Vortrag Jürgen Habermas: Bekenntnis zu offenem Europa und gegen nationale Grenzziehung

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Der 90jährige Jürgen Habermas während der live-Übertragung auf der Videoleinwand

 

Aus Anlass seines 90. Geburtstags hielt der Philosoph am 19.Juni einen Vortrag über das Verhältnis von Moralität und Sittlichkeit. Jürgen Habermas zählt zu einer der wichtigsten deutschen Philosophen der Gegenwart und ist einer der weltweit meistzitierten Intellektuellen, der die politischen Debatten der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren entscheidend mitprägte.

 

Die Veranstaltung fand im Gebäude des Hörsaalzentrum (HZ 1) auf dem Campus Westend statt. Ca. 3.000 Interessierte nahmen teil auf insgesamt 5 Säle im Gebäude verteilt. Im Vortragssaal fanden etwa 700 Personen Platz. In anderen Sälen waren Videoleinwände aufgebaut, welche die Veranstaltung live übertrugen.

 

Während des Vortrags wurde ein Feueralarm ausgelöst, weshalb die gesamte Veranstaltung kurzfristig unterbrochen wurde. 3.000 Teilnehmer mussten das Haus sofort verlassen. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Fehlalarm. Irgendjemand hatte den Notalarm durch Einschlagen der Scheibe per Knopfdruck betätigt und damit die Evakuierung ins Rollen gebracht. Die Veranstalter waren aus rechtlichen Gründen dazu verpflichtet, das gesamte Gebäude innerhalb kürzester Zeit räumen zu lassen. Nach einer halbstündigen Zwangspause begaben sich die Wartenden zurück in die Säle, woraufhin der Vortrag fortgesetzt wurde. Insgesamt war die Pause auch nicht störend, da der Hauptvortrag fast in voller Länge zu hören war. Im Herbst 2019 will Habermas einen weiteren Vortrag in Frankfurt geben, dann aber ein Fachvortrag am Institut für Sozialforschung. Zu seinen Hauptwerken zählt nach wie vor die "Theorie des kommunikativen Handels", wobei unklar bleibt, inwieweit sich die Theorie im Kontext der Gesellschaft tatsächlich bewahrheitet. Soziales Handeln und dessen Verständnis erklärt sich nicht allein durch rationale Bedingungen und kommunikatives Handeln sondern Bedarf der Erneuerung. Der Autor arbeitet zur Zeit an einer zweibändigen Ausgabe mit 1700 Seiten Umfang, die bis Anfang Oktober 2019 im Suhrkamp Verlag erscheinen soll. "Auch eine Geschichte der Philosophie" umfasst: "Die okzidentale Konstellation von Glauben und Wissen" und: "Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen".

 

 

Teilnehmer wartend vor der Tür aufgrund des Feueralarms während des unterbrochenen Gastvortrags am 19. Juni 2019 nach 19 Uhr im Hochschulzentrum der Goethe-Uni auf dem Campus Westend

 

 

 

In seinem Vortrag „Noch einmal: Zum Verhältnis von Moralität und Sittlichkeit“ griff Jürgen Habermas ein klassisches Thema der praktischen Philosophie auf, das in seinem Werk eine große Rolle spielt. Ausgehend von der Kontroverse zwischen Kant und Hegel stellt er die Frage, wie sich die Prinzipien moralischer und politischer Autonomie zu der „sittlichen“ Realität historisch situierter Gemeinwesen verhalten. Er plädiert für den Vorrang von Prinzipien der Gerechtigkeit vor Imperativen sozialer Integration und zieht daraus Schlüsse für unsere Gegenwart.

Jürgen Habermas feierte am 18. Juni seinen Geburtstag. Bei dem anschließenden Besuch in Frankfurt folgt er einer Einladung von Prof. Rainer Forst und Prof. Klaus Günther, den Sprechern des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität. Ebenfalls an der Ausrichtung des Vortrags beteiligt ist die von Prof. Forst geleitete Leibniz-Forschergruppe „Transnationale Gerechtigkeit“ an der Goethe-Universität.

Die Präsidentin der Goethe-Universität, Prof. Birgitta Wolff sagte: „Jürgen Habermas gehört zu den prägenden Persönlichkeiten der Goethe-Universität und der Philosophie der Gegenwart. Seine Theorie des Diskurses inspirierte auch den Exzellenzcluster Herausbildung Normativer Ordnungen und aktuell daraus entstehende weitere Forschungsinitiativen wie zum Beispiel den Frankfurter Beitrag zum ‚Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt‘.“

Jürgen Habermas hat dreimal in Frankfurt Station gemacht, wo er nach eigenen Worten „die aufregendsten Zeiten“ seines „erwachsenen Lebens erfahren“ hat. Von 1956 bis 1959 war er Assistent am Institut für Sozialforschung und arbeitete mit Theodor W. Adorno zusammen. Als Nachfolger von Max Horkheimer bekleidete er von 1964 bis 1971 den Doppellehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Goethe-Universität.

Nach seiner Zeit am Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg, wo er bis heute wohnt, nahm er trotz attraktiver Angebote u.a. aus den USA erneut einen Ruf nach Frankfurt an. Hier lehrte und forschte er von 1983 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1994 als Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Sozialphilosophie.

Zu den zahlreichen Auszeichnungen und Würdigungen, die Jürgen Habermas im Laufe seines Lebens erhalten hat, gehört auch der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis. Dieser nach wie vor bedeutendste und höchstdotierte nationale Wissenschaftspreis wurde 1986, als er ihn erhielt, erstmals von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verliehen. Aus den Mitteln installierte er eine rechtsphilosophische Forschungsgruppe, die „AG Rechtstheorie“. Zu deren Mitgliedern zählten Rainer Forst und der Rechtswissenschaftler Klaus Günther.

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

    vom 20. Juni 2019