Foto (c) Kulturexpress |
Auf dem Foto Carolina López |
Diesmal
geht die Lesereise an die Bergerstraße zu Anfang des 20.
Jahrhunderts. Benjamin wird im Jahre 1919 geboren, seine
Kindheitsjahre werden durch das Bild der unteren
Bergerstraße´geprägt. Dort stehen überwiegend mehrstöckige
Bürgerhäuser, die in der Gründerzeit erbaut worden sind. Erste
Autos fuhren schon und auf der Bergerstraße waren
Straßenbahnschienen. Davon und von den Seitenblicken auf die
Umgebung erzählt Benjamin.
Heckmanns Buch liest
sich flüssig. Dennoch entsteht der atmosphärische Eindruck des
Rückblicks auf eine vergangene Zeit in Frankfurt und an der
Bergerstraße, die wie damals als Lebensader der Stadt gilt. Orte
im Roman haben sich wie zur Jahrhundertwende erhalten. Viele
Stellen sind von den Zerstörungen im Krieg verschont geblieben.
Die Häuser an der Bergerstraße zeugen bisweilen von bürgerlichem
Wohlstand, der an der unteren Bergerstraße mehr vorherrschte als
an der oberen. Die obere Bergerstraße wird zum Teil von
Fachwerkhäusern geprägt, dort wo Apfelweinkneipen und
verwinkelte Gassen die Szenerie ausmachen, spielt der Roman eher
nicht. Wie mir Carolina López, Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit bei Schöffling & Co. erläuterte, handelt
es sich um einen Roman aus dem liberalen Frankfurt. Auf meine
Frage, was denn an Frankfurt mit liberal gemeint sei - ich
empfinde Frankfurt mehr expressiv - standen wohl die goldenen
Zwanziger Jahre im Vordergrund, in denen neue gesellschaftliche
Strömungen auch in dieser Stadt stärker toleriert wurden. Was
dann einige Jahre später, wie die Erfahrung lehrt, nach der
Machtübernahme durch die Nazis je wieder enden sollte.
Frankfurt liest ein Buch findet zum achten Mal statt und dauert
vom 24. April bis 7. Mai 2017. Der Roman Benjamin und seine
Väter von Herbert Heckmann aus dem Schöffling & Co. Verlag steht
im Mittelpunkt der großen Leseaktion und ist thematische
Grundlage einer Vielzahl von Veranstaltungen. Vorträge,
Gesprächsrunden, literarische Stadtspaziergänge,
Schulveranstaltungen und Ausstellungen bis hin zu Museums-,
Theater-, Film- und Opernabenden gehören hierzu.
Die
Vielfalt des Programms rund um ein Buch begeistert seit 2010
immer wieder tausende Menschen. Die ausgewählten Bücher und/oder
Autorinnen und Autoren stehen dabei in einem besonderen Bezug
zur Stadt. Das Projekt Frankfurt liest ein Buch wurde initiiert
und konzipiert von dem gemeinnützigen Verein Frankfurt liest ein
Buch e.V. Seine Bedeutung aber verdankt es dem großen Engagement
und Ideenreichtum zahlreicher Frankfurter Institutionen,
Vereine, Buchhändlerinnen und Buchhändler, Privatpersonen und
Prominenten. 2016 wurde Frankfurt liest ein Buch mit dem
BKM-Preis Kulturelle Bildung der Bundesregierung für Kultur und
Medien ausgezeichnet.
Benjamin Weis wird als
Sohn der ledigen Kanzleigehilfin Anna geboren, vom Vater fehlt
jedoch jede Spur. Der Anwalt Fritz Bernoulli nimmt sich der
jungen Familie an, stellt Wohnung und Unterhalt zur Verfügung.
So wächst Benjamin trotz der widrigen Umstände behütet in der
Bergerstraße heran. Er taucht ein in die Welt von Don Quijote
und Robinson Crusoe und erlebt mit seinen Freunden kleine und
große Abenteuer. Doch da seine Mutter auf seine Fragen nach dem
Vater ausweichend mit Märchen antwortet, muss sich Benjamin eben
selbst immer neue Väter erfinden.
Herbert Heckmann zeichnet ein Panorama der zwanziger und
dreißiger Jahre in Deutschland aus der Perspektive eines Kindes,
das sich auf viele Dinge keinen Reim machen kann. Warum sein
Ziehvater als Vaterlandsverräter beschimpft wird, warum niemand
einschreitet, als ein angeblicher Kommunist auf der Straße
zusammengeschlagen wird, warum sein jüdischer Freund nach
Amerika auswandern muss, auf diese Fragen erhält der jugendliche
Benjamin immer noch keine Antworten. Und so lautet sein Fazit:
»Ich scheiße auf alle Väter, die uns ein solches Leben
eingebrockt haben.«
www.frankfurt-liest-ein-buch.de
Benjamin
und seine Väter
Herbert Heckmann
Roman
Schöffling & Co. Verlag
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen
ISBN 978-3-89561-482-8
Herbert Heckmann geb.
1930 in Frankfurt am Main. Sein umfangreiches Werk umfasst neben
Erzählungen und Romanen auch Kinder- und Kochbücher sowie ein
Wörterbuch der Hessischen Mundart. Für den Roman Benjamin und
seine Väter, den die FAZ vorabdruckte, wurde er mit dem Bremer
Literaturpreis ausgezeichnet. Er war Mitherausgeber der Neuen
Rundschau, freier Mitarbeiter beim Hessischen Rundfunk,
Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung,
Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main
und gehörte zahlreichen Jurys an. Er starb 1999 in Bad Vilbel.
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