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"Wir denken sehr gerne in Bildern" -
Was Storytelling in unserem Gehirn
bewirkt
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Geschichten bleiben in unserem
Gedächtnis hängen. Viel eher, als es
bloße Fakten tun. Das wissen auch
die Storyteller in Unternehmen. Doch
warum ist das eigentlich so? Der
Neurobiologe Gerald Hüther erklärt
im TREIBSTOFF-Interview, was
Geschichten in unserem Gehirn
auslösen. Und was sie mit
Selbstvertrauen und Stabilität zu
tun haben.
TREIBSTOFF:
Weshalb funktionieren Geschichten
aus neurobiologischer Sicht so
effektiv als "Transportmittel" für
die Vermittlung von Ideen und
Fakten?
HÜTHER:
Weil es im Gehirn immer auf
Verknüpfungen ankommt und weil bei
allen Lernprozessen solche
neuronalen Verschaltungsmuster
aufgebaut und gefestigt werden. Je
stärker das Gehirn Dinge an bereits
Vorhandenes an- und miteinander
verknüpfen kann, desto leichter
gelingt es ihm, sich etwas zu
merken. Die schönste Form, sich
etwas zu merken ist, es in Bildern
auszudrücken. Wir denken sehr gerne
in Bildern, denn sie sind nicht nur
kognitiv sondern auch emotional
reichhaltiger. Und die sprachliche
Entsprechung eines Bildes ist die
Erzählung und die Geschichte.
Deshalb erzählen wir uns auch so
gerne Geschichten - in Wirklichkeit
helfen wir uns damit gegenseitig
dabei, Bilder in unserem Hirn zu
erzeugen.
TREIBSTOFF:
Wie kann man sich vorstellen, was
dabei im Gehirn vor sich geht?
HÜTHER:
Wie
funktionieren Geschichten im Gehirn
im Gegensatz zu nackten Daten,
Zahlen, etc.? Vielleicht sitzen wir
alle dem Trugschluss auf, wir
könnten etwas völlig Neues lernen.
Tatsächlich können wir aber Neues
nur lernen, indem wir es an etwas
anhängen, was schon da ist. Je mehr
Anknüpfungsoptionen es gibt - wenn
das Neue also nicht nur über einen
einzelnen sensorischen Kanal
aufgenommen wird, sondern
gleichzeitig zu riechen, schmecken,
sehen, hören und fühlen ist - desto
besser lässt es sich im Hirn
einfügen und anknüpfen. Ähnlich geht
es uns mit Geschichten. Reine
Information ist nur limitiert
anknüpfbar. Wenn Sie sie aber in
eine Geschichte verpacken, liefern
Sie in deren Rahmen viele
Anknüpfungspunkte an bereits
vorhandene Gedächtnisinhalte. So
kann man die Geschichte besser im
Gedächtnis abspeichern und daraus
dann die entscheidenden Aussagen
ableiten. Dazu kommt: Jeder
Lernprozess wird von Emotionen
begleitet, bei der nackten
Vermittlung von Fakten werden diese
emotionalen Bereiche nicht
angesprochen.
TREIBSTOFF:
Kommt
es also darauf an, Emotion
anzusprechen anstelle der
Rationalität?
HÜTHER:
Alles, was unter die Haut geht, wird
zwangsläufig besser abgespeichert.
Das hängt damit zusammen, dass dabei
neuroplastische Botenstoffe
ausgeschüttet werden, die die
Herausbildung von neuen Vernetzungen
begünstigen.
TREIBSTOFF:
Jede gute Geschichte, so heißt es,
braucht einen Protagonisten als
Identifikationsfigur für den
Rezipienten. Warum ist das so
wichtig?
HÜTHER:
Die
Geschichte muss emotional aufgeladen
werden, und das geht am besten,
indem man sie an eine Person bindet.
TREIBSTOFF:
Begreift das Gehirn also die
Erfahrungen einer Hauptperson wie
eigene Erfahrungen?
HÜTHER:
Jeder
Lernprozess wird von einem Subjekt
organisiert - ich bin immer der
Gestalter meines eigenen
Lernprozesses. Und ich kann auch nur
das lernen, was ich selbst in meinem
Gehirn gestalte. Deshalb muss ich
mich beim Lernen unbedingt als
Subjekt fühlen und erleben und darf
auf keinen Fall in eine Situation
gebracht werden, in der ich das
Objekt von Belehrungen, Erwartungen
oder Vorstellungen bin. Als Zuhörer
einer Erzählung bin ich immer
Subjekt, weil ich die Erzählung
rezipiere, mir meine Gedanken dazu
mache und sie an meine subjektiven
Vorstellungen anbinde. Auch deshalb
kann man sich viel mehr merken - man
hat es ja selbst konstruiert.
TREIBSTOFF:
Aufmerksamkeit ist eine sehr
begrenzte Ressource - wie kann man
sie am besten erwecken?
HÜTHER:
Rein
hirntechnisch muss man die Dinge
bunter, schneller und lauter machen
und sie stärker an existenzielle
Fragen heranführen. Es muss also
geschossen werden, es muss
lebensgefährlich werden, es muss
sexuell werden. Das sind die
üblichen Methoden, mit denen man
Aufmerksamkeit erheischt. Kann man
das Gehirn so auch überfordern,
beispielsweise indem man immer
weiter an den Stellschrauben "laut"
und "bunt" dreht? Tatsächlich
erleben wir im Augenblick, dass das
ständige Drehen an diesen
Stellschrauben die Menschen immer
gleichgültiger macht. Je stärker Sie
versuchen, Aufmerksamkeit
herzustellen, desto größer wird die
Wahrscheinlichkeit, dass die
Rezipienten nicht mehr zuhören.
TREIBSTOFF:
Zurück zur Substanz also?
HÜTHER:
Man
muss die Menschen wieder in ihrer
Subjekthaftigkeit ansprechen und
sollte sie nicht so sehr mit
Massenmedien und
aufmerksamkeitsheischenden
Strategien überfahren. Mit dem
Storytelling ist man da relativ gut
beraten, weil das Erzählen einer
Geschichte immer zum Subjekt führt.
Es können zwar 100 Leute dieselbe
Geschichte hören und trotzdem macht
sich jeder daraus seine eigene
Geschichte. Das ist etwas anderes,
als wenn 100 Leute dieselbe Reklame
sehen, in der eine Frau auf der
Kühlerhaube eines bunten Autos
sitzt. Dabei haben alle mehr oder
weniger dieselben Bilder im Kopf.
TREIBSTOFF:
Können sich Geschichten abnutzen?
HÜTHER:
Nicht
unbedingt. Wir wissen ja
beispielsweise, dass Kinder nichts
lieber haben, als immer wieder
dieselben Geschichten zu hören.
Daran dürfen Sie sogar gar nichts
ändern, sonst beschweren sie sich.
Für Kinder haben Geschichten nämlich
noch eine Zusatzfunktion: Sie
vermitteln ihnen Stabilität und
Selbstvertrauen. So geht es uns
Erwachsenen übrigens auch: Die ganz
bedeutenden Geschichten, die wir im
Leben irgendwann einmal gelesen oder
gehört haben, lesen oder hören wir
ja auch nach 20 oder 30 Jahren immer
noch gerne auf die gleiche Weise
wieder. Das hat etwas mit
Selbstbestätigung und
Selbstvergewisserung zu tun.
Das Interview erschien ursprünglich
im TREIBSTOFF Whitepaper "Storytelling
- Wie Unternehmen heute erfolgreich
Geschichten erzählen".
Was ist TREIBSTOFF?
TREIBSTOFF ist das Blog der
dpa-Tochter news aktuell. Es geht
dort um die Themen Kommunikation,
Pressearbeit und Social Media. Und
manchmal auch um news aktuell
selbst. Welche Trends, welche Apps,
welche Themen bewegen
Kommunikationsfachleute heute? Wie
sieht unser Arbeitstag aus? Was ist
wichtig für die Karriere? Best
Practice, Interviews und
Gastbeiträge warten auf PR-Profis
und Pressesprecher. Ein Mal pro
Quartal gibt es TREIBSTOFF auch als
gedrucktes Magazin.
Meldung: news aktuell
GmbH (01.03.2017)
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