Skizzen aus der Industrie

Kohlendioxid (CO2) nicht nur ein Treibhausgas. Chancen der Energierückgewinnung

Meldung: Verband der Chemischen Industrie ,VCI, Frankfurt am Main, 2011

Für den Chemiker Prof. Bernhard Rieger vom Lehrstuhl für Makromolekulare Chemie an der Technischen Universität München steht seit einigen Jahren Kohlendioxid im Fokus seiner Forschungsarbeiten. Im Interview erläutert der Wissenschaftler, über welche ungeahnten Potenziale das Molekül als Synthesebaustein verfügt.

 

Herr Prof. Rieger, als Treibhausgas hat Kohlendioxid (CO2) eine traurige Popularität erlangt. Sie betrachten das Molekül indessen als wichtigen Rohstoff der Zukunft. Haben Sie für die neue Sodawasser-Marke bereits einen treffenden Namen?

 

Rieger: Ins Getränkegeschäft werden wir nicht einsteigen. Vielmehr beabsichtigen wir, das Gas hochwertig in den chemischen Stoffkreislauf zurückzuführen. Zur Verdeutlichung eine Zahl: Weltweit werden jährlich 30 Mrd. Tonnen CO2 produziert. Weniger als ein Promille dieser Menge, Sodawasser eingeschlossen, wird davon bisher industriell verwendet. Ungeachtet der Tatsache, dass wir das Klimaproblem auf rein chemischem Weg nicht lösen können, kamen wir auf die Idee, uns diesen weitgehend brachliegenden Rohstoff einmal näher unter die Lupe zu nehmen.

 

Was verstehen Sie unter einer hochwertigen Rückführung?

Als Endprodukt von Verbrennungsvorgängen ist CO2 ein thermodynamisch stabiles Molekül. Man muss also Energie aufwenden, um es als Baustein in Chemieprodukte zurückzuführen. Die Natur macht das mit Hilfe von Sonnenenergie. Der Aufbau einer CO2- Industrie kann also nur dann gelingen, wenn sich die eingesetzte Energie rechnet und die resultierenden Produkte entsprechend hochwertig sind.

 

In welchem Umfang wird CO2 bereits als Chemierohstoff eingesetzt?

Im Prinzip kann die CO2-Chemie bereits auf eine 150-jährige Tradition zurückblicken. So werden jährlich einige Tausend Tonnen Salicylsäure, der Grundstoff für Aspirin, aus CO2 und Phenol gewonnen. Um weitaus größere Mengen geht es bei der Synthese des wichtigen Düngemittels Harnstoff aus CO2 und Ammoniak. Relativ neu ist die Verwendung von zyklischen Carbonaten, die beispielsweise als Lösungsmittel in Lithium-Ionen-Batterien Verwendung finden, die in Handys, Laptops und Elektroautos zum Einsatz kommen. Hier liegt die Menge der produzierten Carbonate bei rund 60.000 Tonnen pro Jahr.

 

Welche Energiequelle steht Ihnen zur Verfügung, und welche neuen Produkte haben Sie im Visier?

Die Energie wird, wenn es sich beim Endprodukt beispielsweise um den Kunststoff Polycarbonat handelt, der in zahlreichen Anwendungen angefangen vom Automobilbau bis hin zu CDs, DVDs und Blu-Rays verwendet wird, vorzugsweise aus kleinen Molekülen wie beispielsweise Epoxiden stammen. Die sehr energiereichen Epoxide enthalten einen Ring aus zwei Kohlenstoffatomen und einem Sauerstoffatom. Aufgrund ihrer hohen Reaktivität sind Epoxide in der Lage, mit dem reaktionsträgen CO2 zu einem Polycarbonat zu reagieren. Bezüglich der Produkte schweben mir unterschiedliche Ebenen vor, die sich durch die Mengen unterscheiden. Am unteren Ende stehen Spezialchemikalien wie Pharmazeutika. Diese Produkte sind sehr hochwertig und lassen sich mit hoher Wirtschaftlichkeit herstellen. Um große CO2-Mengen zu verbrauchen, sind sie aber wenig geeignet. Die nächste Ebene umfasst alle kohlenstoffhaltigen Polymere mit weltweit über 200 Millionen Tonnen. Hier wird also eine Dimension erreicht, in der es allmählich interessant wird.

 

Welche konkreten Ergebnisse haben Sie bisher erzielt?

Gemeinsam mit zwei großen deutschen Unternehmen sind wir an einem BMBFVerbundprojekt beteiligt, das sich an der Grenze zur Kommerzialisierung befi ndet. Es handelt sich um Herstellung von Polypropylencarbonat aus Propylenoxid und CO2. Die Reaktion ist seit 1969 bekannt, allerdings gab es bisher keinen Katalysator, der über eine hinreichende Aktivität für eine erfolgversprechende Synthese verfügte. Da sind wir jetzt ganz dicht daran. Wenn wir es schaffen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Produkt im Laufe der Zeit großvolumig kommerzialisiert wird. Wir könnten auch eine Reihe von anderen Polymerprodukten – eventuell vergleichbar mit dem Massenkunststoff Polypropylen – herstellen. Unser Kooperationspartner hat für die Reaktion bereits eine Ökobilanz erarbeitet, die positiv ausgefallen ist. Dafür müssen aber noch einige technische Probleme gelöst werden.

 

Gibt es Möglichkeiten, den Prozess so zu beeinflussen, dass sich daraus Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften ergeben?

Sicher, das funktioniert über die Katalyse. Die Herstellung von Polypropylen lässt sich je nach Katalysator so steuern, dass man entweder einen Gummi oder ein Hartprodukt erhält. Dieses Prinzip versuchen wir auf unser Polymer anzuwenden. Dieses könnte der Beginn einer CO2-Wirtschaft sein. Wir wollen demonstrieren, dass es neben Harnstoff mit einer Jahresproduktion von 70 bis 100 Millionen Tonnen jährlich noch andere Materialien gibt, die sich aus dem Rohstoff CO2 gewinnen lassen.

 

Haben Sie noch weitere Beispiele auf Lager?

Ja – eine weitere Herausforderung für künftige Synthesen ist unter anderem die direkte Umsetzung von Ethylen mit CO2 zu Acrylsäure, die als Polymer unter anderem in Superabsorbern – zum Beispiel für Babywindeln – eingesetzt wird. Die Direktsynthese gehört seit 20 Jahren zu den sogenannten Traumreaktionen der Chemiker. Wir hoffen, dass wir diesen Traum mit Hilfe eines geeigneten Katalysators realisieren können. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Reaktionen, die man mit CO2 prinzipiell machen kann. Das sind die Grundpfeiler unseres Mehrstufenkonzepts, die zeigen sollen, dass man CO2 auch in großen Mengen in den Kreislauf zurückführen kann.

 

Welche CO2-Quellen wollen Sie nutzen?

Zum Beispiel liefert das Fischer-Tropsch-Verfahren, eine großtechnische Methode zur Umwandlung von Kohlenstoffmonoxid-Wasserstoff-Gemischen in flüssige Kohlenwasserstoffe, CO2 in genügender Reinheit. Ähnliches gilt für die Freisetzung von CO2 bei der Betonherstellung. Gegenwärtig müssen wir uns noch nicht über die Abtrennung von CO2 aus Verbrennungsprozessen unterhalten. Das wird sich allerdings ändern, sobald wir große Mengen verarbeiten können.
 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 27. November 2015