Architektur schafft Heimat

Deutsches Architektur Museum kuratiert Beitrag auf der 15. Architekturbiennale in Venedig

Meldung: Presseinfo der Stadt Frankfurt (pia), Autor: Stefan Röttele

Die aktuelle Flüchtlingssituation ist der Ausgangspunkt für die Ausstellung im Deutschen Pavillon auf der 15. Architekturbiennale in diesem Sommer. Das DAM ist ausgewählt worden, die Ausstellung „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ in Venedig zu realisieren. Eine Herausforderung für das Team rund um den Museumsdirektor Peter Cachola Schmal.

Peter Cachola Schmal hat Instinkt, so viel steht fest. Als es allerorten in Deutschland noch darum ging, Tausende von Flüchtlingen notdürftig in Turnhallen, Containern und Zelten unterzubringen, dachte der Leiter des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt schon weiter. Wo und wie sollen all diese Menschen später wohnen? Inzwischen ist das eine der Kernfragen in der Diskussion um das Wie einer erfolgreichen Integration geworden.

Botschaften formulieren
„Making Heimat. Germany, Arrival country“ überschrieben Cachola Schmal und sein Team ihre Bewerbung, die sie im Herbst für den Wettbewerb um die Gestaltung des deutschen Pavillons auf der Architektur-Biennale 2016 von Venedig einreichten, Dauer vom 28. Mai bis 27. November. In einem zweistufigen Verfahren setzten sich die Frankfurter in der international besetzten Fachjury durch. Der endgültige Auftrag kam dann von der Bundesbauministerin Barbara Hendricks, eben der Politikerin, die gerade eine Verdopplung der Bundesmittel für sozialen Wohnungsbau auf jährlich eine Milliarde Euro gefordert hat.

Der Museumsleiter weiß um Bedeutung und Brisanz dieses Themas. Angst habe er keine. „Wir wollen bei der Biennale bewusst auch politische Botschaften formulieren.“ Nur sechs Monate Zeit haben Cachola Schmal, Kurator Oliver Elser und Projektkoordinatorin Anna Scheuermann. Anna Scheuermann und Oliver Elser für die Ausgestaltung der Idee, die Erarbeitung des Auftritts, die Kampagne, das Fundraising. Unterstützt werden sie vom Berliner Büro Something Fantastic. Währenddessen geht die Flüchtlingsdebatte in Deutschland weiter.

Ankunftsstädte konzipieren
Inhaltliche Impulse bekommt das Team auch vom kanadischen Journalisten Doug Saunders, der als Berater wirkt und mit Blick auf kommende Migrationsbewegungen den Begriff der „Arrival City“ geprägt hat. Scheitert die Integration der Neuen, wird ein Ankunftsort zum sozialen Brennpunkt, Brutstätte von Kriminalität und Extremismus, zum Elendsviertel. Gelingt sie, blüht er auf, wird zur Geburtsstätte der neuen Mittelschicht, stabiler Wirtschaft und des sozialen Friedens einer Stadt.

„Frankfurt ist geradezu der Prototyp einer Arrival City, einer erfolgreichen noch dazu“, meint auch deren Oberbürgermeister Peter Feldmann. „Die Stadt ist ein Tor in die deutsche Gesellschaft und damit auch ein Ort, an dem viele Entwicklungen vorweggenommen werden. Deshalb bin ich sehr gespannt und als Stadtoberhaupt natürlich auch überaus interessiert, welche innovativen Lösungen für das drängende Problem einer schnellen Unterbringung und Integration einer großen Anzahl von Menschen die Ausstellung aufzeigen wird. Solche Konzepte werden jetzt dringend gebraucht.“

Wie Feldmann glaubt auch Cachola Schmal, dass gerade in den Ballungsgebieten wie Rhein-Main der Druck auf den Wohnungsmarkt noch einmal massiv zunehmen wird. Die neuen Mitbewohner würden vor allem dorthin gehen, wo es Jobs gibt und wo das Leben günstig ist.

Der Museumsleiter, der sich selbst als „Freund Offenbachs“ bezeichnet, unterstützte vor zwei Jahren die Idee einer gemeinsamen Bewerbung Frankfurts und Offenbachs zur europäischen Kulturhauptstadt, die Oberbürgermeister Peter Feldmann und sein Offenbacher Amtskollege Horst Schneider immer wieder ins Gespräch bringen. Offenbach gibt es nicht nur schon jetzt den höchsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Hessen (2014: 58 Prozent). Dort gibt es auch noch alte brachliegende Industrieflächen, die der Stadtplanung und -entwicklung Chancen eröffnen. Zudem weist Offenbach nach dem NUI-Ranking des Instituts für Mittelstandsforschung die höchste Gründerquote Deutschlands auf. Hier liegen Chancen, auch für Frankfurt, glaubt Cachola Schmal und will ausgehend von Offenbach die Bedingungen einer guten „Arrival City“ formulieren.

Infrastruktur schaffen
Die Gefahr, dass dagegen reine Ausländerviertel entstehen, in denen Parallelgesellschaften gedeihen, sieht auch er. Architektur könne dagegen wenig ausrichten. Eher schon die Stadtplanung. „Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Wohnviertel, die in den 60ern und 70ern entstanden sind, umzubauen.“ Auch müsse darüber nachgedacht, die im Bauplanungsrecht bestehende Trennung zwischen Wohnungen und Gewerbe noch durchlässiger zu machen. „Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt heute sehr viel Gewerbe, das weder laut noch schmutzig ist.“

Dass die Neuankömmlinge in großer Zahl in ländliche Gebiete etwa im Osten Deutschlands ziehen, wie es vereinzelt schon Politiker gefordert haben, glaubt Cachola Schmal dagegen nicht. „Höchstens dort, wo auch schon Infrastruktur ist.“ Aus Nordrhein-Westfalen sei ihm das Beispiel einer verlassenen Siedlung im ehemaligen Braunkohlerevier bekannt, die jetzt wiederbelebt werde. „Das A und O aber sind die Jobs.“

Projektideen sammeln
In Venedig sollen auch praktische Fragen anschaulich werden: Wie baut man möglichst schnell möglichst viele Wohnungen zu günstigen Mieten für wenig Geld? Das ist der Teil des „Wir schaffen das“, auf das nur die Stadtentwickler und Architekten in diesem Land Antworten finden müssen. Das Deutsche Architekturmuseum hat dazu Architekten aus ganz Deutschland aufgerufen, Projektideen zu schicken. „Wichtig war es mir, dass sie möglichst konkret sind, am besten schon kurz vor der Umsetzung stehen.“

Rund 60 Entwürfe hat das Team inzwischen versammelt. Sie stellen den deutschlandweiten Stand der fachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema dar. Allzu viel mag Cachola Schmahl noch nicht verraten. „Einige arbeiten mit Holz, andere mit Metall. Interessanterweise sind wenige Architekten dabei, die wir kannten.“ Viele seien schon mit Beginn der Flüchtlingskrise proaktiv tätig geworden. In München etwa habe sich ein Büro direkt mit einem Containerhersteller zusammengetan, um flexible Modullösungen zu entwickeln. Zur Biennale will das Museum gemeinsam mit der Zeitschrift „Bauwelt“ auch eine Internet-Plattform ins Leben rufen, auf der sich Landräte und Kommunen über den Stand der Dinge umfassend und passgenau informieren können.

Standpunkte mitteilen
Cachola Schmal ist stolz. „Es gibt keine wichtigere Architekturausstellung auf der Welt als die Biennale“, sagt er. Zudem reihe sich das Architekturmuseum ein in eine schon sehr eindrucksvolle und lange Tradition Frankfurter Biennale-Kuratoren wie zuletzt Susanne Gaensheimer, Direktorin des Museums für Moderne Kunst (MMK). Auch das Deutsche Architekturmuseum selbst war schon einmal mit der Aufgabe betraut: 1991, damals noch unter Museumsdirektor Vittorio Magnago Lampugnani.

Making Heimat – das Motto passt perfekt zum Gesamtmotto der Kunstbiennale von Venedig, die in etwa eine Dachmarke darstellt: „Reporting from the front“. Kreativ begibt sich das Museum hier mitten in die politische Arena. „Wir werden eine These haben. Und was wir erzählen, ist unsere kuratierte Meinung“, sagt Cachola Schmal selbstbewusst. Irgendwann, da sei er überzeugt, werde Deutschland ein Einwanderungsministerium haben. „Wir lassen uns momentan auf Flüchtlinge ein. Wir lassen uns noch nicht auf Einwanderer ein.“
 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 02. Februar 2016