Der Mensch ist das Spiegelbild seiner Umwelt. Was
eine Anspielung auf einen Prototyp sein soll, der im Widerschein
architektonischer Bauten, umso stärker an Geltung gewinnt. Mit
Archetypen verhält es sich dagegen schon schwieriger. Hier
werden bestimmte Vorgaben benötigt, die zunächst einmal bei der
Unterscheidung zwischen Prototyp und Archetyp auftreten.
Prototypen sind schärfer. Vereinfacht gesagt, führen Prototypen
zur Serienfertigung bestimmter Techniken, die neu entwickelt
wurden. Während Archetypen über eine in sich ruhende Kraft
verfügen. Der Archetyp ist für sich genommen unanschaulich und
unbewusst. Kann in seiner symbolischen Wirkung aber erfahrbar
gemacht werden, sagte schon der Psychoanalytiker C.G. Jung.
Ein Beispiel für ein gemauertes Bauwerk das von Strömungen der
Kunst begleitet wird, ist das 1912 in Wien errichtete Haus am
Michaelerplatz des Sezessionisten Adolf Loos. Den "nackten
Baukörper" beschreibt Bemd Apke im Katalog: „Die nackte
Wahrheit“ zur Ausstellung der Wiener Moderne, die vom 28.
Februar bis 24. April 2005 in der Frankfurter Schirn lief.
Dieser Bau kommt völlig ohne schmückende Verzierungen an den
Hauswänden der Frontseite aus. Dem zugrunde liegt die Schrift
"Ornament und Verbrechen", die um die Jahrhundertwende in Wien
zuerst publiziert wurde. Der Essayist und Architekturkritiker
Hermann Bahr fungierte hierbei wie eine Schaltstelle, indem er
über den nackten Baukörper schreibt und so zur Verbreitung eines
neuen Bautyps innerhalb der Wiener Moderne beiträgt. Solche
Architekturbeschreibungen können Grundhaltungen manifestieren,
was in weiteren Überlegungen zu einer theoretischen Auffassung
und zur Architekturtheorie weiterentwickelt werden kann und
meist auf einer oder mehreren Niederschriften beruht. Jede
Theorie hat das Recht und kann für sich eigene Typologien
entwickeln, die zur Veranschaulichung näher an den Betrachter
herangeführt werden. Zur Ermittlung werden oftmals
kunsthistorische Methoden wie Formanalyse und Ikonographie
herangezogen. Wobei der Zeitraum Ende des 19. Jahrhunderts
verstärkt neue Bauformen, wie Stahl- und Betonbauweise,
aufkommen ließ. Bauen wurde von Grund auf reformiert. Neue
Techniken eröffneten neue Visionen, die in der Architektur
verwirklicht wurden.
Kunstgeschichtliche Hermeneutik nach Oskar Bätschmann beginnt
mit dem Nachdenken über das, was man mit und vor den Werken tut
oder meint tun zu müssen. Wesentliche Bedeutung spielt dabei der
Sprachgebrauch von etwas, was wir vorgeben zu verstehen. Wir
können einen Text nicht lesen und ihn willentlich nicht
verstehen. Beim Sehen von Bildern scheint es sich ähnlich zu
verhalten. Der nächste Schritt ist die Einordnung dessen, was
gedanklich hinterlegt wurde. Bei dieser gedanklichen Einordnung
helfen unterschiedliche Typologien weiter. Meist sind diese
jedoch nur als Erkenntnisgrundlage zu verstehen, die zu einem
ausführlichen und autonomen Werk heranreifen.
Diese Veränderungen um die Jahrhundertwende Ende des 19.
Jahrhunderts waren so kolossal, weshalb mehr entstehen musste.
Daraus sind unterschiedliche Bewegungen hervorgegangen, wie die
des Deutschen Werkbunds, der sich aus der Arts & Crafts Bewegung
aus England ableitet. In den Niederlanden nannte sich die neue
Bewegung de Stael und in Deutschland wurde 1919 das Bauhaus
gegründet. Verschiedene Reformbewegungen mischten das bauliche
Umfeld auf und setzten sich schließlich durch.
Seit Le Corbusier und der Charta von Athen hat sich die
Architektur eine internationale Handlungsbasis gegeben. Es sind
bestimmte Bauformen, die seither immer wieder auftauchen und
wiederholt praktiziert werden. Dazu zählen durchgehende
Fensterreihen und das Flachdach, die mittlerweile als bauliche
Standards gelten und in der Bautradition seit dem 20.
Jahrhundert fest verankert sind. Alles was davon abstammt sind
Weiterentwicklungen. Dazu gehört auch der Brutalismus, einer
Strömung im Betonbau die seit Ende der 1950er Jahre in Mode
gekommen ist, aber auch schon frühe Vorläufer in den 1930er
Jahren kannte.
Gibt es im Brutalismus bestimmte Typologien, die sich ausmachen
lassen? Die strukturell einfache Bauweise des Brutalismus beruht
überwiegend auf kubischen Formen, die in unterschiedlicher Weise
zusammengesetzt sind. Der Katalog zur Ausstellung „SOS
Brutalismus“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt stellt
zu Anfang die Frage. Wie viele Brutalismen gibt es eigentlich?
Aufgezählt werden der „New Brutalism“ der Smithsons, die ihn
1953 in die Architekturdiskussion eingebracht haben. Weiter der
„New Brutalism“ nach Reyner Branhams Defintionen aus dem Jahre
1955, dessen Ausrichtung den Zielen der Smithsons entgegenstand.
Weiter heißt es, obwohl das theoretische Fundament des
Brutalismus Mitte der 1960er Jahre die Luft ausging, ging dieser
auf den Baustellen der Welt zu diesem Zeitpunkt erst richtig
los.
Ein dritter Brutalismus, dem der Zusatz »New« in jenen Jahren
abhanden gekommen war, brachte überall Sichtbetonbauten hervor,
die nahezu alle Autoren des Ausstellungskatalogs brutalistisch
nennen, obwohl viele dieser Gebäude so ziemlich das Gegenteil
dessen sind, wofür die Smithsons und Banham einst eingetreten
waren. Deshalb werden diese Bauwerke in der Ausstellung
"Betonmonster" genannt. SOS Brutalismus entstand aus der Idee
heraus, eine „Rote Liste“ für die besonders bedrohten Bauwerke
vorzulegen. Die Vielfalt dieser Monster zu zeigen, ihre
geistigen Voraussetzungen freizulegen und sie in den Debatten
ihrer Zeit zu verankern, das ist das Ziel der internationalen
Bestandsaufnahme SOS Brutalismus und der lnternetaktivitäten,
für die im Herbst 2015 der Hashtag #SOSBrutalism eingeführt
wurde.
Im Katalog zur Ausstellung wird weiter ausgeführt, ein zweites
Ziel ist aktivistisch, nach vorne gerichtet, kämpferisch: SOS
Brutalismus rückt die Frage von Denkmalwert und seinen Erhalt
ins Zentrum. Daher ist der heutige Zustand der Bauten von
zentraler Bedeutung. Seit fast drei Jahrzehnten engagiert sich
die Wüstenrot Stiftung für die denkmalgerechte Erhaltung von
Gebäuden, mittlerweile schwerpunktmäßig für Bauten, die nach
1960 entstanden sind und für die noch keine Routinen zur
Bewahrung entwickelt wurden.
Das ruft nach typologischer Auffassung, um solche als Routinen
bearbeiten zu können. Was innerhalb des Brutalismus zur
Einordnung der Bautypen gebraucht werden kann. Eine einfache
Typologie könnte die des Quaders sein. Quaderförmige Bauten
finden sich zuhauf in der Betonarchitektur. Als weiteres Element
der Typisierung eignen sich Hausfassaden, die in ihrer
unterschiedlichen Ausprägung sehr vielfältig sein können.
Nicht jeder Bau aus Beton ist brutalistisch. Schon deshalb wäre
nachzufragen, welche Betonarchitektur die Kriterien erfüllt.
Wenn diese Frage beantwortet ist, kann eine Typologie
herausgefunden werden, womit sich zugleich die Frage nach
Prototypen stellt, die so etwas wie ein Vorbild für die gesamte
Reihe an Bauten gedacht sind. Archetypen finden sich meist in
der Natur, sie bilden das Abbild einer geschaffenen Typologie.
So kann die Hunstanton School der Smithsons aus dem Jahre 1930
als ein Gründungsbau des Brutalismus gelten. Ist sie deshalb
auch ein Archetyp? Wohl eher nicht, denn parallel entstanden
eine Reihe ähnlicher Bauten, die ihrem Anspruch genauso gerecht
werden. Dennoch besteht eine Typisierung, die sich ohne weiteres
aus äußerlichen Merkmalen herleitet.
Zum einen findet eine Unterscheidung nach zeitlicher Entstehung
statt. So wird eine Grenzziehung zwischen Bauten der 1960er
Jahre und danach vollzogen. Die 1930er Jahre zu denen der Bau
der Hunstanton School zählt, haben eine ganz andere Bedeutung
als die späteren Jahre.
Der Kurator der Ausstellung „SOS Brutalismus“, Oliver Elsner
schreibt im Katalog, die Erweiterung der Perspektive birgt
allerdings die Gefahr von Unschärfe oder gar Beliebigkeit.
Sollte man sich, um präzise zu bleiben, in Zukunft angewöhnen,
zwischen dem israelischen, japanischen oder brasilianischen
Brutalismus zu differenzieren? Wohin man auch schaut:
Brutalistische Bauten entstanden überall auf der Welt, in allen
politischen Systemen. Weshalb eine Unterteilung in nationale
Bauten nicht sinnvoll erscheint.
Zuerst ist ein Kriterienkatalog erforderlich. In der SOS
Brutalismus Ausstellung im DAM sind eine Reihe an Gebäudemodellen
aus Beton ausgestellt, die wie kleine Möbelstücke an einer Wand
entlang aufgestellt wurden und durch Begleitmaterial wie Foto
und einer Textanweisung identifiziert werden können. Modelle
bieten Anschauungsmaterial, wie solche Bauten betrachtet werden
können. Was schwerlich in die Wirklichkeit umzusetzen wäre, da
kolossale Gebäude oftmals das menschliche Aufnahmevermögen
übersteigen. Auch Typologien oder Typenreihen können behilflich
sein.
Bei den Betonmodellen in der Ausstellung, die am 2. April 2018
im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu Ende gegangen
ist, handelt es sich um voluminöse Körper, meist würfelförmig
aber mit unterschiedlichster Ausprägung. Ein Blick auf die
Skulpturen verrät Herkunft und Entstehung dieser modellhaften
Ausformung aus Beton. Jedes einzelne Stück geht auf ein Gebäude
zurück. Was die Modelle ermöglichen, ist der Blick auf
unterschiedliche Typologien. Schon aufgrund ihrer oftmals
gigantischen Größe und Schwere sind Bauten des Brutalismus vom
Betrachter nicht einfach als Ganzes zu erfassen. Dabei spielt
deren Größe und die unendlichen Massen an Beton eine Rolle, die
in Platten und Streben übereinander gestülpt wurden. Die gebaute
Umwelt übt paradigmatische Wirkung auf den Menschen aus, davon
ist auszugehen, sich dessen zu erwehren, ist beinahe unmöglich.
Eines ist jedoch sicher, viele der Betonbauten, die dem
Brutalismus zugeordnet werden, sind schützenswert und es sollte
in jedem Einzelfall über ihre Erhaltung entschieden werden. In
der Ausstellung "SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!" im
DAM ging es auch darum, Stadtplanern und Gutachtern bei der
Entscheidung eine Inspirationsquelle zu sein, um die notwendige
Aufmerksamkeit für dieserart Gebäude aufzubringen, was bei
genauem Hinsehen ein Stück Zeit- wenn nicht sogar
Architekturgeschichte repräsentiert.
Ein Stück dieser verdrängten Baugeschichte bildet auch ein 2014
erschienener Band von park books aus Zürich. Hier wird in
markanter Form der Blick auf Beton der 1970er und 1980er Jahre
gelenkt, wodurch sich die Aufmerksamkeit gerade auf diese Bauten
öffnet, was sonst als überholt und abgeklärt gelten würde.
Gezeigt wird alltägliches, beinahe aus dem Bewusstsein getilgtes
und dem Abriss geweihtes, stünden diese Bauwerke nicht im
Mittelpunkt dieser Publikation. Schweizer Architektur will sich
vom Massenhaften unterscheiden und durch die Wertschätzung des
Einzelnen hervorheben. Völlig losgelöst - Architektur der 1970er
und -80er Jahre in der Nordwestschweiz und den grenznahen
Regionen, nimmt sich insbesondere dem Dreiländereck an, wozu
auch das deutsche und das französische Grenzgebiet und die
dortigen Einflüsse in der Architektur mitzählen.