Mosebachs Westend  –  und was Spekulation und Stadtzerstörung daraus gemacht haben

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v.l. Yorck Förster, Martin Wentz und Florian Schwinn am 20. Mai abends in "Die Fabrik" Kulturwerk Frankfurt

 

Das Frankfurter Westend war in der Stadtgeschichte der 1960er und 1970er Jahre ein Sinnbild für eine planmäßige Stadtweiterentwicklung, wie das in vielen bundesrepublikanischen Großstädten der Fall war. In Frankfurt kamen irrwitzige städtebauliche Phantasien dazu. Manches konnte verhindert werden anderes weniger. Das Resultat sind die Bankenhochhäuser, die Antreiber für die wirtschaftliche Expansion der Stadt waren. Historische Stadtteile oder was davon übrig geblieben ist, sind so gesehen wie die Uhrwerke, die das Quartier am Laufen halten.

 

hr2-kultur Moderator Florian Schwinn sprach am Abend des 20. Mai 2019 in "Die Fabrik" Kulturwerk Frankfurt im Stadtteil Sachsenhausen mit Martin Wentz (SPD), Frankfurter Planungsdezernent in den Jahren 1989 – 2001 und Yorck Förster, Freier Kurator im Deutschen Architekturmuseum DAM. Die Veranstaltung fand nachträglich zur Veranstaltungsreihe "Frankfurt liest ein Buch" statt, die vom 06. bis 19. Mai 2019 dauerte. Die Veranstaltung in der "Fabrik" war ganz am Schluss im Programmheft 2019 zu "Frankfurt liest ein Buch" doch noch mit abgedruckt worden.

 

Das Publikum hatte sich im backsteinernen Gewölbekeller versammelt und saß an den Tischen im Lokal. Auf der Bühne vorne standen wiederum zwei Tische an denen die drei Gäste Platz nahmen und zunächst sehr intensiv über Mosebachs Roman sprachen. Wer welche Haltung gegenüber dem Autor einnimmt. Das war schon mal ein interessanter erster Einblick, um etwas über die Mentalität zu erfahren. Inhaltliche Kritik war nur wenig zu hören. Beklagt wurde, dass Mosebach die jüdische Bevölkerung aus dem Westend nicht erwähnt. Die Kronberger Malerschule wird jedoch thematisiert. Die wenigsten aus dem Publikum hatten den Roman aufgrund seines Umfangs wirklich durchgelesen, waren als Stadtteil-Kenner aber umso gespannter, was es zu erzählen gab. Schließlich ist das Westend ein bedeutender Ort innerhalb der Frankfurter Stadtgeschichte. Ein Quartier, das mit großen Gründerzeitvillen im 19. Jahrhundert zunächst dem Frankfurter Bürgertum vorbehalten blieb, das sämtlichen Nutzen aus dieser Vorteilslage zu ziehen wusste. Sei es die frische Luft, die aus dem Taunus kommend zuerst durch das Westend zieht. Oder die vielen Parks und Grünanlagen als auch der Palmengarten, die dem Bürgertum als erste Adresse zugedacht waren, bevor die Allgemeinheit profitieren konnte. Selbst der Frankfurter Zoo sollte ursprünglich im Westend gebaut werden. Erste Vorhaben waren im 19. Jahrhundert schon umgesetzt worden, bevor der Frankfurter Zoo an seinen heutigen Platz am östlichen Rand der Innenstadt kam.  

 

Florian Schwinn sprach mit zwei Experten über die Wurzeln und Wucherungen jenes architekturpolitischen Dschungels und thematisierte dabei auch aktuelle Bezüge. Ein Gespräch, das sich schnell über die Bahnen der Autorschaft Mosebachs hinausbewegte, der sich in seinem Roman "Westend" gerade an der Stelle verabschiedet, als das Westend Ende der 1960er Jahre umzukippen begann. Martin Wentz meinte, Ernst May, einer seiner Vorgänger, wollte mit seiner reformorientierten Bauweise die historische Stadt Frankfurt auflösen. In 10 Jahren sei die Wohnungsnot vorbei gewesen durch das "Neue Bauen". Das war in den 1920er Jahren. 200.000 Obdachlose gab es zuvor. Yorck Förster wandte ein, Luft und Licht verhieß das "Neue Bauen", das Gegenteil zum mittelalterlichen Fachwerk, was die jetzt wieder aufgebaute Altstadt am Frankfurter Römer so sehr bezeichnet. Florian Schwinn beschrieb die gut erhaltene Ruine der Alten Oper, die vor ihrer Restaurierung äußerlich fast unzerstört geblieben war, während andere Gebäude aus Frankfurt gar nicht mehr vorhanden sind. Wentz nannte es "Bürgerliche Melange", indem Studenten leerstehende Häuser im Frankfurter Westend besetzt hielten, die Situation aber nicht zum absoluten Nachteil eskalierte. Florian Schwinn sorgte sich über die zunehmende Bodenversiegelung und der damit verbundene Verlust an freier Fläche. Fazit des Abends war eine gehörige Portion an Lokalpatriotismus, was im Gespräch an den Tag gelegt wurde.

 

Martin Mosebach wurde 1951 in Frankfurt am Main geboren und wuchs auch im Stadtteil Westend auf, so dass er seine Erlebnisse im Roman verarbeitete. Seit 1983 entstanden vom Autor schon elf Romane, dazu Erzählungen, Gedichte, Libretti und Essays über Kunst und Literatur, über Reisen, über religiöse, historische und politische Themen. Dafür hat er zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten, etwa den Heinrich-von-Kleist-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, den Georg-Büchner-Preis und die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt. Der Roman "Westend" ist als Hauptwerk des Autors zu werten.

 

Mosebach war zunächst Jurist, wandte sich dann aber dem Schreiben zu. Er ist mittlerweile renommierter Schriftsteller und Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung, der Deutschen Akademie der Künste in Berlin-Brandenburg sowie der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Zuletzt veröffentlichte er: "Die 21". Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer und den Roman "Mogador". Er lebt in Frankfurt am Main.

 

Ein Bericht von Kulturexpress

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

    vom 01. Juni 2019