|
|
Freiliegende Bewehrungen, offene Fugen und Risse im Beton einer
komplexen innerstädtischen Unterführung waren Anlass für eine
umfassende Schadensdiagnose an einem städtischen
Unterführungsbauwerk aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Das darauf aufbauende Instandsetzungskonzept stellte die
langfristige Verkehrs- und Standsicherheit her. Die
Instandsetzung erfolgte so frühzeitig, dass unnötig hohe Kosten
vermieden werden konnten. Ein Instandhaltungsplan sorgt dafür,
dass Veränderungen zukünftig frühzeitig erkannt werden, um
größere Schäden zu vermeiden.
Jahrelang hat sich die Instandsetzungspolitik von Bund, Ländern
und Kommunen ausschließlich auf das Allernötigste konzentriert.
Das Ergebnis dieser Politik ist mittlerweile unübersehbar: Viele
öffentliche Bauwerke sind in besorgniserregendem Zustand und
stehen kurz vor dem Verfall. „Abgesehen von den erheblichen
sicherheitstechnischen Risiken,“ so Dipl.-Ing. Marco Götze,
Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von
Betonbauwerken e.V., werden durch diese Politik unnötig hohe
Zusatzkosten für die Instandsetzung provoziert, die durch
regelmäßige Kontrollen und durch eine unmittelbare fachgerechte
Beseitigung der Schäden vermeidbar wären.“ Götze verweist
darauf, dass sich gerade Schäden im Anfangsstadium mit relativ
geringem Kostenaufwand beheben lassen.
Geradezu vorbildlich hat sich vor diesem Hintergrund die
hessische Stadt Gernsheim verhalten: Als an einem über 40 Jahre
alten innerstädtischen Unterführungsbauwerk Betonabplatzungen
wahrgenommen wurden, war dies Anlass für die verantwortlichen
Kommunalpolitiker, einen sachkundigen Planer mit einer
umfassenden Schadensanalyse zu beauftragen. Ziel war, die
Verkehrs- und Standsicherheit des vielgenutzten Bauwerks wieder
herzustellen und es fit für die Zukunft zu machen. „Hier wurde“,
betont Dipl.-Ing. Manfred Krieger, Geschäftsführer der mit der
Ist-Zustandsfeststellung sowie dem Instandsetzungskonzept
beauftragten SiB Ingenieurgesellschaft mbH aus Ober-Mörlen,
„verantwortlich gehandelt und wirtschaftlich gedacht.“ Auch
Projektleiter Dipl.-Ing. Karl-Jörg Seelbach bestätigt: „Die
Sanierung erfolgte in einem Stadium, das wirtschaftlich
vernünftig war.“
Damit entspricht die Durchführung der Maßnahme den Empfehlungen
der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken
e.V. „Wenn Schäden auftreten, dann gleich und grundlegend
sanieren,“ sagt der Vorsitzende Marco Götze. „Weil man ja weiß,
dass die Sanierungskosten nicht linear mit den Schäden
fortschreiten, sondern sich exponentiell verhalten.“
Schadensdiagnose
Die innerstädtische Unterführung der südwestlich von Darmstadt
gelegenen Gemeinde Gernsheim besteht aus zwei separaten
Brückenbauwerken, die rechts und links parallel zu einer
Unterführung der Bahnstrecke Darmstadt-Mannheim mit vier
Hochgeschwindigkeitsgleisen angeordnet sind. Darunter verlaufen
eine innerörtliche Hauptverkehrsstraße sowie ein Rad- und
Gehweg, der über eine spindelförmige Rampe mit den darüber
liegenden Straßenanschlüssen verbunden ist.
An der in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus
Stahlbeton erstellten Anlage wurden seit der Fertigstellung
keine Instandsetzungsarbeiten durchgeführt. Betonabplatzungen,
freiliegende Bewehrungen, offene Fugen und Risse im Beton waren
jetzt Anlass für die Stadt, eine umfassende Bauwerksprüfung zu
veranlassen, die schließlich das tatsächliche Ausmaß der Schäden
ans Licht brachte.
Um festzustellen, ob die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit
und Dauerhaftigkeit des Bauwerks durch Risse und Schadstellen
beeinträchtigt sind, wurden zunächst die Oberflächen des
Bauwerks auf Hohlstellen abgeklopft. „Überall, wo Hohlstellen
sind,“ weiß Dipl.-Ing. Karl-Jörg Seelbach, „sind auch
Schadstellen.“ Grundsätzlich seien Risse im Beton nicht zu
vermeiden. „Ihre Breite darf jedoch ein bestimmtes Maß nicht
überschreiten.“
An verschiedenen Stellen des Bauwerks entnahmen die Ingenieure
der SiB Ingenieurgesellschaft mbH, einem Mitglied der
Landesgütegemeinschaft Betoninstandsetzung und Bauwerkserhaltung
Hessen - Thüringen e.V., Bohrkerne, um die
Betondruckfestigkeiten zu ermitteln. Im Druckversuch zeigte
sich, dass die geforderten Mindestdruckfestigkeiten an den
einzelnen Bauteilen mit Ausnahme der Aufkantungen erfüllt
wurden. Auch die Oberflächenzugfestigkeit (Abreißfestigkeit) des
Betonuntergrundes wurde untersucht. Diese ist ein wichtiges
Kriterium dafür, ob im Anschluss an die Instandsetzung ein
Oberflächenschutzsystem ohne weitere verfestigende Maßnahmen auf
die gesamte Betonfläche aufgetragen werden kann – auch an den
Stellen, an denen keine Instandsetzung erforderlich war.
Im Fokus stand aber vor allem die Frage nach dem
Korrosionsschutz des im Beton liegenden Bewehrungsstahls. Mit
einem geeigneten Scan-Gerät, das eine zerstörungsfreie
Untersuchung ermöglicht, konnten die Experten die Betondeckung
der Bewehrung bestimmen. Die Karbonatisierungstiefe wurde
parallel anhand von entnommenen Bohrkernen ermittelt (Einfärbung
mittels Phenolphthaleinlösung). Dabei stellte sich heraus, dass
die Betondeckung größtenteils nicht ausreichend war. Die
Bewehrung lag in großen Teilen im karbonatisierten und damit im
ungeschützten Bereich. Speziell an den Stützwänden der Bauwerke
sowie an den Brückenkappen und Aufkantungen war der
Karbonatisierungsprozess bereits weit fortgeschritten. Die
Bewehrung war hier so deutlich korrodiert, dass die daraus
resultierende Volumenvergrößerung zu den beobachteten
Abplatzungen führte.
Auch im Sockelbereich stellten die Fachleute der SiB
Ingenieurgesellschaft mbH einen ungenügenden Korrosionsschutz
der Stahlbewehrung fest. Betroffen waren vor allem Bauteile im
Spritzwasserbereich. Sie wiesen durchgehend eine zu geringe
Betondeckung auf. Außerdem fehlte ein Oberflächenschutzsystem,
so dass Wasser und vor allem Tausalze ungehindert in die
Konstruktion eindringen konnten. Dadurch war die Bewehrung dem
direkten Angriff von Chloriden ausgesetzt.
Instandsetzungskonzept
Die umfassende Erhebung des Ist-Zustandes durch die Ingenieure
der SiB Ingenieurgesellschaft mbH war Grundlage für das
Instandsetzungskonzept, das den aktuellen Schadensmechanismus
nicht nur stoppen, sondern auch zukünftige Schädigungen
weitgehend ausschließen soll. Da es sich um ein Verkehrsbauwerk
handelt, galten für die Instandsetzung die Zusätzlichen
Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für
Ingenieurbauten (ZTV-ING). Hier wird die
„Standsicherheitsrelevanz“ der Maßnahme vorausgesetzt. Demnach
ist ein sachkundiger Planer mit den erforderlichen besonderen
Kenntnissen auf dem Gebiet der Instandsetzung von Betonbauwerken
einzuschalten. Das Instandsetzungskonzept sowie weitere
detaillierte Planungsschritte mit Leistungsverzeichnis waren
Basis für die öffentliche Ausschreibung. Die Mitgliedschaft in
einer Gütegemeinschaft mit einer vom BMVI anerkannten Prüf- und
Überwachungsstelle war Voraussetzung für die Abgabe des
Angebotes.
Als Teil der Betonschadensdiagnose erhielt der Bauherr eine nach
Prioritäten gestaffelte Empfehlung zur Durchführung der
notwendigen Maßnahmen inklusive einer ersten Kostenschätzung.
Damit bestand die Möglichkeit, die Instandsetzung je nach
Dringlichkeit der einzelnen Maßnahmen über einen längeren
Zeitraum zu strecken und die erforderlichen Mittel entsprechend
im kommunalen Haushalt einzuplanen. Im vorliegenden Fall
entschied sich der Bauherr jedoch für eine sofortige
Instandsetzung sämtlicher Schäden. Die Maßnahme erstreckte sich
über insgesamt eineinhalb Jahre. Dabei musste wetterbedingt eine
dreimonatige Winterpause eingelegt werden.
Instandhaltungsplan
Ein von der SiB Ingenieurgesellschaft mbH erstellter
Instandhaltungsplan ergänzt das Instandhaltungskonzept mit dem
Ziel, größere Schäden zukünftig zu vermeiden. Er sieht eine
regelmäßige Begehung der Unterführungsbauwerke vor.
Schadensentwicklungsansätze können so schnell erkannt und
behoben werden. Gemäß DIN 1076 unterliegt die Anlage
grundsätzlich einem Zyklus der Bauwerksprüfung, der sich mit
einfacher Prüfung, Sicht- und Hauptprüfung über sechs Jahre
erstreckt.
Ausführung
Vor Beginn der Instandsetzung waren wegen der benachbarten
Hochgeschwindigkeitsstrecken der DB besondere Schutzmaßnahmen
erforderlich, um die Arbeiter nicht zu gefährden. Auf Bahnseite
wurde eine statisch geprüfte und von der Bahn genehmigte
Schutzwand errichtet. So konnten die Arbeiten sicher, jedoch
ohne Beeinträchtigung des Bahnverkehrs, ausgeführt werden.
Zusätzlich waren Sicherheitskräfte der Bahn vor Ort, die darauf
achteten, dass kein Arbeiter in den gefährlichen Bereich kommt.
Voraussetzung für eine fachgerechte Instandsetzung, die hier
exemplarisch am Beispiel der Stützwände beschrieben wird (die
Instandsetzung der Brückenbauwerke erfolgte analog), ist vor
allem die richtige Vorbereitung des Untergrundes. Daher wurden
zunächst alle Flächen der Stützwände sowie im Sockelbereich im
Höchstdruckwasserstrahlverfahren bearbeitet. Dabei wird die
Oberfläche so weit aufgeraut, dass das oberflächennahe Korn
vollständig freiliegt. Im Sockelbereich wurde der durch Chlorid
belastete Beton bis auf eine Tiefe von 4 cm und einer mittleren
Höhe von 50 cm abgetragen. Zuvor hatten die Ingenieure im Rahmen
der Schadenserhebung ein Chloridkataster erstellt, mit dem sie
sich einen genauen Überblick über den Umfang der vorhandenen
Schädigungen verschafften. PCB-belastete Fugen konnten unter
Einhaltung der erforderlichen Schutzmaßnahmen ausgebaut werden.
Anschließend wurden die Schadstellen punktuell instandgesetzt.
Dazu entfernten die Arbeiter vorsichtig, um die Stähle nicht
zusätzlich zu schädigen, alle lockeren, hohlliegenden und
geschädigten Betonbereiche und legten die Bewehrung frei. Einige
Schadstellen wurden bis zu einer Tiefe von 7 cm freigestemmt.
Im nächsten Schritt erfolgte die Entrostung der korrodierten
Bewehrung entsprechend dem Norm-Reinheitsgrad Sa 2½. Besonders
stark korrodierte Bewehrung wurde aus statischen Gründen durch
den Einbau einer Zulagebewehrung ergänzt. Die so bearbeiteten
Bewehrungsstähle erhielten einen mineralischen Korrosionsschutz,
danach erfolgte der Auftrag einer Haftbrücke. Die Reprofilierung
der Schadstellen führten die Handwerker mit einem
kunststoffvergüteten Reprofilierungsmörtel (PCC-Mörtel) aus, der
statisch anrechenbar ist. Anschließend konnten die Schadstellen
verschlossen werden. Die Reprofilierung des abgetragenen Betons
im Sockelbereich erfolgte mit Spritzmörtel mit Kunststoffzusatz
(SPCC). Zur Erhöhung der Betondeckung wurde abschließend auf der
gesamten Fläche SPCC in 4 cm Dicke eingebaut.
Ein ganzflächig aufgetragenes OS-C-Oberflächenschutzsystem,
bestehend aus einer PCC- Feinspachtelung und einer
CO2-bremsenden Beschichtung in betongrau, bietet vorbeugenden
Schutz vor betonschädlichen Stoffen. Die Fugensanierung mit
einem Dichtstoff auf Polyurethanbasis schützt vor dem Eindringen
von Feuchtigkeit und aggressiven Stoffen. Risse wurden
grundsätzlich kraftschlüssig mit Epoxidharz verpresst.
Qualitätssicherung
Umfangreiche und gründliche Vorbereitungen der Arbeiten durch
eine umfassende Bestandsaufnahme und ein darauf basierendes
Instandsetzungskonzept waren bei der Instandsetzung der
Unterführung Gernsheim die Grundlage für die hohe Qualität der
Arbeiten, deren Dauerhaftigkeit durch einen Instandhaltungsplan
gewährleistet wird.
Die fachgerechte Ausführung der Arbeiten wurde durch Eigen- und
Fremdüberwachung sichergestellt. Bedingung für die Abgabe des
Angebotes war deshalb die Mitgliedschaft in einer
Gütegemeinschaft mit einer vom BMVI anerkannten Prüf- und
Überwachungsstelle sowie der Nachweis, dass die Eigenüberwachung
durch entsprechend qualifiziertes Personal gemäß den ZTV-ING
Teil 3 Abschnitt 4 Ziff. 1.7.2 - nachgewiesen mit dem sog. „SIVV-Schein“
und einer Weiterbildung, die nicht länger als 3 Jahre
zurückliegen darf, gewährleistet werden kann.
Rita Jacobs M.A. und Dipl.-Ing. Christoph Bock
Bautafel
Bauherr: Stadt Gernsheim
Planung, Überwachung und SiGeKo: SiB Ingenieurgesellschaft mbH, Ober-Mörlen
www.betoninstandsetzer.de/