Vorlesung: Adornos Briefwechsel mit
Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld |
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Gefüllter Saal vor Beginn
der Vorlesung am 16. Januar im Dante 9 |
In den
Jahren 1955 - 69 vom Hessischen
Rundfunk aufgezeichnete Fragen, die
Theodor W. Adorno zur Aufarbeitung
der Vergangenheit aufstellte und
mit: 'Aspekte des neuen
Rechtsradikalismus' zugleich auch
beantwortete, schmücken die Wände
des Entrées in der Dantestraße 9 in
Frankfurt am Main. An diesem Ort
befindet sich das Theodor W. Adorno
Universitätsarchiv. Seit 26.
November 2019 läuft in den Räumen
eine Ausstellung
zum 50.
Todestag Adornos.
Zudem wird daran erinnert, dass seit
100 Jahren Soziologie als
Wissenschaft anerkannt ist und
seither an Universitäten gelehrt
wird.
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Auf dem Foto Wolfgang Schopf
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Wolfgang Schopf, tätig am
Literaturarchiv der
Goethe-Universität, hatte am 16.
Januar 2020 abends zur 'Hauslesung'
einer Adorno-Vorlesung eingeladen
und benannte sie: 'So müsste ich
ein Engel und kein Autor sein',
indem er Briefwechsel zwischen
Adorno, Peter Suhrkamp und Siegfried
Unseld aus den Archiven aufnahm,
behandelte und in einem
verständlichen Zusammenhang einem
Publikum präsentierte. Die zitierten
Passagen waren nicht ohne Ironie zu
hören. Das Publikum bekam einiges
zum Schmunzeln. Nachdenklich waren
die Äußerungen allemal. Wolfgang
Schopf sprach einleitende Worte und
erklärte, dass bald 1600 Bände der
edition Suhrkamp im
Universitätsarchiv in der
Dantestraße 9 aufgestellt werden.
Das wird ein farbenfroher Schmuck.
Schopf war Lektor und Berater und am
Aufbau des Archivs der Peter
Suhrkamp Stiftung an der
Goethe-Universität aus den Beständen
der Verlage Suhrkamp und Insel in
den Jahren 2000 - 2010 beteiligt.
Schopf hat aufgrund seiner Arbeiten
den Dr. h.c. erworben, wie er am
Abend einräumte. Lesungen aus den
Beständen des Suhrkamp Archivs
laufen schon seit mehreren Jahren,
meist handelt es sich um
Brief-Rezitationen zwischen Autoren
oder Autoren und Verleger. Adorno
hatte seine Wohnung im Kettenhofweg,
später wohnte er in der
Liebigstraße. Er schrieb in den
Nachkriegsjahren in Briefen an
Suhrkamp nach Berlin. Dieser
Briefwechsel beginnt mit einer
Posse. 1950
bekam er dann die Vollmacht für das Buch
mit Hanns Eisler, wohinein von
Adorno viel Zeit
und Aufwand investiert wurde. Der
Vertragsentwurf für die 'Minimalia
Memoria' wurde konzipiert, eines
seiner
Schlüsselwerke, wozu am 06. Februar
ein zweitesmal zur 'Hauslesung' eingeladen wurde.
Die Beschäftigung mit Walter
Benjamin war bereits 2005 Gegenstand
einer Lesung. Was schließlich mit
den Ausführungen zu Adornos
'Negativer Dialektik' (1966) enden
sollte. Kierkegaard, Musiksoziologie
waren weitere Stichworte die fielen,
zur Sprache kam die Beschäftigung
mit der Hegelschen Philosophie.
Im Vorspann zur 'Hauslesung' am
16. Januar waren folgende Worte
gewählt worden: Nichts deutet
bei Adornos Rückkehr aus dem
Exil 1949 auf ein Gelingen des
Versuchs hin, in
Nachkriegsdeutschland
tatsächlich anzukommen. Im Jahr
darauf geht auch Peter Suhrkamp
mit der Verlagsgründung ein
Wagnis ein. Dabei schließt der
vom Konzentrationslager
Gezeichnete mit dem auf andere
Art Verletzten einen Pakt.
Adorno vergißt ihm das nicht:
»Aber das einzige, woran ich
wirklich Freude habe, ist eben
doch die Herstellung ›heiliger
Texte‹. Wenn diese Texte
allmählich anfangen, ein
gewisses Eigengewicht
anzunehmen, so weiß niemand
besser als ich, wieviel dieses
scheinbaren Eigengewichts Ihnen,
Ihrer Solidarität und
Freundschaft zu verdanken ist.«
Die Durchsetzung eines Autors in
der Öffentlichkeit wie die
Arbeit an diesen Texten steht im
Mittelpunkt der 500 Briefe von
1950 bis 1969, jenem Zeitraum,
in dem die Kritische Theorie wie
der Verlag sich gegen das
Etablierte etablieren. In seiner
Rede zum 60. Geburtstag von
Adorno zieht Siegfried Unseld
eine vorläufige Bilanz: »… er
ist dem Schicksal der Autoren
mit Anfangsbuchstaben A
entgangen, die links und hoch
oben im Regal der Buchhandlungen
ein unberührtes, weil nur durch
eine Leiter erreichbares
Schlummerdasein führen. Er
gewann in manch einer
Buchhandlung eine eigene
Abteilung, die sichtbar in
Augenhöhe aufgestellt ist.« Und
Adorno resümiert in seinem
letzten Brief an den Verleger:
»… welche Bewunderung ich hege
für das, was Sie in diesen zehn
Jahren, mit wahrhaft
unerschöpflicher Kraft, getan
haben, und wie stolz ich darauf
bin, daß ich einen Sektor dieses
Umkreises einnehme.« Zudem
dokumentiert der Briefwechsel
die Publikation eines weiteren
Teils des Fluchtgepäcks der
Emigration: der Schriften von
Walter Benjamin.
Erwähnenswert ist vielleicht die
Tatsache, dass am gleichen Abend nur
etwas vorher und ein paar Straßen
weiter in der Eingangshalle der
Universitätsbibliothek ein Vortrag
zum Thema: 'Schopenhauers
Frankfurt – eine Stadt im Spiegel
seiner Philosophie' stattfand.
Arthur Schopenhauer hatte sich 1833
in Frankfurt am Main niedergelassen,
die Wahl des Wohnortes war für ihn
äußerst wichtig. Denn Modernität,
Internationalität, die Freiheit
großstädtischen Lebens und vor allem
eine Vielzahl
naturwissenschaftlicher
Institutionen, die er für die
Fortführung seiner philosophischen
Arbeit benötigte, benannte der
Philosoph als die Vorzüge der Stadt.
Doch zurück zu Adorno und die Räumlichkeiten im Parterre der
Dantestraße 9, die nicht übermäßig ausgedehnt
sind. Im großen Lesezimmer
wird sichtbar, woher die Ausstellung
ihren Namen hat. Der
Fraktur-Schriftzug auf der
Einladungskarte 'Soziologie als
Wissenschaft' bezeichnet die Anfänge
der drei Kapitel des gleichnamigen
Buchs von 1922. Zudem zeigt sich
seine soziologische Arbeit in der
Frankfurter Zeitung: in Schreiben
über Soziologie und in
soziologischem Journalismus. Das
letzte Stück über den ausgebrannten
Reichstag erschien am 2. März 1933,
dem Tag der Ankunft Kracauers in
Paris, womit zur Phase des Exils des
Instituts für Sozialforschung
übergeleitet wurde, dem Kracauer
niemals angehörte.
Mit den Studien über Autorität und
Familie, dem Antisemitismus-Projekt
und den Studies in Prejudice beginnt
das Institut mit der Sammlung und
Auswertung von Daten, die zur
Erklärung des Faschismus in Echtzeit
beitragen werden. Historische
Skizzen dazu zeigen die
programmatische Orientierung des
Unternehmens. Lange blieb eine
parallele Studie apokryph,
Totalitäre Propaganda von Kracauer,
durch Adorno an das Institut
vermittelt und dort von Adorno
selbst mit einem vernichtenden
Gutachten belegt. Vorhanden ist das
Manuskript des Exposées aus
Kracauers Nachlass.
Die Rückkehr des Instituts nach
Frankfurt wird in einem Fotoalbum
zur Einweihung des Instituts für
Sozialforschung im Haus an der
Senckenberganlage, 14. November
1951, und zur Übernahme des
Rektorats der Johann Wolfgang
Goethe-Universität durch Max
Horkheimer am 20. November 1951
abgebildet.
Erste Bilanz des Neubeginns in
Frankfurt ziehen Theodor W. Adorno
und Walter Dirks 1955 mit
Sociologica. Aufsätze sind Max
Horkheimer zum sechzigsten
Geburtstag gewidmet. Gezeigt werden
die redigierten ersten Seiten der
Manuskripte von Löwenthal, Marcuse,
Pollock, Tillich und anderen.
1957 wenden Jürgen Habermas, Ludwig
von Friedeburg, Christoph Oehler und
Friedrich Weltz die Erhebungstechnik
des freien Interviews am Corpus der
Frankfurter Studierenden an, 1961
erscheint die Studie 'Student und
Politik'. Im Archiv sind die
Fragebögen mit Adornos Vorschlägen
erhalten
geblieben. Mündet in 'Winter of
Love', einem Film von Alexander
Kluge mit Aufnahmen von der Johann
Wolfgang Goethe-Universität aus dem
Wintersemester 1968/69, was bereits
zur Buchmesse 2018 aufgeführt wurde.
In den Hauptrollen zu sehen sind
Adorno, Habermas und die Studenten.
Der Film kehrt als Dauerinstallation
in der Ausstellung nach Frankfurt
zurück.
Im Biedermeier-Salon sind einige
Gemmen ausgestellt, die aus der
Bekanntschaft zwischen Adorno und
Kracauer herrühren. Sie werden durch
Alexander Kluges filmische
Inszenierung mit zwei
musikalischen Kompositionen Adornos
begleitet.
Etwa 200 Titel von soziologischen
Vorlesungen und Seminaren aus den
Jahren 1919 bis 1969 werden zu einem
Mosaik montiert, das in der
Originaltypographie und
Papierstruktur der
Vorlesungsverzeichnisse die
Entwicklung von Wissenschafts-,
Geistes- und Zeitgeschichte
wiedergibt. Den Ausblick auf das
Jahrhundert öffnen aktuelle Arbeiten
zu gesellschaftlichen Fragen der
Gegenwart.
Foto (c)
Kulturexpress
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