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Architekt und Stadtplaner Stephen Kovats im vom Oskar
Schlemmer gestalteten Treppenhaus im kleinen
Van-de-Velde-Bau der Bauhaus-Universität Weimar.
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Doku zum bevorstehenden Jubiläum im Jahre 2019.
Vor beinahe hundert Jahren entstand die Bauhausschule in Weimar.
Die Auswirkungen sind bis in die Gegenwart zu spüren.
Architektursprache orientiert sich heutzutage in großen Teilen
an den Vorgaben des Bauhauses. Angefangen beim Flachdach über
durchgehende Fensterreihen hin zu schmucklosen Formen, die
kennzeichnend geworden sind für den Bauhausstil.
Vor dem Hintergrund des 100. Bauhaus- Jubiläums erzählt der
Dokumentarfilm VOM BAUEN DER ZUKUNFT – 100 JAHRE BAUHAUS nicht
nur Kunst-, sondern Zeitgeschichte. Von Beginn an fragten die
Architekten und Künstler des Bauhaus, darunter Walter Gropius,
Wassily Kandinsky oder Paul Klee: Wie geht ein zusammenleben?
Was bedeutet „zusammenleben“? Wie lassen sich Räume so
gestalten, dass alle Menschen am gemeinsamen Leben teilhaben?
Hier werden ethische Grundsätze herausgebildet und das
Verständnis von Gestaltung und Architektur grundlegend erneuert.
Welche Vorteile das haben kann und welche Nachtteile daraus
entstehen, ist ebenso eine interessante Frage. Denn es gibt
nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner des Bauhausstils.
Trailer 1:
Bauhaus 100 und
Trailer 2
Der Film ist anregend, nimmt auch Bezug auf die Gegenwart. Was
so geschieht auf der Welt aus baulicher Sicht. Es geht um
geordneten Wohnungsbau. Die Doku schrickt auch nicht davor
zurück in die brasilianischen Slums von Rio de Janeiro
hineinzuschauen. Vorschläge und Veränderungen baulicher Art, wie
eine Rolltreppe, die einen Hang hinauf von den
öffentlichen Verkehrsmitteln bis in die Slums hinein führt.
Natürlich werden auch Bauhaus-Klassiker gezeigt. Le Corbusier
darf hier nicht fehlen und sein Unité d'Habitation.
Mit dem Bauhaus wurden Kunst, Gestaltung und Architektur
politisch. Es entstand eine Raumkunst, die sich ebenso wenig zu
schade war, über den Abstand zwischen Badewanne und Toilette
nachzudenken wie über den idealen Stuhl. Der Dokumentarfilm VOM
BAUEN DER ZUKUNFT – 100 JAHRE BAUHAUS geht zurück zu den
Anfängen der ersten Bauhaus-Gruppe um Walter Gropius, deren
Ausbildungskonzept zwischen Feiern und Forschen revolutionär
war. Vom Bauhaus als gesellschaftlicher Utopie ausgehend fragen
Niels Bobrinker und Thomas Tielsch nach ihrer Evolution, ihrem
Wandel und ihrer Inspirationskraft im Lauf der letzten hundert
Jahre. Wie können die Ideen des Bauhaus den Herausforderungen
des globalen Kapitalismus und seiner Umwälzung der
Wohnungsmärkte begegnen?
VOM BAUEN DER ZUKUNFT – 100 JAHRE BAUHAUS führt die Zuschauer
vom legendären Bauhausgebäude in Dessau zu visionären Projekten
in lateinamerikanischen Favelas, von den Kursen der
Bauhaus-Meister Kandinsky, Klee und Schlemmer zu skandinavischen
Schulen ohne Klassenräume, von der Berliner Gropius-Stadt zur
Vision einer autofreien Metropolis. VOM BAUEN DER ZUKUNFT – 100
JAHRE BAUHAUS öffnet Augen, ist viel mehr als eine Geschichte
des Bauens. Ihm gelingt eine Kulturgeschichte des modernen
Raumdenkens, die so fesselnd wie erhellend ist.

Crew
Buch & Regie: Niels Bolbrinker, Thomas Tielsch
Kamera: Niels Bolbrinker
Schnitt: Niels Bolbrinker, Thomas TielschJörg Theil
Ton: Jörg Theil
Musik: Jarii van Gohl
Produzent: Thomas Tielsch
Produktionsleitung: Jan-Peter Heusermann
Producerin: Julia Cöllen
Produktion: Filmtank
Animation: Yorgos Karagiorgos
Koproduktion: ZDF/ARTE
Gefördert von Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein,
Creative Europe Media Programm der EU,
Medienboard Berlin-Brandenburg,
BKM – die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien,
DFFF – Deutscher Filmförderfonds,
MDM – Mitteldeutsche Medienförderung
Mit Unterstützung von Stiftung Bauhaus Dessau
Modulares Bauen
Walter Gropius hatte schon in Weimar zusammen mit Studenten auf
der Grundlage eines Holzbaukastens für Kinder ein modulares
System für Typenhäuser entwickelt. Einen „Baukasten im Großen“
mit vorgefertigten Raumzellen, die auf dem Bauplatz vor Ort
montiert werden sollten. Es war die frühe Idee der
Fertigbauweise für eine günstige Massenproduktion des sozialen
Wohnungsbaus. Gebaut wurde 1923 jedoch nur ein einziges aus
Kuben zusammengesetztes Haus, das Haus am Horn, innen komplett
ausgestattet von den Bauhauswerkstätten.
Nach dem Umzug von Weimar kam in Dessau der erste Großauftrag,
mit dem das Bauhaus auch seine Kompetenz im sozialen Wohnungsbau
unter Beweis stellen konnte: der Bau einer Arbeitersiedlung mit
Selbstversorger-Gärten vor den Toren der Stadt. Hier, in
Dessau-Törten, kommt Ernst Neufert ins Spiel. Bei seinen
Berechnungen, wie groß der Wohnraum für eine vierköpfige Familie
mindestens sein muss, wie breit das Bad und wie groß die Küche,
kann Gropius auf die Erkenntnisse dieses Mitarbeiters
zurückgreifen. Der Ingenieur Neufert hat akribisch Zusammenhänge
zwischen menschlichem Maß und moderner Baugestaltung erforscht.
Seine Bauentwurfslehre mit 2.700 erklärenden Zeichnungen ist
auch heute noch ein Standardwerk für ArchitektInnen. Daraus geht
zum Beispiel hervor, dass ein Mensch 55cm Platz zum Putzen
seiner Badewanne braucht, aber 105cm, um sich den Rücken quer
zur Wanne trocken zu reiben. Die Umsetzung von Neuferts
Erkenntnissen führt zur Normierung der Dinge, wie sie heutzutage
bekannt sind.
Neufert
Mit seiner genauen Vermessung aller denkbaren Bewegungsabläufe
im Alltag einer Familie schafft Neufert nun in Dessau die
Voraussetzungen für ein rationelles und preiswertes, serielles
Bauen. Es entstehen ästhetisch sehr „bauhausmäßige“
Reihenhäuser, nüchtern und kubisch, flaches Dach, Fensterbänder,
mit viel Licht und Terrassen und Wohnhygiene sowie Modellmöbeln
aus den Bauhaus-Werkstätten. Die Grundrisse der Häuser
entsprechen verschiedenen Haustypen – ausgerichtet auf die
verschiedensten Wohn-Bedürfnisse. Die ersten 88 Häuser entstehen
in einem rationellen Bauverfahren mit industriell vorgefertigten
Elementen in nur 130 Bautagen, also anderthalb Tage pro Haus.
Das beweist: Sozialer Wohnungsbau geht schnell und günstig und
kann auch zeitgemäß aussehen.
Jährliches Bauhausfest
Das jährliche Bauhaus-Fest in Dessau, auch heute gestaltet von
Künstlern und Kunststudenten, steht in einer ehrwürdigen
Tradition. Von Beginn des Bauhaus an sind die Feste ein Teil des
Lehrplans. Das Motto der Anfangsjahre lautet: Spiel wird Fest,
Fest wird Arbeit, Arbeit wird Spiel. Es ist zugleich das Motto
der Schule.
Die kleinen Bühnenprogramme oder kollektive Performances wie
beim Drachenfest, wo Dutzende überdimensionale Drachen in den
Himmel steigen (außer denen, die „vor lauter Schönheit nicht
fliegen konnten“), stärken nicht nur das Gemeinschaftsgefühl,
sondern auch die gemeinschaftliche Arbeit. Aus den
Bauhaus-Tänzen, die dort aufgeführt werden, entwickelt Oskar
Schlemmer Kunstfiguren, lebende „Raumplastiken“. Mit ihnen
erforscht er das Verhältnis zwischen Mensch und Raum. Für ihn
ist der Mensch das Maß aller Dinge und damit auch der
Ausgangspunkt für das Neue Bauen.
Die Protagonisten im Film
Stephen Kovats ist Kultur- und Medienwissenschaftler,
Stadtplaner und Architekt. Der Kanadier kam Anfang der 1990er
Jahre nach Dessau, wo er sich am Bauhaus mit Fragen der
Stadtentwicklung befasste und das Forum für elektronische Medien
Ostranenie gründete.
Im Jahr 2000 war er an der Entwicklung eines neuen Masterplans
für Addis Abeba beteiligt. Bis 2011 war er künstlerischer Leiter
der Transmediale, dem Berliner Festival für Kunst und digitale
Kultur. Danach gründete er r0g_agency for open culture and
critical transformation, eine NGO, die in krisenhaften Regionen
an der Entwicklung offener, nachhaltiger, hybrider Strukturen
arbeitet.
Als die Architekten Alfredo Brillembourg und Hubert
Klumpner 1998 zum gemeinsamen Arbeiten nach Venezuela zogen,
wurde ihnen schnell klar: Die Lebens und Baurealität in den
Wohnvierteln hatte nichts mit dem zu tun, was sie über
Fassadenbau und Formgebung gelernt hatten. Sie fingen mit einer
Arbeit an, die sie heute aktivistische Architektur nennen und
mit der nun das interdisziplinäre Kollektiv Urban-Think Tank mit
Büros in Zürich, Caracas, New York und Sao Paolo weltweit
erfolgreich ist. Aktivistisch, weil sie nicht wie üblich auf
Auftraggeber warten, sondern die Initiative ergreifen. Dabei
entsteht Erstaunliches: Ein öffentliches Schwimmbad in einer
Favela, in der die Hütten noch nicht einmal einen
Wasseranschluss haben. Eine Seilbahn im Slum. Eine Unterkunft
für Straßenkinder unter einer Autobahnbrücke. Ihre Projekte
bezeichnen die Architekten als urbane Akupunktur: Die punktuelle
Wirkung strahlt in das gesamte Viertel, in den Alltag der
Bewohner, in die ganze Stadt aus. Es geht hier nie um das
einzelne Haus allein, sondern um den Wandel der ganzen
Nachbarschaft. Seit 2010 leiten Alfredo Brillembourg und Hubert
Klumpner den Lehrstuhl für Architektur und Stadtplanung an der
ETH Zürich.
Rosan Bosch ist Leiterin eines Designbüros in Kopenhagen.
Mit ihrem Team aus Architekten und Designern gestaltet sie die
Klassenzimmer der Zukunft. In der modernen Pädagogik gilt das
hergebrachte System der Klassenzimmer und Schulbänke als
Schulform des Industriezeitalters: die Ausrichtung des
Individuums auf ein gemeinsames Programm, die Synchronität der
Prozesse, die Unterwerfung der Körper und der Bewegungen unter
ein Muster. Getaktete Zeiten, festgelegte Takte,
vorgeschriebenes Pensum. – Rosan Bosch sagt, dass in einer guten
Schule vor allem die Kontrolle über die Körper abgeschafft ist.
Damit das möglich ist, braucht es neue Räume. So wird Design zu
einem Mittel, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.
Christian „Mio“ Loclair ist Creative Director, Tänzer und
Choreograf. Im Zuge dessen war er an einer Performance des
Tanzensembles Princemio beteiligt, welche sich auf Wassily
Kandinskys Formenlehre bezieht. Durch eine Kombinationen von
digital generierten virtuellen Räumen aus geometrischen Mustern
und aus Formen des Urban Dance entsteht eine moderne Reflexion
der Arbeiten des Meisters in den 1920er Jahren.
Van Bo Le-Mentzel wurde 1977 in Laos geboren. Seit 1979
lebt er in Berlin. Nach seinem Architekturstudium an der Beuth
Hochschule für Technik und einem absolvierten Schreiner-Workshop
wurde er unter anderem als Erfinder der sogenannten
Hartz-IV-Möbel bekannt. Frei nach seinem Motto „konstruieren
statt konsumieren“ hat er eine Kollektion kostengünstig selbst
nachzubauender Möbel im Bauhaus-Stil entworfen. Durch Projekte
wie die platzsparenden Tiny Houses zählt Van Bo Le-Mentzel zu
einer neuen Generation von Architekten: Solchen, die aktuelle
stadtplanerische Herausforderungen erkennen, verstehen und
Lösungsansätze für sie anbieten wollen.
Bundesweiter Kinostart am 26. April 2018