Deutsche Industrie: Beschäftigungsaufbau dürfte enden

Die Autoren sind Eric Heymann und Philipp Büchner, Meldung: Deutsche Bank, dbresearch

Auf dem Foto: Eric Heymann, dbresearch
Das Verarbeitende Gewerbe ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in Deutschland. Im ersten Halbjahr 2016 waren hier durchschnittlich über 5,2 Mio. Menschen beschäftigt. Gegenüber Anfang 2005 ist die Mitarbeiterzahl damit um 6,3 Prozent gewachsen – trotz der tiefen Rezession von 2008/09.

Auf Branchenebene verzeichneten der Maschinenbau, das Ernährungsgewerbe, die Gummi- und Kunststoffindustrie sowie die Metallindustrie im genannten Zeitraum überdurchschnittliche Zuwächse. Zuletzt hat sich der Beschäftigungsaufbau in der deutschen Industrie verlangsamt. Angesichts des geringen globalen Wirtschaftswachstums und der verhaltenen Investitionstätigkeit dürfte die Industriebeschäftigung bis 2017 eher stagnieren – allerdings auf hohem Niveau.

Im Juni 2016 waren gut 5,2 Mio. Menschen im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland beschäftigt. Dies entspricht einem Plus von 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Lässt man die typischen saisonalen Schwankungen unberücksichtigt, setzt sich damit der Aufwärtstrend fort, der Mitte 2010 einsetzte. Damals erreichte die Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe – als Folge der globalen und nationalen Rezession 2008/09 – mit knapp 4,8 Mio. Menschen einen Tiefstand. Dank der anschließend einsetzenden konjunkturellen Erholung übertraf die Zahl der Industriebeschäftigten im 1. Halbjahr 2016 das Niveau des 1. Halbjahres 2010 um gut 9 Prozent. Auch gegenüber dem bereits hohen Vorkrisenniveau (1. Halbjahr 2008) ist ein Plus von 3,2 Prozent zu verzeichnen. Dies ist im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten ein positiver Trend.

In der Grafik ist die indexierte Zahl der Beschäftigten in den sieben größten Industriebranchen (nach Mitarbeiterzahl) in Deutschland dargestellt. An der Spitze lag im Durchschnitt des 1. Halbjahres der Maschinenbau mit gut 900.000 Beschäftigten. Es folgen die Automobilindustrie (760.000), die Metallindustrie (750.000), die Elektrotechnik (624.000), das Ernährungsgewerbe (397.000), die Gummi- und Kunststoffindustrie (331.000) sowie die Chemieindustrie (291.000; ohne Pharmaindustrie). Auf diese Sektoren entfielen zuletzt knapp 78 Prozent aller Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe.

Maschinenbau mit besonders starkem Wachstum

Auf Branchenebene hat sich die Beschäftigtenzahl durchaus unterschiedlich entwickelt. Von den genannten Sektoren verzeichnete der Maschinenbau im langfristigen Vergleich (1. Halbjahr 2016 gegenüber dem entsprechenden Zeitraum von 2005) den höchsten Beschäftigungszuwachs (+19,3 Prozent). Der Branche kommt zugute, dass sie einen relativ hohen heimischen Wertschöpfungsanteil hat. Seit Ende 2014 erfolgt im Maschinenbau jedoch kein Beschäftigungsaufbau mehr, was u.a. mit der international nur verhaltenen Nachfrage nach Investitionsgütern erklärt werden kann. Auf Platz 2 folgt das Ernährungsgewerbe (Beschäftigungszuwachs H1 2016 gg. H1 2005: +13,1 Prozent). Hier sind die saisonalen Schwankungen (z.B. in Abhängigkeit von Ernten) stark ausgeprägt, aber der generelle Trend zeigt relativ stabil nach oben. Selbst während der Rezession 2008/09 ging die Beschäftigung im Ernährungsgewerbe nicht zurück. Im langfristigen Vergleich konnten auch die Gummi- und Kunststoffindustrie (+12,6 Prozent) sowie die Metallindustrie (+9,3 Prozent) nennenswerte Zuwächse verzeichnen. Beide Branchen sind wichtige heimische Zulieferer für die erfolgreiche deutsche Automobilindustrie. Innerhalb der Metallindustrie entwickelte sich dabei die rohstoff- und energieintensive Metallerzeugung (-0,7 Prozent) deutlich schlechter als die Herstellung von Metallerzeugnissen (+14,8). Überkapazitäten etwa in der Stahlerzeugung haben hierbei eine Rolle gespielt.

Automobilindustrie seit der Krise mit kräftigen Zuwächsen

In der Automobilindustrie (+2,1 Prozent) sowie der Elektrotechnik (+0,5 Prozent) fiel der Beschäftigungszuwachs im Betrachtungszeitraum deutlich geringer aus. In der Automobilindustrie ist das u.a. darauf zurückzuführen, dass bereits zwischen 2005 und dem Beginn der Krise Ende 2008 die Beschäftigung tendenziell abnahm; darin unterscheidet sie sich von den meisten anderen Sektoren. Der Rückgang setzte sich während der Rezession zwar beschleunigt fort. Seit dem Tiefpunkt Anfang 2010 ist jedoch ein überproportional starker Beschäftigungszuwachs in der Automobilindustrie zu verzeichnen. In dieser Zeit wuchs die inländische Produktion in der Automobilindustrie deutlich schneller als im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes. Insgesamt hat sich (nicht nur) in der Automobilindustrie der Anteil der hochqualifizierten Arbeitskräfte (z.B. im F&E-Bereich) an der Gesamtzahl der Beschäftigten erhöht. Der Anteil der Mitarbeiter in der Produktion ist dagegen gesunken. Hier ist die Konkurrenz zu Produktionsstätten im Ausland besonders groß. Dies trifft auch auf Teile der Elektrotechnik zu, was hier den unterdurchschnittlichen Beschäftigungsaufbau erklärt. Die Chemieindustrie ist die einzige der hier betrachteten Branchen, in der im 1. Halbjahr 2016 die Zahl der Beschäftigten niedriger ausfällt als im 1. Halbjahr 2005 (-0,6 Prozent). Maßgeblich hierfür sind u.a. das schwache inländische Produktionswachstum der Branche sowie die unterdurchschnittlichen Investitionen der Chemieindustrie in hiesige Standorte. Das reale Nettoanlagevermögen der Chemieindustrie in Deutschland ist in den letzten Jahren stetig gesunken.

Unter dem Strich lässt sich zur Beschäftigungsentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland in den letzten Jahren ein positives Fazit ziehen. Trotz anhaltender Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität in den Unternehmen, einer nur verhaltenen Produktions- und Investitionstätigkeit der Industrie im Inland sowie intensiver internationaler Konkurrenz nahm die Zahl der Beschäftigten seit der Rezession und auch im langfristigen Vergleich zu. Hierzu haben auch die bis Mitte der letzten Dekade durchgeführten Arbeitsmarktreformen beigetragen. Seit einiger Zeit verlangsamt sich jedoch der Beschäftigungsaufbau in Deutschland. Dies dürfte auf das nur geringe globale BIP- und Investitionswachstum sowie politische und wirtschaftliche Risiken in und außerhalb Europas zurückzuführen sein. Hinzu kommt, dass verschiedene Industriebranchen Erweiterungsinvestitionen eher im Ausland statt im Inland tätigen. Durch Entscheidungen der aktuellen Bundesregierung haben sich zudem die regulatorischen Rahmenbedingungen z.B. im Bereich der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik eher verschlechtert. Zunehmend macht sich aber auch das sinkende Arbeitskräftepotenzial bemerkbar. Letztlich erwarten wir, dass die Industriebeschäftigung bis einschließlich 2017 in etwa stagnieren wird. Eine solche Stagnation würde jedoch auf einem sehr hohen Niveau erfolgen. Mögliche Effekte durch eine erfolgreiche Integration von Migranten dürften sich erst in den Folgejahren niederschlagen.

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 02. September 2016