Sigmar Polke. Frühe Druckgrafik mit Witz und
Ironie getragene Botschaften
Mit
einer Auswahl von dreißig Werken präsentiert das Städel Museum
vom 2. März bis 22. Mai 2016 frühe Druckgrafik. Sigmar
Polke (1941–2010) zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten
der deutschen Kunstszene des 20. Jahrhunderts.
Für seine druckgrafischen Werke aus den Jahren 1967 bis 1979
wählt er mit Offset- oder Siebdruckverfahren handwerklich
weniger anspruchsvolle und künstlerisch eher triviale Techniken,
mit denen er scheinbar zufällige, irritierende Kommentare zu
Kunst und Gesellschaft transportiert und verbreitet.
Andere Arbeiten Polkes überraschen durch die ungewöhnliche
Zusammenstellung verschiedenster Drucktechniken und
Materialitäten: So kombiniert er beispielsweise einen Siebdruck
mit Blindprägungen und Stanzungen oder setzt haptische
Oberflächenstrukturen ein. Für die Fertigung eines Offsetdrucks
ist ein Künstler stets auf gelernte Drucker angewiesen. Umso
nachdrücklicher befasst sich Sigmar Polke in seiner
druckgrafischen Arbeit auf die Auswahl von Motiv und Material.
Der Künstler überträgt in seinen Werken oftmals durch Witz und
Ironie getragene Botschaften, die er auch in seinen
Druckgrafiken aufnimmt. Das gedruckte Bild wird mit Mitteln der
Massenproduktion, dem Offsetdruck hergestellt und verbreitet
oder vom Künstler fotografisch inszeniert. Diese Vorgehensweise
bildet bei ihm die Grundlage der künstlerischen Arbeit.
Der 1941 im schlesischen Oels (Oleśnica) geborene Sigmar Polke
gilt als sogenanntes Kriegskind. Er absolvierte zunächst eine
Glasmalerlehre, bevor er sein Studium der Malerei an der
Kunstakademie Düsseldorf begann. Schon während seiner
Studienzeit (1961–1967) unter Gerhard Hoehme und Karl Otto Götz
ging Polke in seinen Gemälden auf Distanz zur vorherrschenden
Tendenz der abstrakten Malerei.
Sein Interesse galt nicht der ungegenständlichen malerischen
Geste, sondern einem künstlerischen Umgang mit den damals
aktuellen verfügbaren Bildwelten der aufstrebenden BRD. Mit den
älteren Kommilitonen Manfred Kuttner (1937–2007), Konrad Lueg
(1939–1996) und Gerhard Richter (geb. 1932) stellte Sigmar Polke
im Jahr 1963 in einem leer stehenden Düsseldorfer Laden aus.
Auch
in seinen druckgrafischen Arbeiten greift der junge Künstler auf
vorgefundene Bildwelten zurück. So diente ihm etwa eine
einfarbige Zeitungsreklame als Vorlage für sein erstes
druckgrafisches Werk, Freundinnen I (1967). Diesen Zeitungsdruck
hat er bereits 1964/65 für Übertragungen in ein Gemälde
verwendet. Das bedeutet, bevor Polke die Druckgrafik anwendete,
hatte er schon erste Gemälde angefertigt. Das imitierte, eigenhändig Punkt für Punkt
gemalte Raster wird in der Druckgrafik durch die Wahl des Offsetverfahrens erzeugt. Die gerasterte Struktur tritt durch
die Vergrößerung des Motivs verstärkt in den Vordergrund. Die
für Polke typischen Rasterpunkte dominieren auch seinen Beitrag
zum 1967 erschienenen druckgrafischen Mappenwerk Grafik des
kapitalistischen Realismus: das in Siebdrucktechnik ausgeführte
Wochenendhaus.
Der Offsetdruck galt in Künstlerkreisen zunächst als unwürdig, da aus
industrieller Produktion wie im Zeitungsdruck verwendet. Kein
manuelles Eingreifen des Künstlers war hierbei vorgesehen.
Robert Rauschenberg nahm beispielsweise Fotos als Lithos auf.
Das galt als kostengünstig. Die Auflagehöhe bestand
aus 80 - 100 Exemplaren. So spielt Polke mit dem Kunstmarkt. Er
wusste, dass seine Kunst unters Volk kommt. Die Verbreitung war
weltweit. Doch wo sind diese Offsetdrucke von Sigmar Polke geblieben?
Ende der 1980er Jahre wurden erste Werke des Künstlers vom
Städel erworben. Der große Kopf (1979) ist eine Montage keine Collage, wie ausdrücklich bemerkt
wurde. Diese war als Druckmontage
mit Scherenschnitt angelegt. Ein großer Bestand aus Sigmar
Polkes Werk gelangte durch die vielen Exponate der Deutschen
Bank mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus in den Besitz des Städel Museum
und der Graphischen Sammlung. Eine Serie ist auch dabei. 14
Offsetdrucke mit der Bezeichnung "Höhere Wesen befehlen" tragen
besonders die ironische Komponente in sich. Letztlich wurden die
Offsetdrucke bei Polke durch die Signatur des Künstlers und die
Nummerierung der einzelnen Blätter zu Unikaten, die nichts mehr
mit der Massenproduktion des Offsetdrucks zu tun hatten.
Neben vorgefundenen Bildern aus Printmedien verwendet Polke für
seine Drucke auch eigene Fotografien wie die eines zum Stern
geformten, mit einer Polaroidkamera aufgenommenen Zollstocks
(Zollstocksterne, 1970), experimentell verarbeitete Negative
(Selbstbildnis, 1971), sichtbar lädierte Vergrößerungen
(Fernsehbild [Kicker], 1971) oder die während einer Reise nach
Amerika im Stadtbild fotografierten New Yorker Bettler (1974).
Letzteres legte er zusammen mit Klaus Staeck auf.
Im Unterschied zu den künstlerischen Techniken des Holzschnitts,
der Radierung oder Lithografie wählt Polke mit Offset und
Siebdruck in der Gebrauchsgrafik übliche Drucktechniken, die
sehr viel höhere Auflagen erlauben. Vor diesem Hintergrund
überrascht es besonders, dass er 1972 für eine Reihe von
Schuldrucken des Landes Nordrhein-Westfalen einen Siebdruck
aufwendig mit Blindprägung und Stanzung versehen ließ und die
einzelnen Exemplare der Auflage durch die individuelle
Überarbeitung mit Glitzerfarben zu Unikaten aufwertete.
In Zusammenarbeit mit der „Griffelkunst-Vereinigung Hamburg“
entstehen 1973 mehrere Editionen, für die Polke als Druckträger
hochwertige Buchbinderpapiere wählt, die sich durch mitunter
haptische Oberflächenstrukturen auszeichnen. Im Druck werden die
Papiere mit Bild- und Textebenen kombiniert. Die aufwendig
umgesetzten Resultate dieser überblendeten Schichten
verunsichern den Betrachter und lassen ihn bei allen
vielversprechend erscheinenden Verweisen letztlich doch im
Ungewissen.
Die Frage nach der Inspiration alles künstlerischen Tuns
beantwortet Polke mit der Äußerung „… Höhere Wesen befehlen“. Es
ist eine selbstironische Entgegnung, unter deren Titel 1968 in
der Edition René Block 14 Offsetdrucke in einer Auflage von nur
50 Exemplaren erscheinen. Später, in der Fotomontage seiner
Druckgrafik Mu nieltnam netorruprup (1975), deren szenisches
Geschehen ein riesiger Fliegenpilz beherrscht, thematisiert
Polke auch die Qualität bewusstseinsverändernder Substanzen.
Den
Abschluss der Schau bildet Polkes Großer Kopf von 1979, ein 1989
durch den Städelschen Museums-Verein für die Graphische Sammlung
erworbenes Werk. Es ist eine komplexe, auf Papier ausgeführte
Arbeit, in der unterschiedliche Motive und bildnerische
Techniken wie Zeichnung, Schablonendruck und Scherenschnitt
miteinander verschränkt sind. Bei aller Nähe dieser
vielschichtigen Gestaltung unterstreicht Großer Kopf die von
Sigmar Polke mit Bedacht berücksichtigten eigenständigen
Qualitäten von Zeichnung, Malerei und Druckgrafik.
www.staedelmuseum.de
Kuratorin: Dr. Jutta Schütt, Leiterin Graphische Sammlung ab
1750 Ausstellungsdauer: 2. März bis 22. Mai 2016 |