Wohnungsbau-Ausstellung

Ausstellungsprojekt zur 'Neuen Heimat' (1950 - 1982) im DAM

 

 

   

Wie ein förmlicher Antrag der unversehens auf dem Tisch der Museumskultur gelandet ist, erscheint das Projekt um das ehemalige Wohnungsbauunternehmen 'Neue Heimat'. Jemand wird dringend gebraucht, um sich bei der Aufarbeitung an den verschollenen Unterlagen zu bedienen, was mit der Unterüberschrift "Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten" betitelt ist. Dabei will niemand mehr etwas wissen von den alten Sachen. Die Zeiten sind vorbei, in der zwanghafte Strukturmaßnahmen zur baulichen Expansion mit der Hybris eines "Weißen Riesen" das Sagen gehabt haben. Die Abkehr von Brutalismus und dem 'Mauerbau' stehen mit dieser baugeschichtlichen Vergangenheit in einer Reihe. Wenn 'Neue Heimat' auch synonym für misslungene westdeutsche Wohnungspolitik stehen geblieben ist. Und obwohl auch gerade jetzt schon wieder der Ruf nach neuen "Masterplänen" laut geworden ist, um die Situation in den Griff zu bekommen.

 

Es ist schon prekär, was das Land durchmachen muss. Erst die Flüchtlingskrise, die Staat und Gesellschaft malträtieren und jetzt auch noch die Corona-Krise, einer global bedrohlichen Naturkatastrophe, die viele bis an die Grenzen der Zahlungsunfähigkeit treibt und vor dem existentiellen Aus stehen lässt  -  was ein Virus auslösen kann, ist erstaunlich. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse fällt flach, da im medizinisch wissenschaftlichen Bereich nicht mehr der gesunde Menschenverstand zählt, sondern die auferlegte Sorgfaltspflicht oberstes Gebot ist. Eine Form der Staatsräson macht sich damit breit. Ähnlich verhält es sich mit Radioaktivität, die genauso unsichtbar ist wie das Virus, das sich kaum vom herkömmlichen aber sonst ungefährlichen Grippevirus so sehr unterscheidet. Da kann auch keine "Neue Heimat" mehr einspringen, um Vorbild für den aktuellen Wohnungsbau im Großformat zu sein. Eine gesamtgesellschaftliche Wandlung ist erforderlich, wobei niemand zu kurz kommen darf auch nicht die Verweigerer.        

 

   

Die "Neue Heimat" war gewerkschaftlich organisiert, was von vornherein die Gruppe der Werktätigen und somit gewerkschaftlich Organisierten bevorzugt  -  auch nicht mehr ganz zeitgemäß. 'Neue Heimat' war ein Gigant unter den Wohnungsbaugesellschaften. Von solchen Gesellschaften gibt es viele, wenn auch nicht so gigantisch, und allesamt werfen ein recht betrübliches Licht auf die bundesrepublikanische Wohnkultur. Manche sind gemeinnützig, andere gewerkschaftlich oder genossenschaftlich organisiert. Diese oberbegrifflichen Überbauten sind vielfältig. Ziel ist, Wohnraum für viele zu schaffen. Doch werden an allen Ecken und Enden Abstriche gemacht. Denn ein Mehrfamilienwohnhaus ist nicht einfach mit einem Bauernhof vergleichbar. Bauernhöfe bilden einen funktionalen Organismus, der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln und die meisten Dinge des täglichen Bedarfs beinhaltet. Der städtisch geprägte Wohnungsbau dagegen stammt aus der Retorte, um möglichst effektiv und ökonomisch verordneten Bebauungsplänen zu folgen.    

 

Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum läuft zwar,  wurde aber aufgrund der aktuellen Corona-Krise gleich wieder geschlossen, wie das gesamte Museum vorübergehend für die Öffentlichkeit geschlossen bleibt. Dies gilt auch für Veranstaltungen bis vorerst 19. April 2020. Die Presseveranstaltung fand vor Ausstellungseröffnung am 12. März 2020 noch mit Publikum statt. Laufzeit der Ausstellung bis 11. Oktober 2020.
 

 

Auslöser für den Untergang der "Neuen Heimat" zu Anfang der 1980er Jahre war ein Korruptions-Skandal um den Unternehmensmanager Albert Vietor. Offensichtlich fehlt Städten und Kommunen aber ein vergleichbares Instrument, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und rasch umzusetzen. Wahr ist, die "Neue Heimat" wird von den Folgen des Untergangs für immer überschattet bleiben. Wenn sich deren Erkenntnisse auch auf gegenwärtige Fragestellungen bei Großraumprojekten im Wohnungsbau begrenzt ableiten lassen. Niemand will die "Neue Heimat" mehr haben, sie ist zu einem Relikt aus der Nachkriegszeit degradiert, in einer Zeit als Wohnraumbeschaffung noch zu purem Wohlstand führte. Heutzutage zählen andere Werte und vor allem Mobilität und damit verknüpfte Anforderungen an urbane Konzepte, die auch in der breiten Region Ausdehnung finden sollen. Dazu gehört ein ausgebautes Radwegenetz ebenso wie die erschlossene Elektromobilität für alle. Aber auch die Möglichkeit zum Homeoffice müsste strategisch gewährleistet sein. Das kann mit der Kopflastigkeit veralteter Strukturen absolut nicht mehr bewältigt werden.

Noch immer werden die Wohnungen der 'Neuen Heimat' bewohnt, allerdings unter anderem Namen und mit anderen Eigentümern. Denn Wohnungsbau ist ein Langzeitgeschäft. Es stellt sich die Frage, wie Bestand sinnvoll weiter genutzt und zu seinem Vorteil saniert werden kann? Dafür gibt es viele Ansätze, die mit Kosten verbunden sind. Forderungen nach Wohnraumbeschaffung durch die Bauindustrie sind hoch. Das Architekturmuseum der TU München kann die jahrzehntelange Geschichte der 'Neuen Heimat' mit politischen, ökonomischen, zeitgeschichtlichen sowie sozialen Aspekten und Hintergründen nicht aufarbeiten, gibt das Architekturmuseum von sich aus ganz offen zu. Was mit der Ausstellung und dem zugehörigen Projekt erreicht werden soll, ist eine neue Aufmerksamkeit für die Leistungen aber auch Fehlentwicklungen der 'Neuen Heimat' zu schaffen.

Am 12. März mit Fachpublikum vor dem Präsentationsmodell Neuperlach bei München, das Großbauprojekt der 'Neuen Heimat' wurde nie fertiggestellt.

 

Die Ausstellung schöpft neben dem Archiv der Hamburgischen Architektenkammer auch aus einer Vielzahl an Originalplänen, Fotos und Modellen aus dem Archiv des Architekturmuseums der TU München. Dazu zählt das große Präsentationsmodell Neuperlach. Schon 2008 hatte Peter Kramper in einer Untersuchung der Wirtschaftgeschichte auf Grundlage der "Neuen Heimat" eine Arbeit erstellt und damit die zentrale Basis für weitere Forschungen geschaffen. Michael Mönninger hat die Monatshefte der Neuen Heimat in einer Studie analysiert. Andreas Hild und Andreas Müsseler haben in einer Publikation die Siedlung Neuperlach gewürdigt.
 

 

Pappmodell (Detail), Kassel Documenta Urbana, Bauzeit 1978 - 1982

 

 

Es ist wie mit dem römischen Reich, das ist auch untergegangen. Dieser Untergang war wichtig für die Entwicklung in das glorreiche und genauso grausam erscheinende Mittelalter. Dennoch sind bis in die Gegenwart die Auswirkungen der römischen Geschichte zu spüren und niemand stört sich daran. Das hat also etwas mit Dominanz der Mächtigen und dem Gewohnheitsverhalten der Bevölkerung zu tun. Um Probleme zu lösen, müssen immer wieder neue Ansätze gefunden werden. Rückgriffe auf veraltete Strukturen zahlen sich nicht aus, sie sind überholt.

 

Die laufende Debatte um den Wohnungsnotstand braucht sicherlich Impulse und Durchsetzungswillen, das sollte aber auf einer neuen Grundlage geschehen. Fundamentale gesellschaftliche Veränderungen erfordern eine völlig neue Herangehensweise. Es geht nicht mehr nur um die Befriedung gesellschaftlicher Bedürfnisse nach Wohnraum, sondern um die Vielfalt der Möglichkeiten. Zugleich darf die eigene Identität nicht verloren gehen.

 

Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Architekturmuseum der TUM und dem Hamburgischen Architekturarchiv. Kuratoren der Ausstellung sind Hilde Strobl und Jonas Malzahn. Die Ausstellung war zuvor schon an mehreren Stationen zu sehen. Zwei verschiedene Kataloge sind erhältlich. Zum einen der kartonierte Band "Die Neue Heimat (1950 - 1982) Eine Sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten" aus der Reihe Edition Detail und zum anderen die Publikation: "neue heimat. Das Gesicht der Bundesrepublik. Bauten und Projekte 1947 - 1985" aus der Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, Band 38, Umfang 808 Seiten, herausgegeben von Ulrich Schwarz, erschienen im Dölling u. Galitz Verlag, 1. Auflage, 2019, Größe: 23,5 x 28,7 x 6 cm, ISBN: 978-3862181124

Eine Ausstellungsrezension von Kulturexpress

  Foto (c) Kulturexpress

 

DIE NEUE HEIMAT (1950-1982) – EINE SOZIALDEMOKRATISCHE UTOPIE UND IHRE BAUTEN
Herausgegeben von Andres Lepik und Hilde Strobl
Edition DETAIL, Berlin
1. Auflage, 2019
Kartoniert, 236 Seiten mit 235 Abb.
ISBN 978-3-95553-476-9

 

 

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Kulturexpress ISSN 1862-1996

  vom 05. April 2020