Der
architektonische Einfluss auf den niederländisch sprechenden
Landesteil in Belgien durch die Niederlande war in den letzten
dreißig Jahren vielfältig. Das ist nicht verwunderlich, denn
bekannterweise stehen Sprache und Architektur eng beieinander.
Gebaute Umwelt ist die Manifestation dessen, wobei Sprache
besonders geeignet ist, um den Dialog zwischen den Volksgruppen
anzuregen. Dem zumindest widmet sich die Ausstellung im Deutschen
Architekturmuseum. Gleichzusetzen mit der Suche nach
Auseinandersetzung zwischen Region, Landesgrenze und darüberhinaus.
Die Niederländer verfügen bekannterweise über ein starkes
architektonisches Rückrat. Stilistisch wie erfinderisch ist aus
diesem Land immer wieder mit Neuerungen zu rechnen, was über die
Grenzen hinaus bis nach Deutschland vorgedrungen ist. Doch in
den letzten Jahren scheint die Euphorie etwas abzuebben. Das
Schlagwort niederländische Architektur rückte etwas in den
Hintergrund. Dafür sollen die Flamen aufholen und den
Niederländern gegenüber gleichberechtigt auftreten. Schließlich
entstehen auch in Flandern großartige Projekte, die
seinesgleichen suchen. Die flämische Kunst steht der
niederländischen Kunst in nichts nach. Also auch hier sind Köpfe
tätig, die großartige Entwürfe zu Wege bringen. Das zeigt die
Ausstellung im ersten Stock des Museums.
Typisch
daran sind die gewählten Einblicke. Die vielen Tische die
aufgestellt wurden und beinahe labyrinthisch angeordnet den Weg
durch das Innere der Ausstellung bahnen. Dennoch übersichtlich
flankiert durch die vielen Modelle, die in einem
fensterähnlichen Interieur aufgebaut wurden. Fensterblicke
werden dem Besucher gewährt. Das geschieht in gewohnter
niederländischer Manier, wenn der Blick durch die Gardinen
wandert. Eine Art Rahmung des Interieurs hält den Betrachter
gefangen, um tiefere Einblicke zu gewinnen. Weiß und gewellt
erscheinen die Vorhangreihen. Darin steckt auch etwas
flüchtiges, was für Momente endlose Reihen erzeugt bis hinein in
die große Wunderkammer. Regale mit Modellentwürfen gebauter und
noch zu bauender Projekte erwarten den Besucher auf seiner Bahn
durch Ausstellung und Labyrinth.
Die Fotos bei den Modellen, eines in Farbe und eines in s/w,
sollen zum einen den Blick aufs Gebäude und zum anderen den
Blick weg vom Gebäude aufzeigen.
Schwerpunkte im Ausstellungsraum sind mit Aufschriften
beschildert. Am Beispiel Wohnen werden zwar Widersprüche
zwischen Niederländern und Flamen hervorgehoben, die aber nicht
fundamental sind, sondern der Entwicklung entsprechen, die ein
Land gerade durchläuft. Viele der Bauten sind
Bestandsbauten, die anhand
der Modelle erst Position erhalten. Bauliche Eingriffe werden mit
großer Autonomie angegangen, heißt es zu den Flamen. Obwohl Vergangenheit sichtbar
bleiben soll, wurzelt der Entwurf in der Gegenwart.
Das Durchschnittsalter junger Architekten in den Niederlanden,
die Gelegenheit haben und bauen dürfen, liegt viel niedriger als
dies in Deutschland üblich ist. Das ist eine
gesellschaftlich-politische Frage die sich stellt: Bis in
Deutschland ein Architekt zum Zuge kommt, muss dieser schon alt
und grau geworden sein, vorher geschieht das nicht. Während
unsere Nachbarn und die Anrainerländer in dieser Hinsicht viel
fortschrittlicher denken und den jungen Architekten viel stärker
Zugang zu ausgefüllter Bautätigkeit erlauben. Viele flämische
Architekten sind von Rem Koolhaas beeinflusst. Die Planung ist ein
Sachverhalt, der bei den Niederländern viel stärker zur Geltung
kommt, so dass Landschaftsstriche systematisch bearbeitet wurden. In Flandern
dagegen bildet die Planung solcher doch eher eine Ausnahme. Das trifft
allerdings auch auf städtebauliche Projekte zu, die in den
Niederlanden von je her viel stärker mit Erfolg umgesetzt worden
sind.
Christoph Grafe, Direktor des Flämischen
Architekturinstituts (VAi), fügte hinzu,
in Flandern gibt es ein System bei der Verteilung öffentlicher und
halböffentlicher Bauaufträge an Architekten, wonach immer fünf
Architekten je Auftrag ausgewählt werden. Davon sind mindestens
drei Internationale und immer auch ist ein junger nicht
renommierter Architekt an der Ausschreibung beteiligt.
Funktioniert in Flandern
und wurde vom flämischen Baumeister eingesetzt.
Zum Modell finden sich Erläuterungen, wie dieser Architekt und
dieses Gebäude in Relation zum Thema der Ausstellung steht. Die
Vorzeichen sind ganz auf Nachbarschaft gesetzt: Während sich die
niederländische Architektur unter dem Markenzeichen "Superdutch"
in den 1990er-Jahren noch internationaler Aufmerksamkeit
erfreute, befassten sich in Flandern junge Architekten stärker
mit der Autonomie in der Architektur auch in Bezug zu anderen
Kunstformen.
Es zeigt sich, niederländische und flämische Architektur haben
sich seit der Finanzkrise von 2008 in einer für die jüngere
Geschichte unbekannten Weise angenähert. Das liegt vor allem
begründet im gemeinsamen Interesse einiger Architekten am
Prinzip der Kontinuität. Der Verzicht auf die Charta von Venedig
ist gleichbedeutend mit einer eindeutigen Ablehnung der Trennung
zwischen Alt
und Neu. Die Spuren im Städtebau verwischen auf diese Weise auch
auf Kosten einer Urheberschaft. Demnach ist der Verzicht auf
Diskontinuität, das ist die Trennung zwischen Alt und Neu, der
Grund für Kontinuität im Bauen.
Ein Ausstellungsbericht von Kulturexpress
www.dam-online.de