Maatwerk -  Architekturdialog zwischen Flandern und den Niederlanden im DAM

Foto (c) Kulturexpress

v.l.n.r.: Peter Cachola Schmal, Sofie de Caigny und Christoph Grafe     

Der architektonische Einfluss auf den niederländisch sprechenden Landesteil in Belgien durch die Niederlande war in den letzten dreißig Jahren vielfältig. Das ist nicht verwunderlich, denn bekannterweise stehen Sprache und Architektur eng beieinander. Gebaute Umwelt ist die Manifestation dessen, wobei Sprache besonders geeignet ist, um den Dialog zwischen den Volksgruppen anzuregen. Dem zumindest widmet sich die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum. Gleichzusetzen mit der Suche nach Auseinandersetzung zwischen Region, Landesgrenze und darüberhinaus.

 

Die Niederländer verfügen bekannterweise über ein starkes architektonisches Rückrat. Stilistisch wie erfinderisch ist aus diesem Land immer wieder mit Neuerungen zu rechnen, was über die Grenzen hinaus bis nach Deutschland vorgedrungen ist. Doch in den letzten Jahren scheint die Euphorie etwas abzuebben. Das Schlagwort niederländische Architektur rückte etwas in den Hintergrund. Dafür sollen die Flamen aufholen und den Niederländern gegenüber gleichberechtigt auftreten. Schließlich entstehen auch in Flandern großartige Projekte, die seinesgleichen suchen. Die flämische Kunst steht der niederländischen Kunst in nichts nach. Also auch hier sind Köpfe tätig, die großartige Entwürfe zu Wege bringen. Das zeigt die Ausstellung im ersten Stock des Museums.    

 

Typisch daran sind die gewählten Einblicke. Die vielen Tische die aufgestellt wurden und beinahe labyrinthisch angeordnet den Weg durch das Innere der Ausstellung bahnen. Dennoch übersichtlich flankiert durch die vielen Modelle, die in einem fensterähnlichen Interieur aufgebaut wurden. Fensterblicke werden dem Besucher gewährt. Das geschieht in gewohnter niederländischer Manier, wenn der Blick durch die Gardinen wandert. Eine Art Rahmung des Interieurs hält den Betrachter gefangen, um tiefere Einblicke zu gewinnen. Weiß und gewellt erscheinen die Vorhangreihen. Darin steckt auch etwas flüchtiges, was für Momente endlose Reihen erzeugt bis hinein in die große Wunderkammer. Regale mit Modellentwürfen gebauter und noch zu bauender Projekte erwarten den Besucher auf seiner Bahn durch Ausstellung und Labyrinth.

 

Die Fotos bei den Modellen, eines in Farbe und eines in s/w, sollen zum einen den Blick aufs Gebäude und zum anderen den Blick weg vom Gebäude aufzeigen. 

 

Schwerpunkte im Ausstellungsraum sind mit Aufschriften beschildert. Am Beispiel Wohnen werden zwar Widersprüche zwischen Niederländern und Flamen hervorgehoben, die aber nicht fundamental sind, sondern der Entwicklung entsprechen, die ein Land gerade durchläuft.  Viele der Bauten sind Bestandsbauten, die anhand der Modelle erst Position erhalten. Bauliche Eingriffe werden mit großer Autonomie angegangen, heißt es zu den Flamen. Obwohl Vergangenheit sichtbar bleiben soll, wurzelt der Entwurf in der Gegenwart.

 

Das Durchschnittsalter junger Architekten in den Niederlanden, die Gelegenheit haben und bauen dürfen, liegt viel niedriger als dies in Deutschland üblich ist. Das ist eine gesellschaftlich-politische Frage die sich stellt:  Bis in Deutschland ein Architekt zum Zuge kommt, muss dieser schon alt und grau geworden sein, vorher geschieht das nicht. Während unsere Nachbarn und die Anrainerländer in dieser Hinsicht viel fortschrittlicher denken und den jungen Architekten viel stärker Zugang zu ausgefüllter Bautätigkeit erlauben. Viele flämische Architekten sind von Rem Koolhaas beeinflusst. Die Planung ist ein Sachverhalt, der bei den Niederländern viel stärker zur Geltung kommt, so dass Landschaftsstriche systematisch bearbeitet wurden. In Flandern dagegen bildet die Planung solcher doch eher eine Ausnahme. Das trifft allerdings auch auf städtebauliche Projekte zu, die in den Niederlanden von je her viel stärker mit Erfolg umgesetzt worden sind.

 

Christoph Grafe, Direktor des Flämischen Architekturinstituts (VAi), fügte hinzu, in Flandern gibt es ein System bei der Verteilung öffentlicher und halböffentlicher Bauaufträge an Architekten, wonach immer fünf Architekten je Auftrag ausgewählt werden. Davon sind mindestens drei Internationale und immer auch ist ein junger nicht renommierter Architekt an der Ausschreibung beteiligt. Funktioniert in Flandern und wurde vom flämischen Baumeister eingesetzt.

Zum Modell finden sich Erläuterungen, wie dieser Architekt und dieses Gebäude in Relation zum Thema der Ausstellung steht. Die Vorzeichen sind ganz auf Nachbarschaft gesetzt: Während sich die niederländische Architektur unter dem Markenzeichen "Superdutch" in den 1990er-Jahren noch internationaler Aufmerksamkeit erfreute, befassten sich in Flandern junge Architekten stärker mit der Autonomie in der Architektur auch in Bezug zu anderen Kunstformen.

Es zeigt sich, niederländische und flämische Architektur haben sich seit der Finanzkrise von 2008 in einer für die jüngere Geschichte unbekannten Weise angenähert. Das liegt vor allem begründet im gemeinsamen Interesse einiger Architekten am Prinzip der Kontinuität. Der Verzicht auf die Charta von Venedig ist gleichbedeutend mit einer eindeutigen Ablehnung der Trennung zwischen Alt und Neu. Die Spuren im Städtebau verwischen auf diese Weise auch auf Kosten einer Urheberschaft. Demnach ist der Verzicht auf Diskontinuität, das ist die Trennung zwischen Alt und Neu, der Grund für Kontinuität im Bauen.

 

Ein Ausstellungsbericht von Kulturexpress

 

www.dam-online.de

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 09. Oktober 2016