Typologie als Prozess der Typenbildung widmet
sich der Typologie in der Architektur und damit einer der
komplexesten Fragestellungen zwischen Theorie, Entwurf und
Praxis. Die Ausdifferenzierung der Arbeits- und
Produktionswelten infolge der Einführung des Web 2.0, die
Entwicklung neuer Wohn- und Lebenspartnerschaftsmodelle zusammen
mit veränderten Kommunikationsformen verlangen mehr denn je nach
Herausbildung neuer Typen in Design, Architektur und Städtebau.
Längst sind die Debatten über jenen Punkt hinaus, an dem noch zu
Beginn des 21. Jahrhunderts mit der individuellen
Massenfertigung (mass customisation) die Typologie als ein
überwundener, mithin altmodischer und reaktionärer Standpunkt (Carpo,
Lynn, Hovestadt) stigmatisiert wurde. Allen Prophezeiungen zum
Trotz fand das Gegenteil statt. Die alles durchdringende
Medialisierung des Alltags führte zur weiteren
Ausdifferenzierung individueller Bedürfnisse und infolgedessen
zu einem Prozess der Typenbildung, der sein Ende noch lange
nicht erreicht hat.
Unter Typologie soll die Wissenschaft von den Gebäudetypen,
ihren spezifischen Ordnungen, Nutzungen und Formen, wie auch der
Prozess der Typenbildung verstanden werden. Typologie ist ein
zutiefst modernes Anliegen, deren Anfänge jedoch keineswegs, wie
allgemein angenommen, im Zeitalter der Rationalität und
Aufklärung liegen, sondern weit hinter das 18. Jahrhundert
zurückreichen. Besonders die Fokussierung auf die
Industrialisierung und die Massengesellschaft, auf Werkbund (Muthesius,
van de Velde, Behrens) und Bauhaus (Gropius, Meyer) verschleiert
die Tatsache, dass mit der Herausbildung einer städtischen
Morphologie (Palazzo, Zentralbau, Villa) und eines Typenrasters
die Typologie ihren Anfang in der Renaissance hatte. Das heißt,
dass die Typologie eben so sehr ein Projekt des
Renaissancehumanismus ist wie eines der „Typen schaffenden
Maschine“ (Gropius).
Gropius begründete 1926 die Beschäftigung mit der Typologie noch
mit den, wie er schrieb, in der Hauptsache gleichartigen
„Lebensbedürfnissen der Mehrzahl der Menschen“. Auf
anthropologischer Grundlage erkannte er in der Typenbildung ein
gesellschaftliches Emanzipationspotenzial, das in der
normierten, standardisierten und elementierten
Maschinenproduktion sein Medium hatte. Heute, in der digital und
medial konfigurierten Gesellschaft, scheint dagegen der Aspekt
des Kollektiven hinter der Individualisierung der Lebenskonzepte
und -vorgänge zurückzutreten.
Zwischen den zwei Polen eines humanistisch-anthropologischen und
eines technisch-funktionalistischen Ansatzes zeigt sich die
ganze historische Tiefe und theoretische Breite der Thematik. Im
Kontext von Typ, Prototyp und Archetyp fragt Heft 38 nach der
Typologie als Prozess der Typenbildung und damit nach den Ideen,
die den Modellen als Regel dienen. Es gilt, die Typologie vom
verhärteten Image eines katalogisierten, formelhaften Wissens
und eines funktionalistischen Schubladendenkens zu befreien.
Ziel ist es dabei, die in den Debatten um die Postmoderne und
den Digital Turn aufgebauten Klischees und Stereotypen kritisch
zu hinterfragen.
Gerade unter dem Eindruck der heutigen Rekonzeptualisierung der
Typologie eröffnen sich vielfältige Fragen in Bezug auf die
materiell-funktionalen, sprachlich-soziologischen sowie
ethisch-ästhetischen Grundlagen. Welches sind die Parameter und
Mechanismen der Typenbildung im Allgemeinen? Welches sind es im
Zeitalter der analogen Maschine, und wie verändern sich diese in
der heutigen digitalen und plural konzipierten
Informationsgesellschaft?
Die
Kuratoren von Heft 38 bitten um die Einsendung von Beiträgen,
die die Frage von Typ, Prototyp und Archetyp aus den
unterschiedlichen Perspektiven (siehe Anhang) beleuchten. Dies
ist mit der Hoffnung verknüpft, mit Heft 38 einen umfassenden
Überblick über die historischen wie aktuellen Prozesse der
Typenbildung, des Wandels ihrer Konzeption, Erscheinung und
gesellschaftlichen Funktion zu geben.
Erinnerung/Reminder:
Call for Abstracts
Frist: 2. April 2018
Deadline: April 2, 2018
Anhang
Versteht man die Typologie als dynamischen Prozess der
Typenbildung, ergeben sich eine Reihe von Untersuchungsfeldern
und Begriffen, denen für die Klärung des Themas zentrale
Bedeutung zukommt.
Begriffsbestimmung Wie definieren sich in der Architektur Typ,
Prototyp und Archetyp und die mit ihnen assoziierten Verfahren
wie Variation, Adaption und Transformation? Die Frage stellt
sich vor dem Hintergrund, dass, wo kein Haus dem anderen
gleicht, Architektur immer schon dem Paradigma der individuellen
Massenfertigung folgte. Wie unterscheiden sich dann Typ und
Prototyp in der Architektur? Was bedeutet das für den Begriff
der Modernität in der Architektur im Gegensatz zur
Maschinenproduktion?
Material und Konstruktion Andererseits waren Normierung,
Standardisierung und Elementierung von Bauteilen ebenso immer
schon Bestandteil der Architektur, auch vor dem Aufkommen der
industriellen Massenfertigung. Mit den weit in die Antike
zurückreichenden Bauformen des Megaronhauses, Peristyltempels
oder der Basilika gehört die Typologie zu einem der ältesten
Verfahren der Architektur. Das hat auch eine materialästhetische
und baukonstruktive Seite, wo der normierte Backstein oder
Dachziegel, die standardisierten Säulen und die Wiederverwendung
von Form- und Schalelementen geradezu die Voraussetzungen waren
für die Typenbildung. Welches ist der Beitrag von Material und
Konstruktion zur Typologie in der Architektur? Wenn nach Kant
Architektonik soviel bedeutet wie die „Kunst der Systeme“, ist
dann die Typologie nicht eine der Grundvoraussetzungen für
Architektur schlechthin?
Zeit, Geschichte, Identität Typen entstehen nicht durch
Erfindung, sondern sind Resultat von über lange Zeiträume hinweg
stattfindenden Entwicklungen. In ihnen spiegeln sich konkrete
Modelle der Repräsentation, der gesellschaftlichen Ordnung und
der ökonomischen Organisation. Wo die Typologie unter dem
Einfluss spezifischer kulturhistorischer Konstellationen steht,
ist die Typologie eng verbunden mit Fragen der kulturellen
Identität. Typenbildung ist Identitätsbildung, wie am
Schwarzwaldhaus, der reetgedeckten ostfriesischen Fischerkate,
dem burgenländische Vierkanthof oder dem venezianische Palazzo
sichtbar wird. Anhand von Typen findet kulturelle Identifikation
statt, Typen geben Kulturen Stabilität. Diese Eigenschaften
teilen sich die Typen mit den Ornamenten, Zierformen oder
Wandmalereien. Welches ist die Beziehung zwischen Ornament und
Typ? Lässt sich eine Verbindung herstellen zwischen der
Abschaffung der klassischen Ornamente in der Moderne und der
gleichzeitigen Forcierung der Typenbildung im Kontext von
Maschinenproduktion, Sachlichkeit und Konstruktivismus?
Sprache und Rhetorik Über die funktionalen, konstruktiven und
materiellen Aspekte hinaus konstituieren die Typen die
Grundelemente einer Sprache der Architektur. Aldo Rossi und Oswalt Mathias Ungers hatten dies in den 1960er-Jahren wieder
ins Bewusstsein gebracht. Wie die Tropen und Redefiguren in der
Rhetorik wird die Architektur mit den Typen berede. Typen teilen
etwas über die Zeit, die Zwecke, den Gebrauch und die Kultur im
Allgemeinen mit. Mit den Typen wird die Architektur
allgemeinverständlich, mit ihnen verlässt sie den Bereich des
Elitären und wird populär. Wie spricht die Architektur durch die
Typologie? Wie wird durch Typen Bedeutung generiert? In welcher
Beziehung steht dies zu den Zeichen- und Bildverfahren und,
wiederum, zu den Ornamenten?
Stadt und Macht „Baukunst oder Revolution“ proklamierte Le
Corbusier im Zusammenhang mit den „Häusern in Serienbau“, dem
Typenhaus „Citrohan“ oder der „Villa am Strand des Meeres, aus
Typenelementen erbaut“. Le Corbusier sprach von den Typen als
„Ausleseprodukten“. Typenbildung in Architektur und Städtebau
war einer der wiederkehrenden Diskussionspunkte auf den
CIAM-Kongressen. Wie die Diskussionen auf den CIAM-Kongressen
zeigt, kann Typenbildung ein Instrument der Pluralisierung von
Gesellschaft wie auch ein Mittel zu ihrer Kontrolle sein. In dem
zweiten Sinne zielt die Typologie auf Vergesellschaftung in
einem Top-down- Prozess. Inwieweit ist die Typologie dann nicht
auch ein Medium der Macht, politischer Macht und der Steuerung
der Massen? Welche Rolle spielen dabei die Architekten, die
Gesetzgebung und die städtischen Verwaltungen?
Morphologische Variation, Baukunst und Poetik Typologien tragen
auch zur Stimmung und Atmosphäre von Orten bei, wie die
morphologische Variation des venezianischen Palazzos zur
Stimmung Venedigs oder die der oberfränkischen Sandsteinfassaden
zu unverwechselbare Atmosphären. In der variierenden
Wiederholung, in der Transformation, Kombination und Rekombination von standardisierten Elementen wie Fenster und
Türen, Stützen und Säulen, Treppen und Rampen zeigt sich, weit
über Organisation und Funktion hinaus, ein poetisches Potenzial.
Muss man nicht in Albertis Forderung nach „varietà in unità“
oder Vielfältigkeit in der Einheit einen frühen Versuch sehen,
nicht nur die Typologie zu definieren, sondern darüber hinaus
ihr sinnlich-poetisches Potenzial zu bestimmen? Welches sind die
Mittel dazu? Was wird erzählt? Wird überhaupt erzählt? Welches
ist der Beitrag der Typologie zur Baukunst, zu einer aktuellen
Baukunst? Welches sind die Verfahren und die Inhalte?
Hybrid und Typologie Durch die veränderten Anforderungen und die
damit verursachte stetige Umnutzung und Migration von Typen
entstehen eigene Logiken der Nutzung von Typen. Das zeigt, dass
Typen bei weitem nicht alles festlegen, im Gegenteil, sie
schaffen erst den nötigen Freiraum für Adaption und Veränderung.
Das betrifft heute vor allem die Möglichkeit von Nachnutzung und
Umbau von Bestandsgebäuden. Müssen deswegen Neubauten nicht
gerade für hybride Nutzungen geschaffen werden, um über
möglichst lange Zeit den programmatischen Wandel ihrer Nutzung
zu ermöglichen? Es stellt sich die Frage, ob der Hybrid als
Inkubator der Stadt des 21. Jahrhundert (Holl) inzwischen ein
eigener Typ geworden ist. Oder bildet er einfach einen
Überbegriff für typologische Mischformen, die noch im Prozess
der Ausdifferenzierung sind?
Andere Themen sind die Urhütte als Archetyp, die Frage nach den
typologischen Analyse- und Entwurfsmethoden, aber auch die nach
der Rolle der Bauhüttenbücher und Baumusterbücher für die
Herausbildung von verbindlichen Typen. Übertragen auf unsere
Zeit stellt sich die Frage nach den algorithmisch-parametrischen
Entwurfsverfahren und die nach den Denkmustern als
„verinnerlichte Muster“ (Panofsky, Bourdieu) im Sinne eines
„Zusammenspiels bereits im voraus assimilierter Grundmuster“.
Die Frage nach der Typologie bleibt eine der komplexen Fragen in
der Architektur, wo praktische und konzeptuelle, theoretische
wie auch philosophische Aspekte auf vielfältige Weise ineinander
verschränkt sind.
www.cloud-cuckoo.net
Siehe
auch:
Wolkenkuckucksheim: Vermischungen in Architektur und
Landschaftsarchitektur