Ziemlich genau eine Million Einwohner hatte Hamburg 1919. Nach dem Ersten Weltkrieg waren 42.000 der Männer nicht zurückgekehrt. Die Wirtschaft lag brach, hohe Zahlungen an die Siegermächte bremsten jede Entwicklung und oft herrschte in den Städten der Hunger.
Max Gerntke, Stadt der Zukunft, um 1925, Farbige Kreiden, Wasserfarben, 73 x 50 cm
Schaut man aber auf die Kunst dieser Zeit, auf die knapp eineinhalb Jahrzehnte zwischen Krieg und Nationalsozialismus, so meint man, eine andere Realität zu spüren. Sicher wiesen viele Künstler auf Armut und Not hin, doch insgesamt überwog eine Stimmung von Hoffnung und Aufbruch. Das Bauhaus mit seinen zukunftsweisenden Vorschlägen für eine neue Kunst und Gestaltung ist das bekannteste Beispiel dafür. Auch in Hamburg entwickeln junge Künstler neue Lebensmodelle, planen Bauwerke für die Zukunft und zeigen eine Stadt voller Rhythmik und Schönheit.
Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zeigt in der Ausstellung „Hamburg in den zwanziger Jahren. Ansichten und Visionen“ über 40 Stadtansichten, Architekturvisionen und künstlerische Interpretationen in sieben Werkgruppen. Die verschiedenen Ansätze, der Gegenwart zu entfliehen und eine neue, bessere Welt entstehen zu lassen, ergeben ein überraschendes und heute noch bewegendes Bild von Hamburg in den zwanziger Jahren. Die Ausstellung zeigt Zeichnungen, Gouachen, Lithografien, Metalldrucke, Holzschnitte und Scherenschnitte, die zwischen 1919 und 1934 entstanden.
Paul Helms, Foyer, aus einer Mappe zur Einweihung vom: Haus des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (heute: Brahms.Kontor), 1930, Holzschnitt, 17 x 20,2 cm |
Der Architekt Max Gerntke, Partner des Architekturbüros Esselmann und Gerntke, entwickelt kraftvolle farbige Zukunftsvisionen, große Bauten und Denkmäler und entwirft einen neuen Alsterpavillon, der tatsächlich umgesetzt wird. In seinen berühmten Metalldrucken verwandelt Rolf Nesch Hamburger Brücken in poetische Skulpturen. Der Expressionist Heinrich Stegemann lässt einsame Gestalten vor Häuserkulissen schwanken.
Karl Gröning erfindet in seiner Grafikserie kubistische Formen für neu zu bauende Hafenspeicher. Paul Helms dagegen interpretiert in seinen Holzschnitten sehr realistisch und detailreich ein gerade errichtetes Kontorhaus. Willy Davidson wiederum ist nicht an der Schönheit der Hamburger Backsteinarchitektur interessiert, sondern verleiht anonymen Gebäuden mit erdigen Farben eine neue, expressive Kraft. Und der Scherenschnittkünstler Georg Hempel lässt sich von Brücken- und Hafenmotiven zu kleinen rhythmischen Kompositionen in schwarzem Papier inspirieren.
Eine Ausstellung mit Werken
aus der Sammlung Hamburger
Sparkasse. Rund 350 Exponate
dieser Sammlung, vor allem
von Künstlern der
Hamburgischen Sezession,
befinden sich seit 2002 als
Dauerleihgabe im MKG.
Rolf Nesch, Hafenbrücke, 1932, Metalldruck, 45 x 59,7 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015