|
|
|
Der Fadenwurm C. elegans. Bild: A.
Gottschalk
|
Das Nervensystem des
Fadenwurms C. elegans ist
überschaubar: Es besteht aus 302
Neuronen, von denen einige jedoch
mehrere Funktionen haben. So kann
das als Schlafneuron bekannte „RIS“
den Wurm in einen langanhaltenden
Schlaf versetzen – oder auch nur für
wenige Sekunden seine Bewegung
stoppen, wie Wissenschaftler unter
Federführung der Goethe-Universität
jetzt herausgefunden haben.
Wagner Steuer Costa in der
Arbeitsgruppe von Alexander
Gottschalk, Professor für Molekulare
Zellbiologie und Neurobiochemie an
der Goethe-Universität, hat das
Schlafneuron RIS vor einigen Jahren
zufällig entdeckt – zeitgleich mit
anderen Gruppen. Um die Funktion
einzelner Neuronen im Nervengeflecht
zu verstehen, bringen die Forscher
sie durch gentechnische Veränderung
dazu, lichtempfindliche Proteine
herzustellen. Mit diesem „Schalter“
können die Neuronen in dem
durchsichtigen Wurm durch
Bestrahlung mit Licht einer
bestimmten Wellenlänge aktiviert
oder abschaltet werden. „Als wir
gesehen haben, dass der Wurm bei
Lichtstimulation dieses Neurons
einfriert, waren wir sehr verblüfft.
Das hat eine langjährige Studie in
Gang gesetzt“, erinnert sich
Gottschalk.
Das RIS getaufte Neuron versetzt C.
elegans in Schlaf, wenn es einige
Minuten bis Stunden aktiv ist –
beispielweise nach den Häutungen,
die das Tier in seiner Entwicklung
durchläuft. Es schläft aber auch zur
Erholung, nachdem es zellulärem
Stress ausgesetzt war. Andererseits
dient das Neuron dazu, den Wurm
während der Bewegung zu stoppen,
etwa, wenn er die Richtung ändern
will oder sich eine Gefahr auftut.
Dann verlangsamt ihn das Neuron in
seiner Bewegung, so dass er
entscheiden kann, ob er weiter
kriechen soll. In diesem Fall wird
das Neuron nur für wenige Sekunden
aktiv. „Solche Stop-Neurone hat man
erst vor kurzem entdeckt. Im Wurm
ist es das erste seiner Art“,
erklärt Gottschalk.
Noch erstaunlicher ist, dass das
Axon offenbar verzweigt ist, so dass
RIS nicht nur die Bewegung stoppen,
sondern sie auch verlangsamen oder
eine Rückwärtsbewegung einleiten
kann. Das berichten Gottschalk und
seine Kooperationspartner, Prof.
Ernst Stelzer von der
Goethe-Universität, Prof. Sabine
Fischer von der Universität
Würzburg, sowie Forscher der
amerikanischen Vanderbilt University
in Nashville und der Universität
Leuven in der aktuellen Ausgabe von
„Nature Communications“.
„Wir denken, dass es in mehreren
einfachen Lebewesen wie dem Wurm
solche Neuronen mit einer doppelten
Funktion gibt. Im Laufe der
Evolution sind diese dann auf zwei
verschiedene Systeme im Gehirn
verteilt und weiter verfeinert
worden“, meint Gottschalk. Das sei
ein Motiv, das sich sicher noch
mehrfach finden werde, sobald noch
andere Nervenzellen des Wurms besser
verstanden sind. „Das Nervensystem
von C. elegans kann man als eine Art
evolutionären Versuchsballon
ansehen. Was dort funktioniert, wird
dann in komplexeren Tieren wieder
verwendet und diversifiziert.“
Die Entdeckung der doppelten
Funktion von RIS ist auch ein
Beispiel dafür, wie ein
fest-vernetztes Neuronetzwerk durch
ein „drahtloses Netzwerk“ von
Neuropeptiden und Neuromodulatoren
zusätzlich verschaltet werden kann.
So können mehrere funktionale
Netzwerke auf einem einzelnen
anatomischen Netzwerk realisiert
werden, was die Funktionalität des
Wurmgehirns enorm erhöht und
gleichzeitig sehr ökonomisch ist.
„Es sollte nicht immer gesagt
werden, dass Wurm-Neuronen einfach
sind. Oft können sie mehr als die
Nervenzellen von Säugern“, sagt
Gottschalk.
Publikation: Wagner Steuer Costa,
Petrus Van der Auwera, Caspar Glock,
Jana F. Liewald, Maximilian Bach,
Christina Schüler, Sebastian Wabnig,
Alexandra Oranth, Florentin Masurat,
Henrik Bringmann, Liliane Schoofs,
Ernst H.K. Stelzer, Sabine C.
Fischer, Alexander Gottschalk: A
GABAergic and peptidergic sleep
neuron as a
locomotion stop neuron with
compartmentalized Ca2+ dynamics
https://doi.org/10.1038/s41467-019-12098-5