Aufzeichnung des Diskussionsabends

TTIP-Verhandlungen und die Folgen für Kultur und Musik in Deutschland

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Das Transatlantische Freihandelsabkommen wird allgemein mit Verbraucherschutz, Reinheitsgebot, Wirtschaft und Handel in Zusammenhang gebracht. Dass damit Kultur und Bildung gleichermaßen geregelt werden sollen, ist Vielen bisher gar nicht bekannt. Kulturschaffende, Musiker, Autoren, Tänzer, Schauspieler befürchten, dass TTIP das Urheberrecht beseitigt und Musik, Literatur, Theater noch mehr als bisher nur mehr nach Gewinn und Verlust berechnet und gefördert werden, ja dass TTIP vielleicht sogar die in Europa etablierte öffentliche Subventionierung von Kunst und Kultur kippt. Wird bald nur mehr Bestand haben, was von internationalen Wirtschaftsunternehmen aufgekauft wurde und sich hochpreisig verkaufen lässt?

 

Solche und andere Fragen diskutierten der Europa-Abgeordnete Thomas Mann (CDU) gemeinsam mit Heinrich Bleicher-Nagelsmann (ver.di/Berlin) und Christian Höppner (Deutscher Musikrat) am 2. Nov. 2015 in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst HfMDK in Frankfurt. Moderiert wurde der Abend von Theo Geißler, dem Chefredakteur der NEUEN MUSIKZEITUNG (Regensburg), der größten deutschsprachigen Musikzeitung. Hochschulpräsident Thomas Rietschel leitete die Diskussion ein.

 

Als erstes muss man sich die Frage stellen, was unterscheidet einen Musikprofessor von einer Handelsware? Musik ist der Treibstoff für Leistungen in der Gesellschaft. TTIP kommt auf leisen Sohlen angeschlichen, keiner weiß genau was überhaupt verhandelt und abgestimmt wurde. Nicht mal Bundestagsabgeordnete wissen mehr. Nur bestimmte Teilnehmer haben Einblick in die Unterlagen. Kopien dürfen davon nicht gemacht werden. Doch Merkel und Gabriel sind für das Handelsabkommen mit den USA. Dabei ist die Matrix von TTIP durch und durch amorph. Auch Belange der Kultur sind Bestandteil der Verhandlungen. Befürworter versprechen sich Verbesserungen im Handelsverkehr und im Austausch von Handelswaren. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze wird erwartet. Kulturkritiker stört das Absinken der Verbraucherstandards. Die EU beteuert zwar, sie wolle das nicht. Doch die Befürchtung läuft darauf hinaus, dass unabhängige Schiedsgerichte und Profianwälte zum Beispiel von amazon gegen einen ganzen Staat vorgehen.

 

Theo Geißler erwähnte das Beispiel, wonach Panama Schadensersatz an einen Zigarettenkonzern zahlen musste, weil der TTIP Vertrag des Landes mit den USA die Veröffentlichung und Bekanntmachung gesundheitsschädigender Wirkung von Zigaretten ausschloss. Panama verlor den Prozess gegen das Zigarettenunternehmen und zahlte Schadensersatz in Millionenhöhe.

 

Zwei Tage vor der Demo von TTIP Gegnern im Berliner Regierungsviertel am 10. Oktober 2015 wurde ein Positionspapier herausgegeben. Danach sind Kultur und Medien nicht Bestandteil der Verhandlungen mit TTIP, was jedoch widerlegt wurde. Denn was ist schon ein Positionspapier aus Deutschland, wenn es um Verhandlungen zwischen der EU und den USA geht. Die Demo am 10. Oktober hatte nach Angaben der Veranstalter 250.000 Teilnehmer. Angaben der Polizei zufolge waren es 150.000 Menschen, die nach Berlin kamen und "Stop TTIP, Stop CETA. Für einen gerechten Welthandel" riefen.

http://www.kulturrat.de/dokumente/puk/puk2015/puk06-15.pdf

 

Wenige Tage vor der Großdemonstration sicherte EU-Handelskommissarin Cäcilia Malmström dem Börsenverein des deutschen Buchhandels zu, dass die Buchpreisbindung durch die TTIPVerhandlungen nicht angetastet, sondern vielmehr durch entsprechende Maßnahmen geschützt werden soll. Kulturstaatsministerin Monika Grütters MdB und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, MdB legten das "Positionspapier der Bundesregierung zu den TTIP-Verhandlungen der EU-Kommission mit den USA im Bereich Kultur und Medien" vor:

 

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/BKM/2015/2015-10-07-positionspapier-ttip.pdf?__blob=publicationFile&v=1

 

Die Verhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Union, die Bundespräsident Norbert Lammert unlängst als zu wenig transparent kritisierte, laufen seit fast zweieinhalb Jahren. Das Vorhaben, mit dem der weltweit größte Wirtschaftsraum entstünde, hat neben ökonomischen vor allem auch rechtliche Implikationen.

 

Der EU Abgeordnete Thomas Mann ist einer der wenigen, die Zugang zu den Unterlagen in den TTIP Verhandlungen haben. Er beschrieb die Situation so: man geht in einen Raum, hat einen Stapel mit etwa 1000 Seiten vor sich liegen und darf lesen. Einziges Instrument ist ein Bleistift um Notizen zu machen. Andere Mittel sind nicht erlaubt. Außerdem herrsche Schweigepflicht über den Inhalt. Der Text sei in einem schlechten Englisch verfasst. Es bleibe also gar nicht die Zeit, um sich ein vollständiges Bild von dem zu machen, was vor einem liegt. Wie sollen hierbei Fragen zu den Inhalten aufkommen, wenn der Text nicht einmal von Sachverständigen gelesen werden darf.

 

Ver.di Sprecher Heinrich Bleicher-Nagelsmann fordert, dass kontinuierlich Druck gemacht werde. Die Franzosen sagten anlässlich einer Theaterkonferenz in England im vorigen Jahr, eine Liberalisierung um TTIP dürfe nicht einfach angenommen werden, denn alles müsse zur Disposition stehen. Nicht nur die Deutschen stellen sich gegen die TTIP Verhandlungen auch die Franzosen sind dagegen. Das wären schon mal zwei Staaten in der EU, falls sich der Widerstand gegen das Abkommen durchsetzt. Wenn eine Finanzierung der Kultur nicht mehr gegeben ist, dann sei das Ende der Verhandlungen erreicht. Rundfunk und Filmbranche sollten ohnehin von den Verhandlungen ausgeschlossen bleiben.

 

Sigmar Gabriel verspricht, das Kultur durch TTIP nicht angetastet wird: Es gibt das UNESCO Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Das ist ein kulturrechtliches Instrument, welches in Europa viel zu selten zur Anwendung kommt. Bleicher-Nagelsmann spezifizierte besagtes Positionspapier von Gabriel und Grütters, wonach ein Gefährdungszustand in Bezug auf Kultur und Medien dennoch bestehe entgegen aller vorherigen Aussagen.

 

Seit 2013 wird verhandelt. 20 verschiedene Arbeitsgruppen mit regelmäßigem Kontakt sind tätig. So viel steht allem Anschein nach fest, am Schluss wird der Kompromiss stehen. Das sehen Christ- als auch Sozialdemokraten so. Die Beteiligten sind konsensorientiert, das ist sicher.

 

Immerhin sei die Kommission und mit ihr EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zu dem Schluss gekommen, dass Ergebnisse die erreicht werden umgehend ins Internet gestellt und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das gilt nur für Ergebnisse nicht für die Verhandlungsphasen. Etwa 500 bis 1000 Anfragen werden zu dem Abkommen abgestimmt. Nicht viel mehr und nicht viel weniger, hieß es dazu. Ein Konflikt ist die andere Philosophie in den USA. Verhandelt werde unter anderem über die europäische Wasserversorgung. Ein heikles Thema, denn was hat die USA mit der europäischen Wasserversorgung zu tun? Begriffe wie Zwangsglobalisierung fielen in diesem Zusammenhang. Im November lief gerade die 11. Verhandlungsrunde zu TTIP. Kultur wird nicht verhandelt, dabei soll es bleiben, meinte der Ver.di Sprecher weiter. Beim Investorenschutz stehen Änderungen bevor. Darauf wird Druck ausgeübt. Die marktwirtschaftliche Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen soll jedoch ausgeschlossen bleiben von den Verhandlungen.

 

Christian Höppner, vom Deutschen Musikrat bemerkte, es werde "mit Nebelkerzen geworfen", keiner Wisse woran man sei bei den Verhandlungen. VDA-Chef Mathias Wissmann fordere zwar, dass innerhalb der Automobilindustrie verstärkt auf Standardisierung mit den USA Wert gelegt werden müsse, um Produktionskosten zu sparen. Das mag richtig und nützlich sein. Man könne die Standardisierung aber nicht auf Kultur oder andere Belange übertragen. Die USA seien beispielsweise online exzellent aufgestellt im Hochschulbereich. Doch Bildung und Kultur in Europa bilden ein Gegengewicht um zu Standards zu gelangen.

 

Ökologisierung ist ein Trend der Gegenwart. Die TTIP Verhandlung um die europäische Wasserversorgung ist verhindert worden, das sei als Erfolg zu werten. Der Rundfunk ist Bestandteil der Technikmöglichkeiten und genießt deshalb keinen Schutz. Das Allgemeinwohl darf nicht einfach geopfert werden. In Hochschulen, Volkshochschulen und Musikschulen besteht das Gleichheitsrecht. Mit anderen Worten: "Kultur braucht kein TTIP!"

 

Matthias Machnig ist Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, auf die Frage was gut sei für Kultur bei TTIP, konnte er keine Antwort geben. Es besteht die Befürchtung, dass sich Musikhochschulen in den USA mit europäischen zusammentun. Folge wäre, dass Studenten 10.000 Euro und mehr an Studiengebühren zahlen müssten, wie das jetzt schon in den USA der Fall ist. TTIP bedeutet Privatschulenbetrieb wie in England üblich.

 

Die Bundesregierung hat Widerspruch angemeldet, wenn Deutschland überstimmt wird von den anderen. Es bestehen unterschiedliche Positionen, was Kultur betrifft. Die europäische Identität sei nicht so einfach zu verstehen wie die in den USA. Was benötigt werde, sind Bündnispartner, die auf ganzer Linie zu uns halten gegen die offiziellen Verhandlungen, um Gemeinsamkeiten zu erreichen.

 

Förderprogramme müssen geschützt bleiben. Kulturelle Vielfalt muss erhalten werden. Es gibt 3 Arbeitsgruppen, die innerhalb der TTIP Verhandlungen über Kultur streiten. Grundsätzlich besteht ein Konflikt zwischen Wunschbild und den Tatsachen, wie sie umgesetzt werden. Dieser Knotenpunkt ist zu lösen. Der Zustrom aus den Kriegsgebieten erfordert eine neue Wertedebatte. Die Bundesregierung könne viele Zweifel entkräften, doch diese beschwichtigt nur.

 

Amazon beherrscht den Markt. Franzosen wollen aussteigen aus den Verhandlungen und ohne die Franzosen läuft nichts in Europa. Künstler sind nicht mehr gefragt. Kultur und Kreativbereich werden zunehmend technikorientierter. Stellt sich die Frage, in welchen Ländern, welche Länder welche Steuern zahlen?  Das Problem sei eben auch, Musiker müssen immer üben und können sich deshalb nicht mit Kulturpolitik befassen. Im Fazit heißt das: "dann stimmen wir TTIP nicht zu, wenn es uns nicht geeignet erscheint".

 

Eine Frage aus dem Publikum nannte den Föderalismus der Bundesländer, der durch TTIP notwendigerweise gesprengt und zur Wirkungslosigkeit gebracht würde. Eine Synchronisation während der Verhandlungen in Bezug auf TTIP findet in vielen Ländern gar nicht statt. Das kann fatale Folgen haben. Wenn TTIP nicht klappt, dann wird eben Plan b benötigt, hieß es. Ein solcher Plan b muss natürlich erstmal erstellt werden. Die grundsätzliche Schieflage zwischen Kultur und Wirtschaft besteht darin, dass diese nicht vermischt werden dürfen. Rechtswesen und Wirtschaftswesen werden mit den Verhandlungen um TTIP viel stärker angesprochen.

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 12. Dezember 2015