruhe, Besinnung und
Reflexion fördert.
Kapitel 3:
wissenschaftliche Studien sind
nützlich, aber auch Auffassungsgabe
und Phantasie zahlen sich aus,
besonders wenn sie sich aus eigenem
Erleben sowie aus Ergebnissen der
philosophischen Phänomenologie
ergibt.
Kapitel 4:
Der Körpersinn ist nicht
nur für das Empfinden des eigenen
Körpers wesentlich, sondern auch für
die Raumwahrnehmung. Fühlen,
Wahrnehmen und Denken werden von
einem leiblich-räumlichen Erleben
bestimmt. Leibliche Resonanzen
wirken sich in architektonischen
Innenräumen, Stadträumen und sogar
in Landschaftsräumen aus. Sie sind
mit verantwortlich dafür, dass Räume
negative und positive Gefühle
auslösen können. Ein weiteres
Charakteristikum des Erlebens ist,
dass Wahrnehmung, Denken und Tun
genuin synästhetisch verfasst sind.
Kapitel 5:
"Embodied Mind"
postuliert die Idee, dass
Wahrnehmung, Denken und Tun auf
elementaren Schemata leiblichen
Erlebens beruht. Mit diesem Konzept
lässt sich prinzipiell verstehen,
wieso steinerne Gebilde wie eine
Kathedrale geistige Inhalte
verkörpern können.
Kapitel 6
und 7: Mit der
Einbeziehung von Natur und biophiler
Architektur ergeben sich vielfältige
Möglichkeiten, eine angenehme und
harmonische Umwelt zu schaffen und
Stressfaktoren einzudämmen.
Kapitel 8:
Es werden die
grundlegenden Zusammenhänge zwischen
körperlichem Erleben und Stress
sowie Wohlbefinden dargestellt und
anhand von Studien belegt. Das
Wissen um diese Zusammenhänge und
ihre Berücksichtigung ist wichtig
bei der Gestaltung
menschenfreundlicher Umgebungen.
Kapitel 9:
Wenn die fernöstliche
Lehre Feng-Shui zur Harmonisierung
von Mensch und Umgebung beiträgt und
von esoterischen Fragwürdigkeiten
und kulturellen Spezifika befreit,
lassen sich aus ihr wertvolle
Inspirationen und solide, im
leiblich-räumlichen Spüren
verankerte Anleitungen für heilsame
Architektur gewinnen.
Kapitel 10:
Vielen gestalterischen
Faktoren, die bereits bei »normalen«
Gebäudetypen wichtig sind, kommt bei
Krankenhausbauten eine noch größere
gesundheitliche Bedeutung zu: Kranke
Menschen empfinden die Wirkung der
Umgebung intensiver als gesunde.
Auch kann angenehmes Design Heilung
fördern. Vorgestellt werden Themen
wie das Patientenzimmer der Zukunft,
eine menschenfreundlichere
Intensivstation, das demenzsensible
Krankenhaus und der therapeutische
Garten.
Kapitel 11:
"Spiritual Care", ist eine neue
Seelsorgekonzeption und
wissenschaftliche Disziplin, die
versucht Spiritualität und
Religiosität als wesentliches
Bedürfnis − auch kirchenferner bzw.
nichtchristlicher − Patienten in
Krankenhäusern und
Palliativstationen aufzufassen und
zu erforschen.
Kapitel 12:
Zum Thema
Gesundheitsbauten werden am Ende
eine Checkliste "Design als
Therapie" vorgestelt, die
unterschiedliche Bedürfnisse und
Befindlichkeiten der Patienten
konkret erfasst und zeigt, wie diese
auch architektonisch umgesetzt
werden können.
Kapitel 13:
Soziale
Umweltgerechtigkeit wird am Beispiel
der Stadt Berlin exemplarisch
diskutiert. Anhand von Karten zur
sozialen Umweltgerechtigkeit zeigt
sich, wie gravierend Belastungen in
großen Bereichen Berlins sind und
wie notwendig gestalterische
Veränderungen sind. Hieraus ergeben
sich auch Anregungen für andere
Städte.
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Heilsame Architektur
Raumqualitäten erleben, verstehen
und entwerfen
(Hrsg. ) Katharina Brichetti und
Franz Mechsner
transcript Verlag, Bielefeld
1. Auflage, 2019
Softcover, 288 Seiten
Größe: 15.2 x 2.2 x 22.6 cm
ISBN: 978-3837645033